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Rechtsmedizin
Insektenforscher sorgen für Freispruch im Mordfall Bailey

In den USA wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Fälle bekannt, in denen Menschen aufgrund von falschen Zeugenaussagen oder erzwungenen Geständnissen verurteilt wurden. Im Fall der 16 Jahre inhaftierten Kirstin Blaise Lobato haben Insektenforscher jetzt deren Unschuld bewiesen.

Von Michael Stang | 22.02.2019
Graue Fleischfliege bei der Eiablage in einer Aasblume (Stapelia hirsuta), die Blumen riechen nach verdorbenem Fleisch, um Bestäuber anzulocken
Schmeißfliegen legen unmittelbar nach dem Tod einer Person ihre Eier auf dem Leichnam ab und die Larven schlüpfen nach einer vorhersagbaren Zeit (imago stock&people)
Am 8. Juli 2001 wurde in Las Vegas der Leichnam von Duran Bailey entdeckt. Der Tod soll laut Aussage des Leichenbeschauers rund 24 Stunden zuvor eingetreten sein. Eine direkte Verbindung zu Kirstin Blaise Lobato gab es nicht. Aber zwei Monate zuvor soll die US-Amerikanerin sexuell belästigt worden sein. Die Beschreibung ihres Angreifers und des nun Getöteten sollten übereingestimmt haben. Das Motiv, das die Ermittler unterstellten: Rache.
"Bei meiner Verurteilung war ich 19 Jahre alt. Ich bekam eine Strafe von 40 bis 100 Jahre. Ich dachte, dass ich im Gefängnis sterben würde und ich bin so froh, dass ich falsch lag."

In einem Video des Innocent Projects erzählt Kirstin Blaise Lobato ihre Geschichte. 2002 erging das Urteil. Ein Antrag des Innocent Projects, eine DNA-Analyse zum Beweis Lobatos Unschuld zuzulassen, lehnte das Gericht ab.
Schmeißfliegen-Eier entlasten die verurteilte Kirstin Blaise Lobato
2009 beschäftigte sich Gail Anderson mit dem Fall. Die Rechtsmedizinerin der Simon Fraser Universität im kanadischen Burnaby ist Spezialistin für Entwicklungsstadien von Insekten auf Leichen.
"Schmeißfliegen legen unmittelbar nach dem Tod einer Person ihre Eier auf dem Leichnam ab und die Larven schlüpfen nach einer vorhersagbaren Zeit. In bestimmten Situationen können sie aber keine Eier dort ablegen, die Nacht gehört dazu."
Die Wissenschaftlerin entdeckte Unstimmigkeiten im Fall Kirstin Blaise Lobato.
"In diesem Fall gab es keine Fliegeneier auf dem Leichnam, obwohl das Opfer laut ärztlichem Leichenbeschauer schon einen Tag lang tot war. Da stimmte etwas nicht. Meiner Meinung nach trat der Tod erst ein, als es schon dunkel war. Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass der Todeszeitpunkt aber nie angezweifelt wurde. Das war entscheidend, denn die Angeklagte hatte ein Alibi, wenn man vom späteren Todeszeitpunkt ausging."
Insektektenkundler liefern gerichtsfeste Beweise
Durch eine eidesstattliche Erklärung der Rechtsmedizinerin kam schließlich Bewegung in den Fall. Nach mehreren Versuchen wurde das Verfahren 2016 neu aufgerollt. Zwei weitere Gutachten von Insektenforschern bestätigten Gail Andersons Einschätzung: Kirstin Blaise Lobatos war unschuldig. Am 2. Januar 2018 wurde sie freigelassen – nach mehr als 16 Jahren im Gefängnis. Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig eindeutige, wissenschaftliche Methoden für die Justiz sind.
Das betrifft nicht nur die Genetik, mit deren Hilfe viele Täter verurteilt, aber eben auch viele unschuldige Menschen frei gesprochen werden – manchmal erst nach viele Jahren oder gar Jahrzenten. Die Forschung zu Insekteneiern an Leichen ist jedoch schon lange ausgereift und wird auch von Gerichten seit vielen Jahren anerkannt. Mangelhaft im Fall Lobato war lediglich die Umsetzung.