Sie sei von anderer Art, sagt Medea. Unser heutiges Theater aber sagt, sie sei von unserer, von radikal heutiger Art. Medea soll ein Beispiel sein: für die Angst vor der oder dem Fremden, für scheiternde Liebe, für den verzweifelten Selbstbestimmungsversuch der klugen Frau, für das Schicksal von Migrantinnen. So wird Medea in Zeiten, in denen die Zeitungen voll sind von Berichten über Kindstötungen durch Mütter und über das trostlose Schicksal von Asylanten und Migranten, funktionalisiert zu erklärender Beispielhaftigkeit.
Deren Besichtigung uns sowohl bei privaten Beziehungs- wie allgemeinen politischen Problemen helfen können soll. Lange beherrschten die Aneignungen oder Anverwandlungen des Mythos die Bühnen, weniger die von Seneca, Corneille oder Hans Henny Jahn, umso mehr die von Grillparzer und Heiner Müller. Beide, Müller in "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten" und Grillparzer in "Das Goldene Vlies", lassen Medea wegen ihrer fremden Andersartigkeit Furcht erregen und Probleme bekommen. Die letztjährige Grillparzer-Inszenierung von Lars Ole Walburg in Basel, bei der Medea im Transitraum verblieb und durch die Grenzzäune allenfalls Bananen geworfen bekam, während ihr Mann im Land der Zukunft mit einer jungen Schönheit anbandelte, hat auf überdeutliche und platte Weise die beiden Sichtweisen auf den alten Medea-Mythos vereint, deren sich das deutschsprachige Theater derzeit bedient: Asylanten im antiken Korinth meinen Migranten von heute, und: dauernde Liebe und Ehe sind schrecklich schwer.
Wenn jetzt häufiger der klassische Stoff von Euripides inszeniert wird, wie vor kurzem von Tina Lanik am Münchner Residenztheater und gestern von Barbara Frey am Deutschen Theater in Berlin, dann wird Medea nicht als große, ferne Pathos-Gestalt gezeigt, sondern als eine normale Frau von heute. Als Alexander Lang vor 20 Jahren am Deutschen Theater die "Medea" mit Goethes "Stella" und Strindbergs "Totentanz" zu einer "Trilogie der Leidenschaft" zusammenfasste, bekamen die Liebes- und Beziehungsprobleme von Medea und Jason ihre Kraft und Heutigkeit aus einer Kunstform, die die Fremdheit der Geschichte nicht verhehlte, sondern gerade die Fallhöhe betonte.
Am deutschen Theater, wo vor vierzehn Tagen in der Box, der winzigen neuen Bühne des Hauses, eine studentische Diplominszenierung von Tom Lanoyes "Mamma Medea" herauskam, eine Version, die sich auf den Scheidungskrieg konzentriert, holte Barbara Frey nun die alte Medea in eine moderne bürgerliche Verwahrhölle. In der Nina Hoss' Medea ganz von heute ist: als eine vom Mann verratene und verlassene Frau. Eine Frau in Abhängigkeit, vom Mann, von männlich bestimmter Gesellschaft, von den Kinder. Wie bei Christa Wolfs "Medea. Stimmen" wird sie zur schuldlosen Mörderin. Auch wenn Hubert Ortkemper, dessen neue, bewusst nüchterne und mit ihrer Banalisierung gelegentlich an die Grenze der unfreiwilliger Komik geratene Übersetzung gespielt wird, im Programmheft die Medea des Euripides als eine von Ausländerdiskriminierung und asylantischer Rechtsunsicherheit bestimmte Frau erklärt, spielt dieser Aspekt in der Inszenierung kaum eine Rolle.
