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Rechten Schmierfinken eins auswischen

Hakenkreuze an Wänden oder Plakate für Neonazi-Demos: Wenn Rechte sich im Berliner Stadtbild verewigen, greift die Politaktivistin Irmela Mensah-Schramm zu Spachtel, Schwamm oder Spraydose. Vorm Entfernen fotografiert die Rentnerin jedoch die rechten Parolen und stellt die Fotos regelmäßig aus. Was einigen als Zeitverschwendung erscheint, ist für sie ihre staatsbürgerliche Pflicht.

Von Claudia van Laak | 04.04.2013
    Irmela Mensah-Schramm steht vor der Eingangstür eines leerstehenden Ladenlokals, in der rechten Hand ein Spachtel. Beharrlich schabt und reißt sie ein festgeklebtes Plakat von der Glasscheibe, das zu einer Neonazi-Demonstration im sächsischen Chemnitz aufruft.

    Bequeme Winterschuhe, eine schwarze wattierte Jacke, blaue Jeans, graue Haare – unauffälliger könnte die 67-Jährige kaum wirken. Nur der kleine Anstecker: "Nazis stoppen" und der weiße Stoffbeutel mit der Aufschrift "Gegen Nazis!" verraten, dass Irmela Mensah-Schramm eine besondere Rentnerin ist. Ohne ihren Stoffbeutel geht sie nicht aus dem Haus. Der Inhalt:

    "Mein Ceranfeld-Schaber, dann Nagellackentferner, ein Rest, und dann noch eine neue Flasche gekauft, und dann habe ich noch ein Farbspray eingepackt, für den Fall, dass es nötig ist."

    Außerdem noch eine Kamera. Damit dokumentiert die Rentnerin Aufkleber und Nazischmierereien, bevor sie sie entfernt oder übermalt. Was für einige Sachbeschädigung ist oder schlicht Zeitverschwendung, das sieht die pensionierte Heilpädagogin als ihre staatsbürgerliche Pflicht.

    Treffpunkt ist der Bahnhof Berlin-Lichtenberg. Gleich um die Ecke befindet sich der berüchtigte Weitlingkietz. Direkt nach der Wende haben hier Ostberliner Neonazis gemeinsam mit westdeutschen Gesinnungsgenossen ein Haus besetzt. Die braunen Hundehaufen auf den Bürgersteigen korrespondieren farblich mit den Aufklebern an Laternenpfählen, Fallrohren, Stromkästen, Verkehrszeichen. "Kamerad Wessel, wir rächen Dich" ist da zu lesen. Oder: "Rudolf-Hess-Gedenkmarsch". Irmela Mensah-Schramm zeigt über die Straße auf ein leerstehendes Ladenlokal. Seit zwei Jahren kleben da Plakate, die zu einer rechtsextremen Demo in Dresden aufrufen, empört sich die Politaktivistin.

    "Ich kann nicht eimerweise Wasser hier anschleppen, ich hab denen das schon gesagt, keine Reaktion."

    Damit meint sie die Aktivisten von ganz links, die sich hier im Berliner Weitlingkiez eine Propagandaschlacht mit den Neonazis liefern. Rechte Parolen werden mit linken übersprüht, rechte Plakate mit linken überklebt. Am Rand der Straße steht ein ausgebranntes Auto, gegenüber eine illegale Müllkippe. Keine gemütliche Gegend. Auf der Rückseite eines Verkehrsschilds entdeckt Mensah-Schramm einen Aufkleber der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten", JN. Bevor sie zum Spachtel greift, sieht sich die 67-Jährige kurz um, wartet, bis ein Jugendlicher im schwarzen Kapuzenpullover vorbeigelaufen ist.

    "Von der JN. Das ist unser Kiez."

    An der nächsten Ecke steht ein ranziger grüner Altkleidercontainer. "NS jetzt" hat jemand in schwarzer Farbe darauf gesprüht. Irmela Mensah-Schramm greift in ihren Stoffbeutel, holt die Sprühdose heraus.

    Sie geht einen Schritt zurück, betrachtet zufrieden ihr Werk, lächelt. Ein gutes Gefühl, sagt die Rentnerin, endlich ist er weg, der geistige Dreck. Die Passanten blicken die Politaktivistin kurz aus den Augenwinkeln an, lassen sie gewähren. Niemand lobt, niemand schimpft, niemand stellt Fragen. Ignoranz.

    Die 381. Eröffnung der Wanderausstellung von Irmela Mensah-Schramm, diesmal in der Volkshochschule Königs Wusterhausen. Die Rentnerin streicht über ihre grauen Haare, der Pony kann die Wunde an der Stirn nicht ganz verbergen. Bei einer Demonstration in Dresden ein paar Tage zuvor hat ein Neonazi mit einem Stein gegen ihren Kopf gezielt.

    "Ein Stein am Kopf in Dresden von den Nazis, nee ..."

    Viele interessierte Bürger drängeln sich vor den Fotos im schmalen Flur. Die politisch Verantwortlichen der Stadt haben an diesem Sonntag allerdings Besseres zu tun. Kein Bürgermeister zu sehen, kaum Stadtverordnete.

    "Präsentiere ich Ihnen nur eine ganz kleine Auswahl aus meiner fast 15.000 Fotos umfassenden Dokumentation. Zeugnisse des Hasses im öffentlichen Raum. Darunter auch einige Beispiele aus dieser Region. Da kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen: Ich hätte die Ausstellung auch nur aus Königs Wusterhausen machen können, aber das wollte ich Ihnen ersparen."

    Warme Worte vom Staatssekretär aus dem Potsdamer Bildungsministerium folgen. Er lobt das Engagement der Rentnerin und das eigene Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, erhebt das Sektglas. Plötzlich Protest aus dem Publikum.

    "Wir haben seit sechs Jahren versucht, diese Ausstellung zu zeigen. Seit sechs Jahren rennen wir hier rum."

    Die Verantwortlichen blicken verstört, sind verärgert über den Zwischenrufer. Doch Ralf Schulz erträgt die Lobhudeleien zur Ausstellungseröffnung nicht. Wie Sauerbier habe er die Fotos von Irmela Mensah-Schramm angeboten, sei von allen Schulen in Königs Wusterhausen abgewiesen worden, erzählt er. Ralf Schulz zeigt auf den letzten Teil der Ausstellung. Dort hängt ein Aufruf an alle, sich ebenfalls dem Rechtsextremismus in den Weg zu stellen. Es ist ein Spiegel mit der Aufschrift: "Wer, wenn nicht ich?".