Gerwald Herter: Einige der Serben, die ganz im Norden des Kosovo leben, bezeichnen diese Region mit bitterem Humor als den größten Duty-Free-Shop der Welt. Keine staatliche Autorität kann hier Regeln wirklich durchsetzen, weder die Regierung in Belgrad, weil der Norden des Kosovo nicht auf serbischem Staatsgebiet liegt, noch die in Pristina. Dort wird die Regierung des Kosovo von Albanern dominiert, im Norden bleiben Zehntausende Serben weitgehend unter sich.
Die Lage hat sich in den letzten Tagen zugespitzt: Als Pristina Sonderpolizisten an zwei Grenzübergänge schickte, wurde einer der Polizisten erschossen. Derzeit sichern Soldaten der KFOR-Truppe die beiden Grenzposten. Straßensperren, von Serben errichtet, behindern den Verkehr. Wie lange kann so etwas gut gehen? Darüber habe ich mit Wolfgang Klotz von der Heinricht-Böll-Stiftung gesprochen.
- Herr Klotz, ist das tatsächlich so etwas wie ein Niemandsland da im Norden des Kosovo?
Wolfgang Klotz: Das ist ein rechtsfreier Raum, weitestgehend. Und das ist es seit über zehn Jahren, es ist so seit der berühmten UN-Resolution 1244, die, wie Sie geschildert haben in der Anmoderation, dem einen Staat sozusagen nicht erlaubt, diese Region unter sein Recht zu stellen oder sein Recht dort durchzusetzen, genau so wenig wie dem anderen.
Herter: Das heißt, wenn da jemand seine Stromrechnung nicht bezahlt, kann das auch schwer durchgesetzt werden?
Klotz: So ist es. Und es wird auch nicht durchgesetzt. Und es fahren auch Autos ohne Kraftfahrzeugkennzeichen durch die Gegend und es wird alles Mögliche über diese Grenze hin und her ausgetauscht ...
Herter: ... auch illegale Güter ...
Klotz: ... auch illegale Güter, natürlich, auch Menschenhandel, auch Rauschgifte. Das ist alles evident, nur über das Ausmaß des Ganzen sozusagen gibt es naturgemäß keine verlässlichen Informationen. Das heißt, es blühen alle Arten von Verschwörungstheorien über das, was da wirklich abgeht.
Herter: Es heißt immer wieder, nach Schätzungen sollte da ein Umsatz gemacht werden von mehreren Hundert Millionen Euro im Jahr. Ist das eine Dimension, die man als realistisch betrachten kann?
Klotz: Der legale Export von Gütern des alltäglichen Lebens aus Serbien für diesen Norden des Kosovo betrug im letzten Jahr 260 Millionen Euro. Das ist nur der legale, an der Grenze durch ordentliche Zollkontrollen erfasste Warenverkehr, auf den allerdings Pristina keinen Einfluss hatte bisher. Was daneben an schwarzem Warenaustausch, Dienstleistungsaustausch, läuft, darüber, wie gesagt, gibt es nur Verschwörungstheorien. Aber diese 260 Millionen geben eine Ahnung sozusagen von dem, worum es geht. Wenn jetzt Pristina eben möchte, dass diese Grenzkontrollen sozusagen seiner ordentlichen Kontrolle unterstellt werden. Und darum ging es ja bei der Auslösung dieses ganzen jetzigen Konflikts.
Herter: Pristina will Zolleinnahmen und die ganzen Sachen abfertigen. Bleiben wir aber noch mal kurz bei den Kriminellen: Angeblich arbeiten in dieser Region Kosovo albanische Kriminelle und vielleicht auch serbische Kriminelle, vielleicht auch Montenegriner Hand in Hand zusammen, und angeblich haben die gemeinsame Interessen. Können Sie das bestätigen?