Auf der strahlend weißen, leeren Bühne von Bettina Meyer steht hoch auf einem Sockel ein schäbiges Küchen-Wohnzimmer. Wenig Raum ist in dieser vermüllten Abstellkammer für Medea zwischen Coach und Herd, Waschmaschine und Fernseher. Hinter dem Fenster wandern Wolkenformationen wie Sehnsuchtsmotive daher, während die Besucher draußen steif und still stehen und durch die offene Front mit Medea reden. Der Chor, auf eine Korintherin reduziert, die Amme, der herbeiradelnde Bote, selbst Kreon: sie alle sind mehr Zitate und Stichwortgeber. Lakonisch nüchtern oder, bei aller Trauer oder allem Entsetzen, eher verhalten treten sie auf, liefern ihren Text ab und marschieren ab. Nina Hoss spielt die großen Emotionen der Medea nicht expressiv, sondern zurückhaltend und oft grüblerisch.
Die hohe, schlanke, völlig schwarze Trauergestalt einer sich und ihre Gefühle suchenden klugen Frau kommt als klares Zeichen daher. Während Gabor Biedermanns im Blaumann-ähnlichen Anzug und mit Mehrtagesbart daherkommender Jason nie zu verdeutlichen vermag, es wohl auch nicht soll, was die kluge und schöne Medea an ihm fand und findet. Steif stehen die beiden sich im Zimmer gegenüber, und die taktischen Argumente in ihren Streitgesprächen wirken durch die neue Übertragung didaktisch bis parodistisch. Die Kinder schauen in diese Alptraumwelt, indem sie die Köpfe durch die Wand stecken, in die sich schließlich Medea auch zum Kindermord begibt. Blut fließt nicht in dieser Inszenierung, hier wird vom Schrecken nur berichtet.
Das Problem dieser handwerklich sauberen und schauspielerisch soliden Inszenierung ist, dass ihr eine antike wie eine emotionale Reibungsfläche fehlen. Die Unfassbarkeit des Liebesverlustes und -verrats springt den Zuschauer weder mit Euripidäischer Wucht noch mit Müllerscher Wut an. Und dass Medea eine Fremde ist, die mit Klugheit, Andersartigkeit und Selbstbewusstsein Angst hervorruft, wird genau so wenig erspielt, wie ihr Asylantenschicksal genauer problematisiert wird. Wenn der König Ägeus mal für einen Augenblick vorbeikommt und ihr Haus und Bett anträgt, dann wirkt das in Horst Lebinskys Darstellung allenfalls wie ein skurriles Intermezzo, aber nicht wie ein existentielles Versprechen.
Weder historisierend noch äußerlich groß aktualisierend, will diese Inszenierung ganz von heute sein. Doch leider versäumt es Barbara Frey dabei, deutlich zu machen, was genau sie uns erzählen will.
Deren Besichtigung uns sowohl bei privaten Beziehungs- wie allgemeinen politischen Problemen helfen können soll. Lange beherrschten die Aneignungen oder Anverwandlungen des Mythos die Bühnen, weniger die von Seneca, Corneille oder Hans Henny Jahn, umso mehr die von Grillparzer und Heiner Müller. Beide, Müller in "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten" und Grillparzer in "Das Goldene Vlies", lassen Medea wegen ihrer fremden Andersartigkeit Furcht erregen und Probleme bekommen. Die letztjährige Grillparzer-Inszenierung von Lars Ole Walburg in Basel, bei der Medea im Transitraum verblieb und durch die Grenzzäune allenfalls Bananen geworfen bekam, während ihr Mann im Land der Zukunft mit einer jungen Schönheit anbandelte, hat auf überdeutliche und platte Weise die beiden Sichtweisen auf den alten Medea-Mythos vereint, deren sich das deutschsprachige Theater derzeit bedient: Asylanten im antiken Korinth meinen Migranten von heute, und: dauernde Liebe und Ehe sind schrecklich schwer.
Wenn jetzt häufiger der klassische Stoff von Euripides inszeniert wird, wie vor kurzem von Tina Lanik am Münchner Residenztheater und gestern von Barbara Frey am Deutschen Theater in Berlin, dann wird Medea nicht als große, ferne Pathos-Gestalt gezeigt, sondern als eine normale Frau von heute. Als Alexander Lang vor 20 Jahren am Deutschen Theater die "Medea" mit Goethes "Stella" und Strindbergs "Totentanz" zu einer "Trilogie der Leidenschaft" zusammenfasste, bekamen die Liebes- und Beziehungsprobleme von Medea und Jason ihre Kraft und Heutigkeit aus einer Kunstform, die die Fremdheit der Geschichte nicht verhehlte, sondern gerade die Fallhöhe betonte.
