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Rechner gegen den Stau

Verkehrsforschung. - Wenn Staumeldungen über das Autoradio kommen, kann es sein, dass sich der Stau schon längst aufgelöst hat. Der Grund: es dauert meistens zu lange, bis die sogenannte Verkehrslage auf den Autobahnen die Sender erreicht. Zumindest in Nordrhein-Westfahlen soll sich das ändern. Autofahrer können das neue System im .

    Von Sönke Gäthke

    Das System, was wir jetzt in Nordrhein-Westfalen installiert haben, sollte die Verkehrsnachrichtenlage auf dem Autobahnnetz deutlich verbessern, wir sprechen von deutlich über neunzig Prozent,

    so Michael Schreckenberg. Der Verkehrsforscher der Universität Duisburg hat "Olsim" entwickelt - das Online-Simulations-System. Olsim nutzt die Messdaten der rund 4000 Induktions-Zählschleifen, die in den Fahrbahnen der Autobahnen des Landes eingebaut sind. Diese Messstellen erfassen im Minutentakt, wie viele Autos oder LKWs vorbeifahren, mit welchem Abstand und Tempo sie rollen oder ob sie stehen. Doch diese Daten reichen noch nicht aus. Denn die Zählschleifen sind nicht auf allen Autobahnen gleichmäßig verteilt. Den Verkehr auf den unbeobachteten Strecken lässt der Verkehrsphysiker daher von einem besonderen Simulations-Modell errechnen. Schreckenberg:

    Das Simulations-Modell basiert auf sogenannten Zellular-Automaten. Das sind mathematische Modelle, die diskret in Raum und Zeit arbeiten, das heißt schlicht: Mit ganzen Zahlen. Wir haben das Autobahnnetz, die 2000 Kilometer, zerschnitten in Zellen von 1,5 Metern Länge, diese Zellen werden mit Autos aufgefüllt, je nach Länge umfasst ein Auto fünf Zellen oder mehr.

    Wie viele Autos das System dabei auf die virtuelle Fahrbahn setzen muss, ergibt sich zum einen aus den aktuell gemessenen Daten, zum anderen aus den Gespeicherten. Um letztere zu ermitteln, hat der Verkehrsphysiker Schreckenberg die Messwerte der letzten zwei Jahre analysiert und gespeichert. Nur durch die Verknüpfung der realen und der simulierten Fahrzeuge kann der Computer auch die Autos einbeziehen, die gerade über Auffahrten auf die Autobahn fahren, oder sie verlassen. Alle zusammen werden dann von dem Programm nach bestimmten Regeln bewegt. Schreckenberg:

    Wir hinterlegen: Wann bremst ein Fahrzeug, wann beschleunigt es, wann wechselt es die Spur; wir haben sogar die Bremsleuchten der Fahrzeuge drin, weil das Einfluss auf das Verhalten des nachfolgenden hat, dieses alles wird jede Minute für jedes Fahrzeug im Netz durchgerechnet, das sind 100.000 oder mehr, die wir updaten und weiterführen.

    Auf diese Weise errechnet der Computer eine sehr genaue und im Minutentakt aktualisierte Online-Simulation des tatsächlichen Verkehrs - und überträgt diese ins Internet. Auto- oder LKW Fahrer können also vor Antritt der Fahrt einen Blick ins Netz werfen und so feststellen, wo der Verkehr rollt - und wo nicht. Doch das reicht Michael Schreckenberg noch nicht. Er plant, durch eine Beschleunigung der Rechenvorgänge auch Prognosen über die Verkehrsentwicklung der nächsten halben Stunde zu erstellen. Schreckenberg:

    Also unser Modell wird in Kürze, bis 2003, solide Prognosen liefern für die nächste halbe Stunde; wir sind dabei, das zu kalibrieren, und eben auch die Fahrzeiten zu analysieren, das ist schwierig, dies aus den Daten abzuleiten, man müsste ja im Auto mit drinsitzen und ein Stoppuhr in der Hand haben.

    Nicht nur Autofahrer sollen das Online-Simulations-System profitieren. Auch Straßenplaner können damit arbeiten und zum Beispiel ermitteln, wie staugefährlich Baustellen werden oder ob ein dritte Autobahnspur wirklich den Verkehrsfluss verbessert. Schreckenberg hofft, dass möglichst viele das neue System nutzen und durch Rückmeldungen dazu beitragen, es weiter zu entwickeln:

    Wir hoffen natürlich, auf eine rege Nutzung, privat, öffentlich oder durch private Unternehmen, wir hoffen sehr darauf, Reaktionen zu bekommen, das ist einer der wesentlichen Aspekte in der Weiterentwicklung, das heißt, wir wollen das System weiter entwickeln mit dem Nutzer und auf die Bedürfnisse eingehen, die dort geweckt werden.

    Auch die Verkehrsmeldungen dürften dann genauer weil schneller werden. Besondere Umstände allerdings dürften nach wie vor auf dem klassischen Weg gemeldet werden müssen.