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Rechtsextremismus

Es gibt zwar immer weniger Rechtsextreme, aber wenn sie zuschlagen, sind sie brutaler denn je zuvor. So lässt sich der Bundesverfassungsschutzbericht über die rechtsextreme Szene in Deutschland kurz zusammenfassen, der in dieser Woche vorgestellt worden ist.

Von Claudia Sanders | 25.05.2004
    Rückblende. Düsseldorf: Ein Julitag im Sommer 2000. Eine Gruppe von jüdischen Einwanderern wartet an der S-Bahnstation Wehrhahn, sie wollen nach dem Sprachunterricht nach Hause fahren. Plötzlich ein Knall: Metallsplitter fliegen umher, zehn Menschen werden verletzt, eine schwangere Frau verliert ihr ungeborenes Kind. Die Täter: vermutlich Rechtsextremisten.

    Bundeskanzler Schröder: Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen.

    Ob tatsächlich Rechtsextremisten hinter dem Anschlag stecken ist unklar. Die Polizei hat mittlerweile Spuren in alle Richtungen verfolgt: Von der Russenmafia bis hin zu El Kaida-Gruppen, doch der Fall ist immer noch ungelöst. Der von Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgerufene "Aufstand der Anständigen" zeigte jedoch Wirkung:

    Ich denke, dass das richtig ist, dass auch der Bundeskanzler sich immer wieder einmischt in solche Sachverhalte, und ich denke, er hatte damals Veranlassung, sich da sehr deutlich zu äußern, und ich hab das als eine große Hilfe und eine Orientierung empfunden.

    Meint der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz. Sein Kollege Hartmut Büttner von den Christdemokraten und die Bundestagsabgeordnete Jutta Dümpe-Krüger von Bündnis90/Die Grünen sind dagegen verhaltener:



    Büttner: Er hat mehr Aufmerksamkeit bewirkt, und vor allem, er hat die intellektuellen Rechtsradikalen, die es ja auch gibt, und Rechtsextremisten zum Nachdenken gebracht. Ich denke mal, wir haben eine geistige Auseinandersetzung mit dieser ganz kleinen und schmalen Elite führen können. Das war allerdings fast das einzige, nach dem großen Aufschrei ist nicht mehr viel erfolgt.

    Dümpe-Krüger: Ich bin der Ansicht, es war ein notwendiges Signal gegen Intoleranz aber es ist auch so, obwohl es ein großes Ereignis ganz sicherlich war, hat es letzten Endes zu keinem Mentalitätswandel geführt.

    Was sich nun tatsächlich geändert hat, müsste sich doch eigentlich mit einem Blick auf die erfassten Straftaten erkennen lassen. Doch dem ist nicht so. Denn der "Aufstand der Anständigen" hat auch zur Folge gehabt, dass Polizei und Verfassungsschutz rechtsextreme Straftaten nun anders "zählen" als vorher. Beispiel Gewalttaten: Dafür gab es eine Rubrik, die der rechtsextremen Gewalttaten. Seit 2001 gibt es nun zwei Rubriken: Rechtsextreme Gewalttaten und politisch rechts motivierte Gewalttaten. Der Unterschied läge in der Motivation der Täter, so die Begründung für die neue Zählweise. Verprügelt und misshandelt ein Jugendlicher einen Ausländer, und ruft dabei Nazi-Parolen, dann gilt er nur dann als Extremist, wenn er mit dieser Tat die Bundesrepublik in ihren Grundfesten erschüttern will. Ist das nicht der Fall, wird die Tat unter der Rubrik "politisch motiviert rechts" verbucht. Somit wird rein statistisch die Zahl der als "rechtsextremistisch" verbuchten Gewalttaten geringer.

    Nach der alten Zählweise gab es im Jahr 2000 insgesamt 998 rechtsextremistische Gewalttaten. 2001 gab es davon "nur" 701 Straftaten, zusätzlich aber noch 279 politisch rechts motivierte Taten, was zusammen - nach der alten Zählweise- also 980 Fälle ergibt.

    2002 kann ein leichter Rückgang verbucht werden: Zusammen sind es 940 von Rechten ausgeführte Gewalttaten, wobei 772 von Rechtsextremisten ausgeführt worden sind.

    Und für das vergangene Jahr sehen die Zahlen so aus: Insgesamt gab 845 politisch motivierte Gewalttaten rechts, 759 davon werden Rechtsextremen zugeschrieben.

    Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 11.576 rechte Straftaten. Zum Vergleich: Es wurden 3.614 politisch motivierten Straftaten von Links verzeichnet.

    Doch was hat nun der Aufstand der Anständigen in der rechten Szene bewirkt?

    Das Echo war zwiespältig. Zunächst definiert sich die rechtsextremistische Szene, wie im übrigen auch andere Extremismusspektren natürlich zum Teil auch über öffentliche Wahrnehmung: Man will wahrgenommen werden, und wenn eine solche Maßnahme erfolgt fühlt man sich eigentlich erst mal zunächst beachtet. Das war die eine Seite. Aber sehr schnell wurde das davon abgelöst, dass man merkte, dass in der Tat Sicherheitsbehörden, oder sagen wir insgesamt der Staat aber auch das Stichwort zivilgesellschaftliches Engagement den Rechtsextremismus in den Focus, wenn sie es martialisch wollen ins Visier nahm.

    ...hat Heiner Wegesin festgestellt, er ist der Chef des Verfassungsschutzes in Brandenburg. Sein Kollege Hartwig Möller leitet den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen:


    Ich denke man hat gemerkt, dass die Zielrichtung, die man vorhatte einen Durchmarsch zu machen und hier einfach unbemerkt Macht zu demonstrieren und politische Bedeutung zu erobern, dass das an Grenzen gestoßen ist.

    Eine wirkliche Verunsicherung der rechten Szene durch den "Aufstand der Anständigen" ließe sich weder in Ost- noch in Westdeutschland feststellen – darin sind sich die beiden Verfassungsschützer einig. Im Gegensatz zur politischen Bewertung. Im CDU-regierten Brandenburg wirken manche Dinge anders, als im SPD-geführten Nordrhein-Westfalen

    Wegesin: Letztendlich meine ich, wenn man die Dinge heute anschaut, einige Zeit nach dieser Phase der Innenpolitik und der Extremismusdiskussion im politisch-gesellschaftlichen Raum sehe ich eigentlich weder in die eine noch in die andere Richtung nachhaltige Auswirkungen.

    Möller: Sicher, auch das lässt sich nicht bestreiten, dass natürlich eine Kerze gegen Rechts anzünden einen eingefleischten Neonazi nicht beeindruckt. Das muss man sehen, aber ich glaube, dass der Staat und die Gesellschaft hier, insofern würde ich den Aufstand der Anständigen durchaus ernst nehmen, ich meine er hat was bewirkt.

    Was er bewirkt hat, lässt sich konkret an entstanden Programmen nachvollziehen. Sie wurden mit dem "Aufstand der Anständigen" initiiert und nennen sich Entimon, Zivitas und Xenox. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise unterstützen sie die Aufklärungsarbeit über den Rechtsextremismus. Dazu gehören beispielsweise auch so genannte mobile Beratungsteams und Opferberatungsstellen und Stellen, wo Rechtsextreme eine Ausstiegshilfe angeboten wird. Die Bundestagsabgeordnete Jutta Dümpe-Krüger, Bündnis90/Die Grünen:

    Es ist ja so, dass bis 2006 vom Bund für Entimon und Zivitas 63,3 bzw. 44,1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, ich denke es ist ganz wichtig, und das zeigt die Arbeit in der Praxis, dass diese Programme darüber hinaus verstetigt werden, wir versuchen in der Koalition mit Rot-Grün im Moment darüber nachzudenken, ob es wichtig wäre, denn der Bund kann ja immer nur Modellprojekte auflegen, zum Beispiel eine Stiftung ins Leben zu rufen, gerade für die Arbeit gegen Rechtsextremismus, damit man kontinuierlich weiter was probiert, denn das Problem ist natürlich auch in 2006 nicht erledigt.

    Oder anders ausgedrückt: Geld für den "Aufstand der Anständigen" ist auf Bundesebene nur bis zum Jahr 2006 eingeplant. Ob es auch weiterhin Mittel dafür gibt, ist ungewiss. Falls nicht, ist zumindest in dieser Hinsicht der Aufstand der Anständigen im Jahr 2006 beendet. Dem ein oder anderen wäre das auch nicht ganz unrecht. Der Bundestagsabgeordnete und Christdemokrat Hartmut Büttner:

    Es gab drei verschiedene Programme, ich denke an Zivitas und andere, die durchaus auch vom Bundesrechnungshof hinterfragt worden sind ob ihrer Wirksamkeit. Ich kann mir vorstellen, dass die Wirksamkeit, wenn man das Kommunen in die Hand geben würde, dasselbe Geld, vor Ort sehr viel größer wäre als wenn man das abstrakt versucht aus Berlin aufgrund einer Antragslage zu entscheiden.