Am deutschen Theater, wo vor vierzehn Tagen in der Box, der winzigen neuen Bühne des Hauses, eine studentische Diplominszenierung von Tom Lanoyes "Mamma Medea" herauskam, eine Version, die sich auf den Scheidungskrieg konzentriert, holte Barbara Frey nun die alte Medea in eine moderne bürgerliche Verwahrhölle. In der Nina Hoss' Medea ganz von heute ist: als eine vom Mann verratene und verlassene Frau. Eine Frau in Abhängigkeit, vom Mann, von männlich bestimmter Gesellschaft, von den Kinder. Wie bei Christa Wolfs "Medea. Stimmen" wird sie zur schuldlosen Mörderin. Auch wenn Hubert Ortkemper, dessen neue, bewusst nüchterne und mit ihrer Banalisierung gelegentlich an die Grenze der unfreiwilliger Komik geratene Übersetzung gespielt wird, im Programmheft die Medea des Euripides als eine von Ausländerdiskriminierung und asylantischer Rechtsunsicherheit bestimmte Frau erklärt, spielt dieser Aspekt in der Inszenierung kaum eine Rolle.
Auf der strahlend weißen, leeren Bühne von Bettina Meyer steht hoch auf einem Sockel ein schäbiges Küchen-Wohnzimmer. Wenig Raum ist in dieser vermüllten Abstellkammer für Medea zwischen Coach und Herd, Waschmaschine und Fernseher. Hinter dem Fenster wandern Wolkenformationen wie Sehnsuchtsmotive daher, während die Besucher draußen steif und still stehen und durch die offene Front mit Medea reden. Der Chor, auf eine Korintherin reduziert, die Amme, der herbeiradelnde Bote, selbst Kreon: sie alle sind mehr Zitate und Stichwortgeber. Lakonisch nüchtern oder, bei aller Trauer oder allem Entsetzen, eher verhalten treten sie auf, liefern ihren Text ab und marschieren ab. Nina Hoss spielt die großen Emotionen der Medea nicht expressiv, sondern zurückhaltend und oft grüblerisch.
Die hohe, schlanke, völlig schwarze Trauergestalt einer sich und ihre Gefühle suchenden klugen Frau kommt als klares Zeichen daher. Während Gabor Biedermanns im Blaumann-ähnlichen Anzug und mit Mehrtagesbart daherkommender Jason nie zu verdeutlichen vermag, es wohl auch nicht soll, was die kluge und schöne Medea an ihm fand und findet. Steif stehen die beiden sich im Zimmer gegenüber, und die taktischen Argumente in ihren Streitgesprächen wirken durch die neue Übertragung didaktisch bis parodistisch. Die Kinder schauen in diese Alptraumwelt, indem sie die Köpfe durch die Wand stecken, in die sich schließlich Medea auch zum Kindermord begibt. Blut fließt nicht in dieser Inszenierung, hier wird vom Schrecken nur berichtet.
Das Problem dieser handwerklich sauberen und schauspielerisch soliden Inszenierung ist, dass ihr eine antike wie eine emotionale Reibungsfläche fehlen. Die Unfassbarkeit des Liebesverlustes und -verrats springt den Zuschauer weder mit Euripidäischer Wucht noch mit Müllerscher Wut an. Und dass Medea eine Fremde ist, die mit Klugheit, Andersartigkeit und Selbstbewusstsein Angst hervorruft, wird genau so wenig erspielt, wie ihr Asylantenschicksal genauer problematisiert wird. Wenn der König Ägeus mal für einen Augenblick vorbeikommt und ihr Haus und Bett anträgt, dann wirkt das in Horst Lebinskys Darstellung allenfalls wie ein skurriles Intermezzo, aber nicht wie ein existentielles Versprechen.
Weder historisierend noch äußerlich groß aktualisierend, will diese Inszenierung ganz von heute sein. Doch leider versäumt es Barbara Frey dabei, deutlich zu machen, was genau sie uns erzählen will.