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Rechter Theologe bei WDR 5
"Im Diskurs zeigen, wo die Grenzen sind"

Der rechte Theologe David Berger stellte in seinem Blog einen Zusammenhang zwischen Tieren und Geflüchteten her, trotzdem wurde er zur Sendung „Tischgespräch“ des WDR eingeladen. Im Radio-Talk müsse Berger vor allem kritisch dazu befragt werden, wie er trotz theologischer Basis zu einer solchen Meinung komme, sagte die Professorin für christliche Publizistik, Johanna Haberer, im Dlf.

Johanna Haberer im Gespräch mit Brigitte Baetz |
    Theologe David Berger
    Theologe und Autor David Berger (picture alliance / dpa / Foto: Karlheinz Schindler)
    Baetz: Sollte Wissenschaftsjournalist Horst Stern einmal von "invasiven Arten" gesprochen haben, die sich "sprunghaft ausbreiten und zur Bedrohung für die natürlichen Bewohner" werden, so wäre die Rede ausdrücklich von Tieren gewesen. Auf dem Blog von David Berger, dem Theologen und umstrittenen Publizisten, wurde mit diesen Ausdrücken eine gedankliche Brücke zu geflüchteten Menschen geschlagen, die – so könnte man ergänzen – unser Ökosystem bedrohen. Als der WDR-Hörfunk ankündigte, eben diesen David Berger, der öffentlich auch von den Medien als "Systemmedien" und "Staatsfunk" spricht, zur Personality-Sendung "Tischgespräch" einzuladen, ging die Kritik in den Sozialen Medien durch die Decke. Der WDR reagierte mit dem Statement: "WDR 5 möchte auch mit Menschen in den journalistisch-kritischen Diskurs gehen, die Positionen vertreten, die viele nicht teilen." So weit, so gut – doch wo verläuft die Grenze, haben wir uns in der Redaktion @mediasres gefragt und haben Johanna Haberer angerufen. Sie ist evangelische Theologin, Journalistin und Professorin für christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg.
    Frau Haberer, mit Menschen reden, die die eigenen Positionen nicht teilen, ist ja eigentlich richtig. Aber gibt es da denn nicht doch Grenzen?
    "Den öffentlichen Diskurs spiegeln, auch wenn er unangenehm ist"
    Haberer: Na, es gibt natürlich Grenzen in der Art, wie man über Menschen spricht. Das heißt aber nicht – und da kann man natürlich Herr Berger oder wen auch immer für kritisieren, wie er über Menschen spricht, und das macht man von Fall zu Fall – das heißt aber nicht, dass man mit diesem Menschen nicht reden kann. Also das heißt, ein Mensch ist immer ein Gegenüber, den man ja auch versucht zu verstehen, oder den man versucht vielleicht auch zu hinterfragen – und das ist der Auftrag von Medien, dass sie den öffentlichen Diskurs spiegeln, auch wenn er unangenehm ist, und vielleicht auch dann im Diskurs zeigen, wo die Grenzen sind.
    Also ich bin sehr dafür, dass ein Theologe wie Herr Berger eingeladen wird – und mich würde jetzt an dieser Sendung wirklich interessieren, wie jemand der sich mit Theologie beschäftigt hat und mit einem Jesus beschäftigt hat, der sagt "Liebe den Nächsten, wie dich selbst", dass ein solcher Mensch über solche Aussagen über andere Menschen kommt. Das würde mich interessieren. Und was für einen weiten Weg muss man gehen, um über andere so zu reden. Ich finde, das ist eine Sendung wert. Und ich finde, eine Interview-Sendung ist ja auch dazu da zu verstehen und zu befragen, aber dann auch nicht zuzulassen, dass innerhalb des Diskurses, der dort geführt wird, dann die Menschen ausfällig werden. Wir haben derzeit eine Diskussion in den Medien über die Frage des Sagbaren und Nicht-Sagbaren, und natürlich darf man medien-ethisch, sprach-ethisch Menschen nicht mit Insekten vergleichen oder mit in irgendeiner Weise sich ausbreitenden Parasiten. Darüber, denke ich, sollte man aber mit ihm reden.
    "Man kann ein Tischgespräch auch zum Streitgespräch machen"
    Baetz: Aber verstehen Sie die Kritik, das ist ja jetzt auch keine kritische Interview-Sendung eigentlich, das WDR 5 Tischgespräch ist eigentlich eine Sendung , die einem Menschen, einem bekannten Menschen einen gewissen Raum einräumen sich zu erklären. Es ist also eigentlich kein journalistisch-kritisches Produkt. Verstehen Sie die Kritik zumindest, dass man einem solchen Menschen Raum gibt?
    Haberer: Natürlich verstehe ich die Kritik, ich verstehe auch die ganze Debatte darüber. Aber wir haben zurzeit eine Debatte, die um die Frage geht: Was ist eigentlich das Journalistische, was ist eigentlich der Job eines Journalisten? Muss er ein Forum bilden, muss er Haltung zeigen, muss er Neugier zeigen, oder sie? Weil Fakten sind ja immer eine Frage der Interpretation. Und natürlich, wenn jemand sich einer Sprache bedient, dann bedient er sich eines Deutungsinstrumentes. Und dieses Deutungsinstrument muss natürlich auch hinterfragt werden. Aber dieser Herr, um den es jetzt geht, Herr Berger, hat einen riesen Blog, mit sehr vielen einflussreichen Reichweiten. Er hat einen Impact in einer bestimmten Szene. Ich finde, es ist eine Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen-Rundfunks zu sagen, diese Meinung muss in irgendeiner Weise befragt werden. Ob man das in einem Tischgespräch macht oder ob man das in einer kritischen Sendung macht, das ist Sache der Redaktion. Aber gleichzeitig finde ich, man kann ein Tischgespräch schon auch zum Streitgespräch machen.