    Wobei allen Beteiligten aber auch klar ist, dass die Kommunen eben kein Geld haben, um solche Programme zu unterstützen. Dieter Wiefelspütz, SPD:

    Ich bin aber dafür, dass man diese Ansätze immer wieder neu überprüft auf ihre Effektivität, auf ihre Sinnhaftigkeit. Aber ich bitte um Verständnis, man sollte sie nicht denunzieren, wie es gelegentlich von der ein oder anderen Stelle auch geschieht.

    Doch Hartmut Büttner setzt auch auf einen anderen Ansatz, als nur auf die reine Aufklärungsarbeit:

    Mehr gebracht hat die Repression gegenüber Rechtsextremisten. Besonders hart gegen sie vorzugehen war sehr viel wirkungsvoller, denn die Zahlen gehen jetzt eindeutig zurück. Sowohl was die Zahlen der Rechtsextremisten angehen insgesamt als auch die Mitgliedschaft in den Parteien.

    Ein Teil dieses harten Vorgehens war auch das Verbotsverfahren gegen die NPD. Die Karlsruher Richter entschieden aus formalen Gründen letztendlich zwar nicht darüber, und das Verfahren wurde eingestellt. Dennoch sei dies ein wichtiger Schritt gewesen, meint Hartwig Möller, Chef des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen:

    Die Entwicklung in der NPD ist also wellenförmig verlaufen, teilweise war man sehr siegessicher. Im Gegenteil, wir werden jetzt als zu Unrecht Verfolgte hier von dem Staat behandelt, und wir werden in dem Prozess obsiegen, und wir werden hinterher geläutert mit einer staatlichen Anerkennung als verfassungstreu auftreten können und werden möglicherweise weitere Mitglieder gewinnen, das war eine Hoffnung, die man hatte.

    Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht, konstatiert auch Heiner Wegesin vom Verfassungsschutz in Brandenburg:

    Die hat sich da eigentlich diskreditiert und man hat da gemerkt, dass das Stichwort "Kampf um die Straße", die uns insgesamt sehr viel Sorge gemacht hat, dass die gewaltbereite Skinhead-Szene als Vorlauferhitzer für eine NPD-Rekrutierungs-Politik dienen würde, da hat sich gezeigt dass dieses jugendliche Milieu diesen verzopften vereinsmeierischen Altherrenstil der NPD, auch wenn die meinen, die könnten sich ganz cool dann mal nach unten im Lebensalter herunter harmonisieren, nicht funktioniert und funktionieren wird. Ich denke das werden wir doch als ein etwas länger anhaltendes Phänomen beobachten.

    Das auf der einen Seite wenig erfolgreiche Auftreten der "etablierten" rechtsextremen Parteien wie der NPD, hat auf der anderen Seite eine zunehmende Attraktivität der so genannten "freien Kameradschaften" zur Folge. Diese freien Kameradschaften entstanden besonders Anfang der 90er Jahre, nachdem eine ganze Reihe von rechtsextremen Vereinen verboten worden war. In den Kameradschaften hoffte man, weniger überwach- und angreifbar zu sein, um in diesen kleinen Zusammenschlüssen ungestörter agieren zu können. Heiner Wegesin:

    Wobei es natürlich noch an der Schärfe und der Attraktivität einer programmatischen Aussage hapert, letztendlich sehen wir, dass diese Szene versucht, dass sich doch abzeichnende Vakuum im organisierten Parteienbereich im rechten Spektrum , schauen Sie sich NPD, DVU, REPs auch bundesweit an, ich will nicht von einer Implosion reden, aber das ist alles sehr retrograd, und da gibt es Räume, in denen diese jungen Leute meinen hineingehen zu können.

    Wobei diese freien Kameradschaften zum Teil heftig untereinander zerstritten sind und es auch an einer charismatischen Führungspersönlichkeit fehlt, die die verschiedenen Strömungen unter einen Hut bringen könnte. Zum Glück ist das so - meinen die Verfassungsschützer.

