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Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache

Als die "Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" im Sommer 1996 unterzeichnet wurde, begann eine leidenschaftliche Diskussion: Wo die Initiatoren der Rechtschreibreform der Sprachentwicklung folgende Vereinfachungen sehen, wittern ihre Kritiker eine Gefahr für das Abendland. Proteste und Rechtfertigungen wurden formuliert, Unterschriften gesammelt und Klagen eingereicht. Umso erstaunlicher wirkt es im Nachhinein, dass der historische Vorläufer, die geplante Rechtschreibreform der Nationalsozialisten, dabei kaum eine Rolle gespielt hat. "Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache" - so lautet der Titel, unter dem Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner sich dieses Themas jetzt annehmen.

Detlef Grumbach | 22.05.2001
    Ihr einleitendes Kapitel widmen sie dem auffälligen Beschweigen dieses Zusammenhangs durch die an der aktuellen Reform beteiligten Forscher und Kultuspolitiker. Die historische Hintergründe der aktuellen Rechtschreibreform werden in allen wichtigen Publikationen auf die Beschlüsse Berliner Orthografischen Konferenz von 1901 reduziert, die Jahre zwischen 1933 und 1945 mal in einem einzigen Satz behandelt, mal mit den berühmten drei kleinen Pünktchen übersprungen, was wohl auch damit zusammenhängt, dass die Akteure aus der Nazi-Zeit auch nach 1940 mit der Themmatik befasst waren, und wer sich in seiner Schulzeit mit der lateinischen Grammatik von Rahn/Pfleiderer zum kleinen oder großen Latinum gequält hat, wird hier mit der Information überrascht, dass sich die beiden Forscher 1941 mit den "Grundlagen einer arteigenen Satzlehre" beschäftigt haben.

    In den folgenden Kapiteln skizzieren Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner die hochinteressante und äußerst widersprüchliche Debatte zwischen den Jahren 1933 und 1945. Eine "Gleichschaltung der deutschen Rechtschreibung" wurde schon gleich nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten gefordert, "Vorschläge zur Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung" nach langem hin und her 1941 verabschiedet, zunächst als nicht kriegswichtig eingestuft und vertagt, bis 1944 dann eine leicht abgemilderte, der Neuregelung von 1996 sehr nahe kommende Reform verabschiedet wurde. Auf dem Weg dorthin wurde darüber gestritten, ob Frakturschrift "deutsch" oder "jüdisch" sei, ob man sich aus den Zwängen der lateinischen Grammatik befreien müsse, ob Fremdwörter "unarisch" oder modern sind. Ging es den einen darum, dass "Großdeutschland die beste und modernste Schreibung der Welt haben" soll, wollten andere durch die Einführung der Kleinschreibung 35.000 Tonnen Bleimetall in den Setzereien einsparen. Die Beibehaltung des "ß" in der Kleinschreibung wurde von Adolf Hitler persönlich entschieden, genauso wie die Tatsache, auf die Schaffung eines neuen große "ß" zu verzichten.

    Wichtiger als die Schreibweise war den Ideologen jedoch die - so wörtlich - "Überwindung der volkstrennenden Erscheinungen auf dem Gebiet der Sprache", also eine Gleichschaltung der gesprochenen Sprache: "Weichem, spannungsarmen, saft- und kraftlosem Sprechen setzen wir eine lautungskräftige, fest umrissene, soldatisch gestraffte und gehaltvolle Sprechweise entgegen, die zugleich ihren erzieherischen Einfluss auf die Schreibweise ausübt. Rechtlautung dient auch der Rechtschreibung."

    Gerade an diesem Punkt, an dem großen Gewicht der Sprechweise für die Rechtschreibung, setzt die am Ende des Buchs formulierte sprachwissenschaftliche Kritik der Autoren an der Reform von 1996 an. Die Ersetzung von "ß" durch ein Doppel-s orientiert sie sich am Klang und nicht daran, dass ß auch ein Silbenende markiert. So wird aus einem Wort wie "Meßergebnis" schnell Messer-gebnis. Und wohin es führen kann, dass die Aussprache gar nicht so einheitlich ist wie die Nationalsozialisten sie gerne gehabt hätten, zeigen recht merkwürdige, angeblich der Sprechweise folgenden Silbentrennungen. Sagt man nun Tee-nager oder Teen-ager? Sagt man voll-enden oder vol-lenden? MUSS man die Rechtschreibreform von 1996 nach der Lektüre dieses Büchleins aber nun mit anderen Augen betrachten? MUSS man sie vielleicht sogar in der direkten Tradition des Nationalsozialismus verorten? Die Autoren legen dies nahe, auch wenn dies etwas übertrieben scheint. Wichtig und verdienstvoll ist es aber auf jeden Fall, dass sie die Lücke im öffentlichen Gedächtnis geschlossen haben und das Bewusstsein dafür schärten, dass Eingriffe in die Sprache immer auch eine politische Dimension haben. Als die "Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" im Sommer 1996 unterzeichnet wurde, begann eine leidenschaftliche Diskussion: Wo die Initiatoren der Rechtschreibreform der Sprachentwicklung folgende Vereinfachungen sehen, wittern ihre Kritiker eine Gefahr für das Abendland. Proteste und Rechtfertigungen wurden formuliert, Unterschriften gesammelt und Klagen eingereicht. Umso erstaunlicher wirkt es im Nachhinein, dass der historische Vorläufer, die geplante Rechtschreibreform der Nationalsozialisten, dabei kaum eine Rolle gespielt hat. "Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache" - so lautet der Titel, unter dem Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner sich dieses Themas jetzt annehmen.