Klotz: Ja, die organisierte Kriminalität ist nicht ethnisch verfasst. Das war aber noch nie so gewesen. Es gibt, seit der NATO-Interventionen 1999 gibt es zum Beispiel einen ungeheuren Landbedarf der albanischen Bevölkerung. Einen Bedarf nach Land, das sich in serbischem Besitz zum Teil befand vorher. Und viele Serben, die den Kosovo verlassen haben, haben ihr Land verkauft und sie haben es in relativ wenigen Fällen direkt an Albaner verkauf, die im Kosovo lebten. Das ist ein Riesengeschäft gewesen und ist es vermutlich auch noch. Und es ist ein Geschäft, was sich weitgehend auch der Kontrolle entzieht. Es gibt nach wie vor kein funktionierendes Kataster im Kosovo, weil die Serben 1999 sämtliche Katasterunterlagen des Landes mit nach Belgrad benommen haben und sie bis heute nicht zurückgegeben haben.
Herter: Also deswegen Probleme mit dem Grundbesitz. Nun haben Sie es selber angesprochen: Es ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen, seit der Krieg da zu Ende ging, im Sommer 1999. Was sind die Gründe dafür, dass der internationalen Gemeinschaft nicht gelungen ist, auch im Norden des Kosovo Recht und Gesetzgültigkeit zu verschaffen?
Klotz: Weil die internationale Gemeinschaft sich nicht einig ist darüber. Es gibt als die sozusagen oberste Instanz rechtlich gesehen die UN-Resolution 1244, die den Kosovo zu einem Protektorat der Vereinten Nationen erklärt. Es gibt einen Teilkonsens der internationalen Gemeinschaft, diesen Staat nach seiner Unabhängigkeitserklärung 1998 als unabhängigen Staat anzuerkennen, aber es gibt innerhalb der EU fünf Staaten, die sich dieser Position nicht angeschlossen haben. Also ist die EU heute in vielfachen Aktivitäten im Kosovo tätig, mit vielfachen Institutionen, EULEX, mit verschiedensten, auch die politischen Stiftungen sind dort aktiv und ja, es tummelt sich sozusagen die ganze EU im Kosovo, aber man ist sich nicht einig innerhalb der EU, diesen Staat als einen unabhängigen anzuerkennen. Also ist, alles, was die EU dort tut und die ihr untergeordneten Institutionen dort tun, steht unter dem Vorbehalt. Und dieser Vorbehalt äußert sich territorial darin, dass de facto all diese Institutionen im Norden des Kosovo keinerlei wirkliche administrative oder exekutive Macht ausüben.
Herter: Und schauen wir noch mal in die Region, die Regierung dort: Belgrad kann sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die Kosovo-Serben zu verraten. Und deswegen ist der Handlungsspielraum hier sicherlich eingeschränkt?
Klotz: Belgrad hat meiner Meinung nach eine eindeutige politische Option, die auf die Teilung des Kosovo hinausläuft. Das ist seit Jahren eine weitestgehend unausgesprochene Option gewesen. Sie ist jetzt im April vom serbischen Innenminister erstmals öffentlich ausgesprochen worden, allerdings als seine persönliche private Meinung.
Herter: Und Pristina wird das nicht hinnehmen können?
Klotz: Nein, Pristina nimmt das natürlich nicht hin, aber beide müssen miteinander sprechen. Beide sitzen an einem runden Tisch in Brüssel unter der Ägide der EU. Und worüber sollen sie sprechen: Die EU sagt, ihr müsst über Fragen des alltäglichen Lebens sprechen, damit die Leute endlich da zu besseren Verhältnissen kommen, aber ihr dürft nicht über diese grundsätzlichen Fragen sprechen. Zumindest Belgrad möchte, möchte über diese grundsätzlichen Fragen sprechen, aber eben mit einer bestimmten Option. Pristina kann sich auf diese Fragen nicht einlassen, weil es keine einheitliche Unterstützung seitens der EU hat. Der Rechtsstandpunkt Belgrads nach wie vor sozusagen von fünf EU-Mitgliedsstaaten geteilt wird. Dieses Dilemma beschreibt die Szenerie, in der all diese Konflikte stattfinden.