    Und noch eine andere Entwicklung beobachten Experten kritisch. Der Bundestagsabgeordnete Hartmut Büttner formuliert das so:

    Eigentlich würde ich gerne noch mal sagen, dass also heute Links- und Rechtsextremisten häufiger denn je immer wieder zusammen arbeiten. Da habe ich ein großes Maß an Unbehagen, weil ich also sehe, dass sich offensichtlich die Extreme von beiden Seiten irgendwo wieder treffen. Also nationale Sozialisten und sozialistische Nationalisten treffen sich da ganz leicht im Kampf gegen die Demokratie.

    Dem Grunde nach ist diese Tendenz nicht so neu, aber sie hat sich seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch verstärkt – weil plötzlich ähnliche Themen auf der politischen Agenda standen.

    Möller: Natürlich ist es ja ein altes Phänomen, dass sich Extreme in gewissen Grenzen auch anziehen, und hier in diesem Bereich Rechts/Links gibt es natürlich gewisse gemeinsame Schnittmengen, und die liegen bei vielen Linken, nicht bei allen, in der Gegnerschaft zu Israel, in einer pro-palästinensischen Haltung, aber wie gesagt, nicht alle, es gibt da Ausnahmen, in der Gegnerschaft zu Amerika, zu den USA, in der Ablehnung der Globalisierung, aus ganz unterschiedlichen Gründen, das sind natürlich Parallelen. Man kann ja sagen, die gemeinsame Gegnerschaft, der gemeinsame Feind könnte sogar Freundschaften schaffen. Soweit würde ich hier nicht gehen.

    Wobei es aber nicht mehr nur die rechtsextremen Parteien sind, die diese politisch doch auf den ersten Blick eher "links" anmutenden Themen besetzen, sondern auch die freien Kameradschaften, was in dieser starken Form durchaus neu ist.
    Heiner Wegesin:

    Die gesellschaftspolitischen Probleme aufnehmen. Also zum Thema Irak kriegen sie einmal aus der Ecke Pazifismus, man lacht sich tot, das Thema sozialpolitische Reformen wird natürlich auch thematisiert, letztendlich nimmt diese neue Form, sagen wir eine sich öffnende Kameradschaftsszene, die aktionsorientiert den öffentlichen Raum durchaus aufsucht, der NPD ein Stück weit auch die Luft zum Atmen.

    Diese Themenähnlichkeit führt mitunter zu abstrusen Situationen. Links- und Rechtsextreme nebeneinander während einer Demonstration:

    Möller: Es gab linke Demonstrationen gegen Globalisierung, wo es Rechten gelungen ist, unterzuschlüpfen, und manche haben es gar nicht gemerkt. Also, meines Wissens in Mecklenburg-Vorpommern hat es so eine Demonstration gegeben, wo erst hinterher klar war, den Demonstrationsanmeldern, welchen ungewollten Genossen sie mit in ihrer Demonstration hatten. Aber das ist eher die Ausnahme. Die Rechte bemüht sich darum, das ist sicherlich richtig, die Linke wehrt es aus ideologischen Gründen ab, aber es ist nicht zu übersehen, dass es gewisse Schnittmengen des gemeinsamen Feindbildes gibt.

    Während solche Schnittmengen eher selten sind, profitieren Rechtsextreme dennoch vom linksextremistischen Spektrum, indem sie ihre Strategien kopieren. Die linksextreme Antifa nennt sich bei Rechtsextremen Anti-Antifa und verfolgt das selbe Ziel: Den politischen Gegner im wahrsten Sinne des Wortes anzugreifen. Während es diese Taktik in beiden extremen Lagern schon länger gibt, ist eine andere Gemeinsamkeit neu:

    Möller: Im Auftreten, in dem man den schwarzen Block kopiert, indem man sich bei den Demonstrationsverhalten so ähnlich zeigt, wie man das von dem so genannten schwarzen Block auch schon gewohnt war.

