Samstag, 20. April 2024

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Rechtsextremer Terror im Netz
"Er hat seinen Highscore verfehlt"

Terror im Live-Stream: Um Anerkennung und Nachahmer zu finden, nutzte der rechtsextreme Täter von Halle populäre Online-Plattformen. Die Gaming- und Netzkultur sei für junge Männer zunehmend ein Ort möglicher Radikalisierung, sagte Kulturwissenschaftler Christian Huberts im Dlf.

Christian Huberts im Gespräch mit Susanne Luerweg | 11.10.2019
Hand hält Handy mit Twitch-App
Das Streaming-Portal "Twitch" wird auch für rechtsextreme Hetze genutzt (imago stock&people / Broker/ Valentin Wolf)
Susanne Luerweg: Er bezeichnete sich selbst als "Anon" und übertrug seine Tat live ins Internet. Der rechtsextreme Attentäter aus Halle reiht sich in eine neue Form des Terrorismus ein, die in populären Online-Communities nach Anerkennung und potentiellen Nachahmern sucht. Welche Communities das sind und wie die Radikalisierung im Netz abläuft, darüber spreche ich mit dem Kulturwissenschaftler Christian Huberts. Guten Tag, Herr Huberts.
Christian Huberts: Guten Tag.
Luerweg: Herr Huberts, fangen wir doch mal einfach ganz von vorne an. Von welchen Online-Plattformen reden wir hier konkret?
Huberts: Es handelt sich vor allem um Plattformen aus der Gaming- und Netzkultur. "Steam" zum Beispiel ist ein digitaler Distributionsdienst für Computerspiele mit mehr als 150 Millionen aktiven Nutzerinnen und Nutzern weltweit. Neben dem Shop, verfügt "Steam" aber auch über einen Community-Bereich, in dem sich die Nutzerinnen und Nutzern wie in einem sozialen Netzwerk in Profilen präsentieren, Gruppen gründen und diskutieren können.
Luerweg: Das klingt jetzt für meine Ohren auf den ersten Blick recht harmlos.
Huberts: Das stimmt. In der Vergangenheit ist die Plattform aber auch immer wieder in die Kritik geraten, weil gerade in den weitgehend unmoderierten Gruppen regelmäßig rechtsextreme, antisemitische oder sexistische Inhalte geteilt werden. Wobei sich nicht genau sagen lässt, ob die Nutzerinnen und Nutzer eine tatsächliche Ideologie verbreiten oder schlicht provozieren wollen. Durch den wachsenden öffentlichen Druck löscht Steam mittlerweile jedoch vermehrt Gruppen, die Hass verbreiten oder Massenmörder wie Anders Breivik verehren. Die betroffenen Gruppen ziehen dann einfach auf zugangsbeschränkte Sprach- und Textchats wie Discord oder Telegram oder aber auf anonyme Foren wie "4chan" um. Hier müssen sie keine Moderation fürchten und entsprechend roh ist die Rhetorik. Vor allem auf "4chan" werden sehr unverblümt rassistische und sexistische Inhalte geteilt, sowie die Opfer-"Highscores" von Attentätern verglichen.
"Gamifizierung" des Terrors
Luerweg: "Highscore", das klingt wie in einem Computerspiel. Wird hier rechtsextremer Terror "gamifiziert", also zum Spiel gemacht?
Huberts: In erster Linie werden Ökonomien der Aufmerksamkeit "gamifiziert". Es hat sich auf "4chan" und anderen Plattformen ein regelrechter Wettkampf um Sichtbarkeit etabliert, in dem sich möglichst provozierende Aussagen als effektivste Strategie herausgestellt haben. Und rechtsextreme Attentäter nutzen diese Kommunikationsmuster und Verbreitungskanäle der Gaming- und Netzkultur zunehmend aus, um sich zum Teil dieser Überbietungslogik zu machen. Wenn der Täter von Christchurch zum Beispiel in seinem Live-Stream dazu auffordert, den YouTube-Kanal "PewDiePie" des Schweden Felix Kjellberg zu abonnieren: Dieser hatte etwa in einem seiner Videos zwei Inder dafür bezahlt, ein Schild mit der Aufschrift "Tod allen Juden" hochzuhalten.