Herter: Informationen von Wolfgang Klotz vom Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Belgrad, das Gespräch haben wir aufgezeichnet. Herr Klotz, herzlichen Dank für das Gespräch!
Klotz: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Die Lage hat sich in den letzten Tagen zugespitzt: Als Pristina Sonderpolizisten an zwei Grenzübergänge schickte, wurde einer der Polizisten erschossen. Derzeit sichern Soldaten der KFOR-Truppe die beiden Grenzposten. Straßensperren, von Serben errichtet, behindern den Verkehr. Wie lange kann so etwas gut gehen? Darüber habe ich mit Wolfgang Klotz von der Heinricht-Böll-Stiftung gesprochen.
- Herr Klotz, ist das tatsächlich so etwas wie ein Niemandsland da im Norden des Kosovo?
Wolfgang Klotz: Das ist ein rechtsfreier Raum, weitestgehend. Und das ist es seit über zehn Jahren, es ist so seit der berühmten UN-Resolution 1244, die, wie Sie geschildert haben in der Anmoderation, dem einen Staat sozusagen nicht erlaubt, diese Region unter sein Recht zu stellen oder sein Recht dort durchzusetzen, genau so wenig wie dem anderen.
Herter: Das heißt, wenn da jemand seine Stromrechnung nicht bezahlt, kann das auch schwer durchgesetzt werden?
Klotz: So ist es. Und es wird auch nicht durchgesetzt. Und es fahren auch Autos ohne Kraftfahrzeugkennzeichen durch die Gegend und es wird alles Mögliche über diese Grenze hin und her ausgetauscht ...
Herter: ... auch illegale Güter ...
Klotz: ... auch illegale Güter, natürlich, auch Menschenhandel, auch Rauschgifte. Das ist alles evident, nur über das Ausmaß des Ganzen sozusagen gibt es naturgemäß keine verlässlichen Informationen. Das heißt, es blühen alle Arten von Verschwörungstheorien über das, was da wirklich abgeht.
Herter: Es heißt immer wieder, nach Schätzungen sollte da ein Umsatz gemacht werden von mehreren Hundert Millionen Euro im Jahr. Ist das eine Dimension, die man als realistisch betrachten kann?
Klotz: Der legale Export von Gütern des alltäglichen Lebens aus Serbien für diesen Norden des Kosovo betrug im letzten Jahr 260 Millionen Euro. Das ist nur der legale, an der Grenze durch ordentliche Zollkontrollen erfasste Warenverkehr, auf den allerdings Pristina keinen Einfluss hatte bisher. Was daneben an schwarzem Warenaustausch, Dienstleistungsaustausch, läuft, darüber, wie gesagt, gibt es nur Verschwörungstheorien. Aber diese 260 Millionen geben eine Ahnung sozusagen von dem, worum es geht. Wenn jetzt Pristina eben möchte, dass diese Grenzkontrollen sozusagen seiner ordentlichen Kontrolle unterstellt werden. Und darum ging es ja bei der Auslösung dieses ganzen jetzigen Konflikts.
Herter: Pristina will Zolleinnahmen und die ganzen Sachen abfertigen. Bleiben wir aber noch mal kurz bei den Kriminellen: Angeblich arbeiten in dieser Region Kosovo albanische Kriminelle und vielleicht auch serbische Kriminelle, vielleicht auch Montenegriner Hand in Hand zusammen, und angeblich haben die gemeinsame Interessen. Können Sie das bestätigen?
