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Rechtsmediziner im Einsatz

Unfallursachen erforschen und Opfer identifizieren gehört zu den traurigen Aufgaben zahlreicher Forscher nach Katastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen oder Flugzeugabstürzen. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Rechtsmediziner. Wir berichten von der 82. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Münster.

18.09.2003
    von Kai Müllges

    Die Katastrophe geschah am 1. Juli vergangenen Jahres. Um 21:35 stießen bei Überlingen am Bodensee eine Tupolew und eine Boeing 757 in der Luft zusammen. 71 Menschen, darunter viele Kinder, starben bei dem Crash, ihre Leichen verteilten sich in einem Umkreis von nahezu 10 Kilometern. Am Morgen des 2. Juli traf die Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes (BKA) an der Unglücksstelle ein. Mit dabei, der Oberhausener Zahnarzt Sven Benthaus:

    Wir sind beim BKA ungefähr mit 100 Kriminalbeamten besetzt und dazu etwa dreißig externe Mitarbeiter. Das bedeutet: je nach Situation und je nach Schadensumfang wird das Team individuell zusammengesetzt. In Überlingen waren wir jetzt mit dreißig Kriminalbeamten, die durch 2 Zahnärzte unterstützt wurden und 5-6 Rechtsmediziner der Universitäten Heidelberg und Tübingen.

    Bei solchen Katastrophen geht man international nach dem gleichen Standard vor.Die Leichen und Leichenteile werden gesammelt, gekühlt und anschließend macht sich das Identifizierungsteam an seine schwierige und belastende Arbeit. Dabei geht man stets in mehreren Schritten vor, um eine möglichst sichere Identifizierung zu erreichen.

    Das heißt, wir versuchen alle individuellen Merkmale einer Leiche oder eines Leichenteils genau zu dokumentieren. Das bedeutet, wir gucken uns die Zähne an, wir schauen uns Körperlänge, Körpergröße an, nehmen Fingerabdrücke, falls vorhanden, DNA-Proben werden gesichert und natürlich werden auch alle Gegenstände, die an den Leichenkörpern gefunden werden, genau dokumentiert. Kleidung, Schuhe, Schuhgrößen, irgendwelche Label die Hinweise auf den Hersteller der Kleidung geben können, so dass man am Ende der forensischen Untersuchung alle individuellen, spezifischen Daten zusammen hat und dann auf Vergleichsmaterial warten muss.

    In diesem Fall hatten die Wissenschaftler sogar noch Glück, denn das benötigte Vergleichsmaterial also zahnärztliche Unterlagen und ähnliches konnte über einen Mittelsmann des BKA in Moskau sehr zügig besorgt werden. Hinzu kam, dass die meisten der Toten, russischen Kinder in dem gleichen Krankenhaus zahnärztlich behandelt worden waren. Sehr hilfreich, wenn auch schwierig für diese, waren auch die Angaben der Angehörigen über Aussehen, versteckte Narben, Kleidung, Farbe der Zahnspange und so weiter. 46 Prozent der Flugzeugopfer konnten anhand des Zahnschemas identifiziert werden, 28 Prozent durch Personenbeschreibung, Schmuck und Kleidung, 20 Prozent durch DNA-Analysen und in sechs Prozent der Fälle schaffte erst eine Kombination aller Verfahren Sicherheit. Die Zahlen zeigen, dass auch klassische Identifizierungstechniken in der forensischen Arbeit nach wie vor ihren Stellenwert haben und nicht nur die DNA-Analyse. Sven Benthaus:

    Sehr häufig kann die DNA genutzt werden. Das hängt aber sehr vom Zerstörungsgrad der Leiche ab. Wenn wir uns klar werden über den Brand im Montblanc-Tunnel, da war mit DNA gar nichts mehr zu machen, weil die Leichen alle hochgradig carbonisiert waren, also vollständig verbrannt waren und das DNA-Material auch zerstört ist.

    Und in Zukunft, so meint zumindest Sven Benthaus, müsse noch stärker über die Anwendung verschiedenster Methoden nachgedacht werden, denn Anschläge, wie der auf das World Trade Center oder fatale Erdbeben, wie das in Kobe, Japan machten die Arbeit der Identifizierer noch schwieriger.