Luerweg: Der Attentäter von Halle wollte diese Forderung offenbar in die Tat umsetzen. Radikalisieren sich junge Männer auf diesen Plattformen, auf "Steam", "4chan" und Co.?
Huberts: Darüber lässt sich im vorliegenden Fall aktuell nur mutmaßen. Sicher ist aber, dass junge Menschen in der Gaming- und Netzkultur regelmäßig unmoderierten Inhalten ausgesetzt sind. Ein ironisches Meme kann dort neben dem antisemitischen Manifest eines Attentäters zu finden sein. Gerade junge Männer mit Anerkennungsdefizit können sich über den Umweg der Provokation so schleichend radikalisieren und etwa verschwörungsideologische Erklärungsmuster verinnerlichen.
Ästhetik eines Ego-Shooters
Luerweg: Wir müssen noch auf eine weitere populäre Online-Plattform zu sprechen kommen, das ist der Streaming-Dienst "Twitch". Hier haben die Attentäter von Christchurch und Halle ihre Morde live ins Netz gesendet. Erinnert das bewusst an die Ästhetik eines Ego-Shooters?
Huberts: Das ist nicht ganz auszuschließen. Entscheidender ist meiner Meinung nach aber auch hier die große Popularität von Live-Streaming und so genannter "Let’s Plays" in der Gaming-Kultur. Der schon genannte Felix Kjellberg hat mittlerweile mehr als 100 Millionen Abonnenten und das auch mit Videos zu eher gewaltarmen Open-World-Spielen wie Minecraft. Und der Twitch-Streamer "Ninja" hat teilweise mehr als 600.000 Zuschauer bei seinen Streams. Vor allem diese potentielle Reichweite wollen sich Attentäter zunutze machen.
Luerweg: Aber dennoch: Computerspiele – gerade diese Ego-Shooter – standen in der Vergangenheit immer wieder unter Verdacht, reale Gewalt auszulösen. Was würden Sie sagen: Spielt das hier auch eine Rolle?
Vermeintliche Opfer eines linken Mainstreams
Huberts: Aktuelle Studien können in diesem Zusammenhang nur geringe Effekte und vor allem keine singulären Kausalitäten feststellen. Wahrscheinlicher ist, dass hier gesamtgesellschaftliche Konflikte auf dem Spielfeld der Gaming- und Netzkultur ausgetragen werden. Die jüngsten, rechtsextremen Terrorakte eint vor allem rassistische und antisemitische Verschwörungsideologie sowie ein stark ausgeprägter Antifeminismus. Die meist männlichen und weißen Täter sehen sich als Opfer eines linken Mainstreams, den es im Zweifelsfall mit Gewalt zu bekämpfen gilt.
Luerweg: Der Täter von Christchurch wird auf "4chan" als Held verehrt. Und wie wird das aktuelle Attentat aufgenommen? Wird das diskutiert?
Huberts: Ja, und trotz der sehr tragischen Opfer wird vor allem mit viel Spott reagiert. Der Attentäter von Halle wird auf "4chan" als Verlierer wahrgenommen, der die in seinem Manifest definierten "Achievements", also Leistungen, nicht erbracht hat. Der allgemeine Tenor ist eher: Er hat seinen "Highscore" verfehlt.
Luerweg: Und das würden Sie schon in Zusammenhang bringen mit dem, was Sie eben gesagt haben: man muss da Leistung erbringen. Und der Leistungsdruck kann sich äußern, wie er sich hier geäußert hat?
Huberts: Genau. Also bestimmte Spielstrukturen, die eben einfach Hierarchien verknüpfen mit Leistungen in einem Spiel, werden hier direkt übertragen auf die grausame Realität eines Attentats. Und entsprechend wird genauso reagiert.