    Ihr einleitendes Kapitel widmen sie dem auffälligen Beschweigen dieses Zusammenhangs durch die an der aktuellen Reform beteiligten Forscher und Kultuspolitiker. Die historische Hintergründe der aktuellen Rechtschreibreform werden in allen wichtigen Publikationen auf die Beschlüsse Berliner Orthografischen Konferenz von 1901 reduziert, die Jahre zwischen 1933 und 1945 mal in einem einzigen Satz behandelt, mal mit den berühmten drei kleinen Pünktchen übersprungen, was wohl auch damit zusammenhängt, dass die Akteure aus der Nazi-Zeit auch nach 1940 mit der l nematiK DeTasst waren, una wer sicn in seiner Schulzeit mit der lateinischen Grammatik von Rahn/Pfleiderer zum kleinen oder großen Latinum gequält hat, wird hier mit der Information überrascht, dass sich die beiden Forscher 1941 mit den "Grundlagen einer arteigenen Satzlehre" beschäftigt haben.

    In den folgenden Kapiteln skizzieren Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner die hochinteressante und äußerst widersprüchliche Debatte zwischen den Jahren 1933 und 1945. Eine "Gleichschaltung der deutschen Rechtschreibung" wurde schon gleich nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten gefordert, "Vorschläge zur Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung" nach langem hin und her 1941 verabschiedet, zunächst als nicht kriegswichtig eingestuft und vertagt, bis 1944 dann eine leicht abgemilderte, der Neuregelung von 1996 sehr nahe kommende Reform verabschiedet wurde. Auf dem Weg dorthin wurde darüber gestritten, ob Frakturschrift "deutsch" oder "jüdisch" sei, ob man sich aus den Zwängen der lateinischen Grammatik befreien müsse, ob Fremdwörter "unarisch" oder modern sind. Ging es den einen darum, dass "Großdeutschland die beste und modernste Schreibung der Welt haben" soll, wollten andere durch die Einführung der Kleinschreibung 35.000 Tonnen Bleimetall in den Setzereien einsparen. Die Beibehaltung des "ß" in der Kleinschreibung wurde von Adolf Hitler persönlich entschieden, genauso wie die Tatsache, auf die Schaffung eines neuen große "ß" zu verzichten.

    Wichtiger als die Schreibweise war den Ideologen jedoch die - so wörtlich - "Überwindung der volkstrennenden Erscheinungen auf dem Gebiet der Sprache", also eine Gleichschaltung der gesprochenen Sprache: "Weichem, spannungsarmen, saft- und kraftlosem Sprechen setzen wir eine lautungskräftige, fest umrissene, soldatisch gestraffte und gehaltvolle Sprechweise entgegen, die zugleich ihren erzieherischen Einfluss auf die Schreibweise ausübt. Rechtlautung dient auch der Rechtschreibung."

    Gerade an diesem Punkt, an dem großen Gewicht der Sprechweise für die Rechtschreibung, setzt die am Ende des Buchs formulierte sprachwissenschaftliche Kritik der Autoren an der Reform von 1996 an. Die Ersetzung von "ß" durch ein Doppel-s orientiert sie sich am Klang und nicht daran, dass ß auch ein Silbenende markiert. So wird aus einem Wort wie "Meßergebnis" schnell Messer-gebnis. Und wohin es führen kann, dass die Aussprache gar nicht so einheitlich ist wie die Nationalsozialisten sie gerne gehabt hätten, zeigen recht merkwürdige, angeblich der Sprechweise folgenden Silbentrennungen. Sagt man nun Tee-nager oder Teen-ager? Sagt man voll-enden oder vol-lenden? MUSS man die Rechtschreibreform von 1996 nach der Lektüre dieses Büchleins aber nun mit anderen Augen betrachten? MUSS man sie vielleicht sogar in der direkten Tradition des Nationalsozialismus verorten? Die Autoren legen dies nahe, auch wenn dies etwas übertrieben scheint. Wichtig und verdienstvoll ist es aber auf jeden Fall, dass sie die Lücke im öffentlichen Gedächtnis geschlossen haben und das Bewusstsein dafür schärten, dass Eingriffe in die Sprache immer auch eine politische Dimension haben.