Klotz: Ja, die organisierte Kriminalität ist nicht ethnisch verfasst. Das war aber noch nie so gewesen. Es gibt, seit der NATO-Interventionen 1999 gibt es zum Beispiel einen ungeheuren Landbedarf der albanischen Bevölkerung. Einen Bedarf nach Land, das sich in serbischem Besitz zum Teil befand vorher. Und viele Serben, die den Kosovo verlassen haben, haben ihr Land verkauft und sie haben es in relativ wenigen Fällen direkt an Albaner verkauf, die im Kosovo lebten. Das ist ein Riesengeschäft gewesen und ist es vermutlich auch noch. Und es ist ein Geschäft, was sich weitgehend auch der Kontrolle entzieht. Es gibt nach wie vor kein funktionierendes Kataster im Kosovo, weil die Serben 1999 sämtliche Katasterunterlagen des Landes mit nach Belgrad benommen haben und sie bis heute nicht zurückgegeben haben.
Herter: Also deswegen Probleme mit dem Grundbesitz. Nun haben Sie es selber angesprochen: Es ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen, seit der Krieg da zu Ende ging, im Sommer 1999. Was sind die Gründe dafür, dass der internationalen Gemeinschaft nicht gelungen ist, auch im Norden des Kosovo Recht und Gesetzgültigkeit zu verschaffen?
Klotz: Weil die internationale Gemeinschaft sich nicht einig ist darüber. Es gibt als die sozusagen oberste Instanz rechtlich gesehen die UN-Resolution 1244, die den Kosovo zu einem Protektorat der Vereinten Nationen erklärt. Es gibt einen Teilkonsens der internationalen Gemeinschaft, diesen Staat nach seiner Unabhängigkeitserklärung 1998 als unabhängigen Staat anzuerkennen, aber es gibt innerhalb der EU fünf Staaten, die sich dieser Position nicht angeschlossen haben. Also ist die EU heute in vielfachen Aktivitäten im Kosovo tätig, mit vielfachen Institutionen, EULEX, mit verschiedensten, auch die politischen Stiftungen sind dort aktiv und ja, es tummelt sich sozusagen die ganze EU im Kosovo, aber man ist sich nicht einig innerhalb der EU, diesen Staat als einen unabhängigen anzuerkennen. Also ist, alles, was die EU dort tut und die ihr untergeordneten Institutionen dort tun, steht unter dem Vorbehalt. Und dieser Vorbehalt äußert sich territorial darin, dass de facto all diese Institutionen im Norden des Kosovo keinerlei wirkliche administrative oder exekutive Macht ausüben.
Herter: Und schauen wir noch mal in die Region, die Regierung dort: Belgrad kann sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die Kosovo-Serben zu verraten. Und deswegen ist der Handlungsspielraum hier sicherlich eingeschränkt?
Klotz: Belgrad hat meiner Meinung nach eine eindeutige politische Option, die auf die Teilung des Kosovo hinausläuft. Das ist seit Jahren eine weitestgehend unausgesprochene Option gewesen. Sie ist jetzt im April vom serbischen Innenminister erstmals öffentlich ausgesprochen worden, allerdings als seine persönliche private Meinung.
Herter: Und Pristina wird das nicht hinnehmen können?
Klotz: Nein, Pristina nimmt das natürlich nicht hin, aber beide müssen miteinander sprechen. Beide sitzen an einem runden Tisch in Brüssel unter der Ägide der EU. Und worüber sollen sie sprechen: Die EU sagt, ihr müsst über Fragen des alltäglichen Lebens sprechen, damit die Leute endlich da zu besseren Verhältnissen kommen, aber ihr dürft nicht über diese grundsätzlichen Fragen sprechen. Zumindest Belgrad möchte, möchte über diese grundsätzlichen Fragen sprechen, aber eben mit einer bestimmten Option. Pristina kann sich auf diese Fragen nicht einlassen, weil es keine einheitliche Unterstützung seitens der EU hat. Der Rechtsstandpunkt Belgrads nach wie vor sozusagen von fünf EU-Mitgliedsstaaten geteilt wird. Dieses Dilemma beschreibt die Szenerie, in der all diese Konflikte stattfinden.
Herter: Informationen von Wolfgang Klotz vom Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Belgrad, das Gespräch haben wir aufgezeichnet. Herr Klotz, herzlichen Dank für das Gespräch!
Klotz: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
