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Rechtsmedizinisches Mammutprojekt
Weitere Opfer der Terroranschläge vom 11. September identifizert

Seit fast 20 Jahren arbeiten in New York Rechtsmediziner daran, möglichst viele Opfer der Terroranschläge zu identifizieren. Mehr als 2.700 Menschen. Eine gewaltige Aufgabe, weil oft nur winzige Überreste gefunden wurden. Jetzt melden die Behörden, dass zwei weitere Tote identifiziert wurden.

Von Michael Stang |
Arbeiter besprühen die immer noch rauchenden Trümmer des World Trade Centers sechs Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit Wasser
Die Trümmer des World Trade Center nach den Anschlägen vom 11. September 2001 (imago / Everett Collection)
Das Büro der leitenden Gerichtsmedizinerin der Stadt New York hat mitgeteilt, dass jetzt die Angehörigen einer Frau namens Dorothy Morgan aus Long Island Gewissheit haben. Sie hatte im 94. Stock des Nordturms für eine Versicherung gearbeitet. In dem Fall war die Probe schon 2001 geborgen worden. Nun konnte sie sicher zugeordnet werden. Die andere Identifizierung betrifft einen Mann. Sein Name wurde auf Wunsch seiner Familie nicht veröffentlich. Hier war das Ergebnis nur möglich, weil die Expertinnen und Experten drei Proben zusammengeführt haben: aus den Jahren 2001, 2002 und 2006. In beiden Fällen gelang Identifizierung mithilfe des genetischen Fingerabdrucks.
9/11 - Ein Tag, der die Welt verändert hat
Die Attentate am 11. September 2001 trafen die Supermacht USA im Innersten und erschütterten die eigene Bevölkerung zutiefst. Bis heute ist unklar, warum US-amerikanische Geheimdienste und die Armee die Anschläge nicht verhindern konnten. 9/11 – minutiös nachgezeichnet.

40 Prozent der Toten noch nicht identifizert

Bei den beiden jetzt bekannten Fällen handelt es sich um die Opfer 1.646 und 1.647. Damit sind immer noch 40 Prozent nicht identifiziert. Insgesamt wurden damals 2.753 Menschen getötet - Passagiere, Besatzungsmitglieder und die zehn Entführer der beiden Flugzeuge. Die anderen Opfer waren Menschen, die sich in den Gebäuden oder in der direkten Umgebung aufhielten, unter ihnen auch 411 Helfer, Feuerwehrleute oder Ärzte.

Was macht die Arbeit so schwierig?

Die Arbeiten begannen direkt nach den Anschlägen - zunächst mit klassischen Methoden, etwa Fingerabdrücke, Zahnabdrücke, Röntgenaufnahmen, persönliche Gegenstände wie Ringe oder Tätowierungen. War dies nicht möglich, kamen genetische Methoden zum Einsatz. Allerdings ist das ziemlich schwierig, denn die biologischen Überreste – Knochen, Haut und Haare, sind aufgrund ihres Zustands schwer zu analysieren. Knochen waren zerbrochen, alles war großer Hitze ausgesetzt, viele Proben wurden mit Kerosin und Löschwasser verunreinigt. Und das hat auch dem Erbgut zugesetzt, das meist nur noch in kleinen Teilen erhalten ist. Aber auch solche kleinsten Reste wurden in den vergangenen Jahren teilweise dutzendfach analysiert – meistens dann, wenn neue Methoden zur Verfügung standen.

Methodischer Fortschritt über die Jahre

Und seit 2001 hat sich viel getan. Anfangs wurde hauptsächlich mit Methoden gearbeitet, bei denen relativ viel Knochenmaterial benötigt wurde. Aber die Rechtsmedizin beziehungsweise die Genetik haben sich weiter entwickelt. Heute reichen mitunter Hautschuppen, um klar zu sagen, dass eine Person an einem Ort war. Der Leiter des zuständigen Labors, Mark Desire, sagte schon 2014, dass sie schon an Tag eins ein Versprechen gegeben hätten, so viele Opfer wie möglich zu identifizieren - egal wie lange es dauert, egal was es kostet. Und deswegen ist das ganze Projekt mittlerweile auch wissenschaftshistorisch interessant.

Einfluss auf die Rechtsmedizin

Mit der gewaltigen Aufgabe hatte das DNA-Identifizierungsprojekt in New York auch großen Einfluss auf die Rechtsmedizin generell. Auch weil das Projekt in den USA einen ganz besonderen Wert hat und sehr viel Geld dorthin geflossen ist. Es gilt mittlerweile als das größte Rechtsmedizinprojekt der US-Geschichte. Das Labor in Manhattan hat inzwischen Methoden entwickelt und verbessert, die heute in vielen rechtsmedizinischen Labors in den USA und darüber hinaus Standard geworden sind – etwa bestimmte Protokolle, wie Proben genommen und aufgeteilte werden, damit sie mehrfach – auch später mit neuen, sensibleren Methoden analysiert werden können. Dieses Wissen ist zum Beispiel auch wertvoll für Projekte, bei denen gefallene Militärangehörige der beiden Weltkriege oder des Vietnamkriegs identifiziert und zurückgebracht werden.

Ende der Arbeit nicht in Sicht

Die Rechtsmedizinerinnern und Rechtsmediziner in New York betonen auch jetzt - 20 Jahre nach den Anschlägen - dass sie die Hoffnung nicht aufgeben werden. Trotz der nach wie vor großen Aufgabe: Knapp 8.000 Proben konnten bisher nicht zugeordnet werden. Sie wurden 2014 bei der Eröffnung des "Museum des 11. September" in New York in Plastikbeuteln mit Barcodes versehen und sicher verstaut. Das Museum ist eine Gedenkstätte, aber auch ein Archiv, in das die Forschenden gehen können, falls neue Methoden hoffen lassen, weitere Opfer zu identifizieren. Allerdings - in vielen Fällen wird es auch nicht möglich sein. 2014 lag die Zahl der identifizierten Toten bei 1.635 – heute, sieben Jahre später, sind es 1.647.