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Rechte Gruppierungen verfolgen Strategie der "netten Nazis"

Erardo Rautenberg, Generalstaatsanwalt in Brandenburg, beobachtet aufmerksam eine neue Strategie rechter Parteien. Man stelle sich als "nette Nazis" da, die zu Unrecht von Behörden verfolgt würden. Brandenburg habe aber viel gegen Rechts getan, so Rautenberg.

Erardo Rautenberg im Gespräch mit Elke Durak | 04.06.2009
    Elke Durak: Wer hat Recht – diejenigen, die vor der Gefährlichkeit rechtsextremistischer Parteien wie der NPD warnen, oder jene, in deren Städten und Gemeinden sich die NPD engagiert, Vertrauen genießt, Hoffnungsträger und kurz davor ist, bei den Kommunalwahlen am Sonntag mehr Stimmen denn je zu bekommen (im Osten jedenfalls)? Nur ein Beispiel: eine Frau aus Anklam (Mecklenburg-Vorpommern), befragt nach der NPD und den sogenannten Kameradschaften dort.

    O-Ton Frau: Die sind super nett und super freundlich. Das kann man denen nicht absprechen. Die helfen alten Leuten über die Straße, die helfen alten Leuten die Kohlen rein, die heizen denen die Öfen. Das was in den Zeitungen steht, was die machen wollen, das spricht jeden an, der zu Hause sitzt, der keine Arbeit hat. Ganz klar!

    Durak: Erardo Rautenberg hat zugehört, Generalstaatsanwalt in Brandenburg. Guten Morgen!

    Erardo Rautenberg: Schönen guten Morgen.

    Durak: Herr Rautenberg, diese Frau ist vielleicht nicht Mehrheits-, aber keinesfalls nur Einzelmeinung, zeigt aus Ihrer Sicht was?

    Rautenberg: Dies zeigt die Strategie der NPD oder beziehungsweise aller rechtsextremer Parteien, die die Erfahrung gemacht haben, dass rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten die Bevölkerung abschrecken und nicht zu Wählerstimmen führen, und deshalb ist die Strategie geändert worden. Man versucht einerseits, die Angehörigen gewaltbereiter Gruppierungen an die Parteien zu binden; andererseits verfolgt man aber – und zwar insbesondere die NPD – die Strategie, sich gegenüber dem Wahlvolk als "nette Nazis" darzustellen, die hilfsbereit sind und die von den Medien und von den Behörden zu Unrecht verfolgt werden. Und diese Strategie geht eben zum Teil auf.

    Durak: Auch Ihnen wird zugeschrieben, dass die Zahl rechtsextremer Straftaten in Brandenburg zurückgegangen ist, weil Sie dafür sorgen, dass juristisch rasch und konsequent reagiert wird. Was heißt "konsequent"?

    Rautenberg: Ja. Diese Feder stecke ich mir nicht so ohne Weiteres an den Hut. Das ist nie eine Einzelleistung und es ist auch nicht allein eine Leistung von Polizei und Justiz. Richtig ist: Seit meinem Amtsantritt 1996 habe ich mich darum bemüht, dass wir diese Verfahren mit höchster Priorität verfolgen, und inzwischen ist es auch so, dass von Polizei bis zu den Gerichten hin schnell reagiert wird. Das ist ein Baustein für diesen Rückgang. Der zweite Baustein ist allerdings präventive Maßnahmen des Innenministeriums insbesondere gegen Kameradschaften, wo sich der brandenburgische Innenminister Schönbohm sehr verdient gemacht hat. Und schließlich – und das ist für mich das Wichtigste – ist in Brandenburg die Zivilgesellschaft mobilisiert worden. Das war nicht immer so, aber 1997 hat man in Brandenburg ein Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gegründet und ein Jahr später das Handlungskonzept "tolerantes Brandenburg". Ich denke, dass dieses Engagement von Bürgern gegen Rechtsextremismus inzwischen Früchte trägt.

    Durak: Diese Null-Toleranz-Politik geht eben nur, wenn die Gesellschaft das ganze unterstützt. Sind die Rechten dann nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt abgewandert?

    Rautenberg: Ich bin immer ein bisschen skeptisch. Wir haben einen Rückgang bei den Gewalttaten, die rechtsextremistisch motiviert sind, aber man muss eben abwarten, wie sich das weiter entwickelt. Es ist ja so, dass gerade die NPD sich innerparteilich in einem konfusen Zustand befindet, andererseits ihre Strategie, sich als nette Bürger von nebenan darzustellen, geht wie gesagt zum Teil auf und jetzt muss man einfach sehen, dass gerade in den Kommunen die Anstrengungen der rechtsextremen Parteien besonders stark sind, weil sie festgestellt haben, in den Städten ist der Kampf für sie schon ziemlich aussichtslos geworden, aber in den Kommunen, wo auch eine starke Abwanderung stattfindet, im ländlichen Bereich, da versucht sie Fuß zu fassen und das ist durchaus eine realistische Gefahr.

    Durak: Herr Rautenberg, Neonazis werden ja nicht als solche geboren. Kann es sein, dass die Härte der Justiz manchmal auch die falschen erwischt, Mitläufer, Verführte, Verwirrte?

    Rautenberg: Ja. Das ist immer eine Gefahr in dem Bereich und deshalb habe ich eigentlich von Anfang an größten Wert gelegt – und ich sage das auch immer bei Veranstaltungen von Bürgerbewegungen gegen Rechtsextremismus -, man muss strikt auf die Einhaltung der Gesetze achten und darf also nicht durch Überreaktionen Sympathisanten zum harten Kern treiben. Das ist sicherlich eine Sache, die man immer im Auge behalten muss.

    Durak: Sie sind ja nicht allein, Sie haben sich auch jetzt eben sehr zurückhaltend geäußert. Ein Jugendrichter in Brandenburg hat einen Angeklagten schon mal in Socken aussagen lassen, weil er Springerstiefel vor Gericht nicht dulden wollte. Rechtsextreme derart bloßzustellen, dürfte Hass verursachen, hervorrufen. Wie schützt man sich vor der eigenen Furcht?

    Rautenberg: Ich denke, der Jugendrichter hat Spielraum in seinem Verhalten auch im Gerichtssaal. Es ist jetzt gerade in Brandenburg auch eine neue Hausordnung im Landtag in Kraft getreten, wo man mit solchen Zeichen von rechtsextremem Gedankengut eben nicht hineingelassen wird. Ich denke schon, in dem Bereich sollte man die rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen.

    Durak: Ist der Kampf gegen rechts gewonnen in Brandenburg?

    Rautenberg: Nein, der ist nicht gewonnen. Man muss am Ball bleiben. Das ist ein dickes Brett, was wir bohren müssen, und deshalb bin ich nicht derjenige, der jetzt in Euphorie verfällt. Ich sehe das nur als eine kleine Bestätigung, dass es eben wichtig ist, nicht nur im Bereich der Strafverfolgung sich zu aktivieren, sondern auch im Bereich der Zivilgesellschaft und da sind wir auf einem guten Weg.

    Durak: Erardo Rautenberg, Generalstaatsanwalt in Brandenburg. Herr Rautenberg, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Rautenberg: Danke schön!