    Der schwarze Block: Eine Gruppe innerhalb einer Demonstration, die vornehmlich vermummt und schwarz gekleidet erscheint. Oft werden genau aus dieser Gruppe heraus Straftaten begangen. Und tatsächlich war solch ein schwarzer Block auch während der NPD-Demonstration am 1. Mai auszumachen. Dieser schwarze Block – der allerdings aus Mitgliedern von freien Kameradschaften bestand- versuchte gezielt die Polizeiketten zu durchbrechen. Dieses Verhalten von Rechtsextremen ist neu und erstaunlich, denn:

    Möller: Also in der Vergangenheit war es ganz eindeutig immer so, dass die Rechtsextremisten beinah krampfhaft bemüht waren, der Polizei keine Handhabe zu geben. Demonstrationen aufzulösen, in Demonstrationen hineinzugehen, um einzelne Demonstranten heraus zu holen, man hielt sich an die Auflagen, man hielt die Verpflichtungen ein, man hat verhandelt über die Wege, Auflagen beachtet, und man hat sich alle Mühe gegeben, der Polizei und auch den Gegendemonstranten keine Handhabe zu geben.

    Generell würde solch ein schwarzer Block aber zu der Entwicklung passen, die der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Fromm, vor einigen Tagen festgestellt hat: Es gebe zwar nicht mehr Rechtsextreme, aber die Qualität der Straftaten habe sich geändert: Hin zu mehr Gewalttätigkeit. Wobei Hartwig Möller noch vorsichtig ist, den Berliner Vorfall zu verallgemeinern:

    Diese jüngste Entwicklung in Berlin ist insofern eher atypisch. Ich kann noch nicht sagen, ob das jetzt eine neue Haltung wird, ob diese gesetztreue Haltung, ob diese Linie aufgegeben wird, ob man sagt, wir werden uns jetzt genauso verhalten wie unsere Gegner, wir trauen uns das jetzt wieder zu, da muss man die weitere Entwicklung abwarten.

    In einem sind sich Politiker und Experten allerdings einig: Ein Aufstand der Anständigen, so wie er vor knapp vier Jahren von Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgerufen worden ist, kann letzten Endes nur ein Signal, ein Anstoß sein, mehr nicht. Dieter Wiefelspütz von der SPD:

    Die rechtsextremistische Szene verändert sich, eigentlich fast täglich. Es gibt immer wieder neue Entwicklungen, auf die man sich immer wieder neu einstellen muss, und in der Tat Gewaltbereitschaft gibt es in diesem Bereich eben halt auch, und da gibt es überhaupt nichts zu verharmlosen, da und dort gibt es auch durchaus besorgniserregende Entwicklungen, wo man tatsächlich den Eindruck hat, dass die Gewalttätigkeit an der ein oder anderen Stelle noch exzessiver ausgelebt wird, und da muss man sehr, sehr aufmerksam sein und alle Register des Rechtsstaates und des Strafrechtes ziehen. Denn da wo Menschen sich bereit fänden, gewalttätig ihre verfehlten Ziele durchsetzen zu wollen, da ist nun wirklich die Grenze längst überschritten, die in einem Rechtsstaat zu dulden ist.

    Doch in der Öffentlichkeit wird diese Grenzüberschreitung nur noch gelegentlich registriert, resümiert Jutta Dümpe-Krüger von den Bündnisgrünen:

    Das Problem zeigt sich in Wellen, wenn es jetzt also wieder dazu kommt, also zu einem richtigen schlimmen Vorfall kommen würde, wir würden wieder alle auf der Straße stehen, das Problem wäre damit immer noch nicht erledigt, in dem Falle zeigt es sich aber, alle sagen, wir müssen was tun. In dem Moment, wo viele Menschen den Eindruck haben: Momentan ruht still der See, der ruht ja überhaupt nicht, es gibt täglich Übergriffe, die aber medial leider nicht so kommuniziert werden. In dem Moment, wo man also das Gefühl hat, es ist ja gar nicht so, man hört ja auch nichts, ist dann auch schnell so eine Haltung da wie: Ne, das haben wir schon erledigt, das Problem, und es ist nicht wirklich so.

    Übrigens: Die rechtsextremistische Szene hat diesen Aufstand der Anständigen nicht nur belächelt, sondern auch konterkariert: Horst Mahler, einst RAF-Terrorist, zwischenzeitlich NPD-Mitglied und heute aktiver Rechtsextremist, hat seinerseits einen Aufstand der Wahrheit aufgerufen. Das sei der Beginn einer "deutschen Intifada", kündigte er vollmundig in dem Pamphlet an. Und weiter schreibt er:

    Die Wahrheit siegt!
    Die Lüge vernichtet sich selbst!
    Den Holocaust gab es nicht!
    Das Deutsche Reich kommt
    im Aufstand des Deutschen Volkes zu sich.


    Für Demokraten bleibt angesichts solcher Parolen noch einiges zu tun.