    Baetz: In der Kritik steht zurzeit auch der "Spiegel"-Kolumnist Jan Fleischhauer. Unter der Überschrift "Nazis rein" hat er die Parole "Nazis raus", die gerade auch in den Sozialen Netzwerken kursiert, kritisiert und fordert – so habe ich es zumindest verstanden – die Integration von Nazis in die Gesellschaft. Das hat wiederum den Autoren und Journalisten Enno Lenze dazu gebracht, sich jetzt öffentlich vom "Spiegel" zu distanzieren und jegliche Zusammenarbeit aufzukündigen. Was sagen Sie dazu, hat sich da grundsätzlich etwas in der Gesellschaft verschoben, dass man solche Dinge wieder sagen darf? Oder ist das einfach nur eine Provokation, wie man sie von Jan Fleischhauer auch gewohnt ist?
    Haberer: Es gibt natürlich auch in der journalistischen Szene zurzeit eine Reihe von Leuten, die glauben, dass sie Aufmerksamkeit mit solchen Slogans bekommen – halte ich für wirklich problematisch und schlimm. Es gibt aber auch auf der anderen Seite diese journalistische Haltung, die sagt zurzeit: Ich habe Angst um unseren Diskurs, ich habe Sorge um unsere demokratische Gesellschaft, also muss ich als Journalistin und Journalist mit Haltung reagieren und muss dann sozusagen mich distanzieren. Es gab, in den Achtzigerjahren war das, glaube ich, mal eine Debatte mit Carmen Thomas, die ja beim WDR gut bekannt war, die ist immer auf die Marktplätze gefahren und hat dann dort auf dem Markt Live-Hörfunk-Sendungen gemacht. Und sie hat immer erzählt, wenn sie zu stark eine bestimmte Meinung vertreten hat, dann hatte sie mit einer Reaktanzreaktion zu tun. Reaktanz heißt, dass wenn die Zuhörer den Eindruck haben, eine bestimmte Meinung wird unterdrückt, dass sie dann besonders diese Meinung bevorzugen. Das ist kommunikationstheoretisch erwiesen, dass man sozusagen den Meinungsausgleich schafft, indem man die verschiedenen Meinungen auf den Markt der Diskussion bringt. In einem Blog wird nicht in einer medialen Öffentlichkeit diskutiert, sondern der hat halt seine Kommentare. Aber ich finde, dass ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk den Auftrag hat, auch solche Meinungen zu hinterfragen – und dann auch festzustellen und zu überführen, wenn man den Eindruck hat, hier vergeht sich jemand an der Sprache, oder Sprache wird mörderisch, oder Sprache wird zerstörerisch. Ich denke, das kann man ja auch zeigen in einer Sendung. Das heißt also, ich bin sehr dafür, dass diese Menschen, die diesen Weg gegangen sind – vermutlich meist aus Verzweiflung, um Aufmerksamkeit zu erregen – dass diese Menschen in einen Diskurs geführt werden. Nicht mit "Nazis rein", bitte nicht; aber mit der Frage "Wie bist Du zu diesen Argumenten gekommen, wenn es überhaupt Argumente sind, die Du heute vertrittst".
    Diskurs der Argumente wird zunehmend verlassen
    Baetz: Das heißt, man müsste fast Jan Fleischhauer dann auch in unserer Sendung dazu befragen.
    Haberer: (lacht) Ich würde gerne erfahren, wie er zu dieser Meinung kommt. Aber das ist ja diskurs-ethisch zurzeit interessant, dass wir den Diskurs der Argumente zunehmend verlassen und immer persönlicher werden. Also wir in der Theologie haben seit Jahrtausenden fast (lacht), seit Jahrhunderten die Unterscheidung von Person und Werk oder Person und Amt, und wir versuchen damit festzuhalten, dass ein Mensch zu beurteilen ist an den Dingen, die er sagt und tut, aber dass das nicht die ganze Person beschreibt. Weil die Person ja immer die Möglichkeit haben muss, es sich noch anders zu überlegen. Oder der schöne theologische Satz "Der Mensch ist immer mehr als die Summe seiner Taten, oder die Summe seiner Untaten", die Möglichkeit sozusagen, die Meinung zu ändern, und gerade David Berger ist ja einer, wenn man seine Biographie mal überblickt, der sich häufig entschuldigt hat, der häufig seine Meinung geändert hat, der häufig immer wieder selbst persönlich wurde zu anderen, aber auf der anderen Seite auch seine Meinungen öffentlich revidiert hat. Aber die Frage ist, warum ein theologisch geschulter Mensch immer so persönlich auf andere losgeht – würde mich auch interessieren. Also ich denke, der Diskurs leidet darunter zurzeit, dass wir nicht Argumente austauschen, sondern dass wir Personen angreifen und das auch zulassen. Und ich denke, das sollte ein öffentlich-rechtlicher-Rundfunk vormachen, er hat das Mandat den öffentlichen Diskurs zu führen, vormachen, wie man es anders macht.
    Baetz: Vielen Dank Frau Haberer!