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Rechtspopulismus
Die Macht der Verknüpfung und der kollektiven Identität

Wie kommunizieren Rechtspopulisten in sozialen Medien? Das interessiert unsere Hörer und Nutzer - und darüber hat Katrin Herms in Saarbrücken ihre Master-Arbeit geschrieben. Konkret geht es ihr um Pegida in Deutschland und den Front National in Frankreich.

Von Jörg-Christian Schillmöller | 16.03.2017
    Ein Demonstrant der Bergida-Bewegung, einem Ableger von Pegida, hält ein Plakat mit der Aufschrift "Let us make Germany great again" am Hauptbahnhof im Regierungsviertel in Berlin.
    Wie kommunizieren Rechtspopulisten? Wie äußern sie ihren Protest? Fragte sich die Studentin und freie Journalistin Katrin Herms in ihrer Master-Arbeit. (imago / IPON)
    Von Jörg-Christian Schillmöller
    In der Nachrichtenredaktion diskutieren wir oft über den angemessenen Umgang mit Rechtspopulisten. Und auch viele unserer Hörerinnen und Hörer, unserer Nutzerinnen und Nutzer stellen uns dazu Fragen, sagen uns ihre Meinung. Vor ein paar Wochen hat mich eine Nachbarin in Köln auf eine neue Magister-Arbeit zu dem Thema hingewiesen. Ich habe entschieden, die Studentin zu treffen und zu fragen, welche Erkenntnisse sie gewonnen hat.
    Die Geschichte beginnt in Russland, 2011 und 2012. Katrin Herms erlebt in Sankt Petersburg und Moskau die Proteste gegen Fälschungen bei der Parlamentswahl und die späteren Kundgebungen gegen Wladimir Putin vor der Präsidentschaftswahl. Was aber ist Protest? Wie organisiert er sich? Katrin Herms macht Couchsurfing, sie wohnt bei Anhängern der Proteste, sie ist mittendrin. Und wird Zeugin einer jungen Bewegung für mehr Demokratie.
    Die Nutzung sozialer Medien, das Kommunizieren und Sich-Zusammenschließen über Facebook und Twitter: all das beschäftigt sie auch, als sie schon wieder in Deutschland ist. Ihr fällt auf, dass Kommunikationsstrukturen, die sie aus Russland kennt, bei der Pegida-Bewegung wiederkehren - auch wenn die Ziele von Pegida ganz andere sind.
    "Wie passt das zusammen?"
    Aus den Beobachtungen entsteht die Abschlussarbeit ihres trinationalen Studiums der Universitäten Saarbrücken, Metz und Luxemburg: "Deutsch-Französische Studien: Grenzüberschreitende Kommunikation und Kooperation". "Ich wollte wissen: Wie passt das zusammen, soziale Medien und Rechtspopulismus? Wie funktioniert das? Wie entstehen Feindbilder?", sagt Katrin Herms. Lebhafter Mensch, reflektierte Wortwahl, spricht fließend Französisch. Die Masterabeit schreibt sie 2016, Ende des Jahres ist sie fertig.
    "Ich hätte auch zwei Parteien untersuchen können, also AfD und Front National, aber mich hat vor allem der Aspekt des Protestes interessiert. Ich wollte die Protest-Strukturen einer Bewegung wie Pegida verstehen - und mit den Strategien einer Partei wie dem Front National vergleichen." Untersucht hat sie Positionspapiere, Parteiprogramme, Reden - und Posts bei Facebook und Twitter.
    Sie sehen Katrin Herms, die in Saarbrücken lebt und über Rechtspopulismus geforscht hat.
    Die Studentin Katrin Herms hat über Rechtspopulismus ihre Master-Arbeit geschrieben. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöler)
    Themen aufgreifen, mit anderen Themen verknüpfen
    Herausgekommen sind Erkenntnisse über die Mechanismen rechtspopulistischer Kommunikation. Die wichtigste Erkenntnis aus Sicht von Katrin Herms: Die Strategie der Verknüpfung. "Lutz Bachmann bei Pegida und Marine Le Pen als FN-Vorsitzende greifen bestimmte Themen wie Brexit, Flüchtlinge und Terrorismus auf und verknüpfen sie bewusst mit anderen Themen. Das können soziale Themen, kulturelle, identitäre Themen sein."
    Wie könnte so ein Beispiel aussehen? "Sagen wir, es wird ein Zeitungsartikel zum Thema Flüchtlinge gepostet - mit dem Kommentar, man müsse sich jetzt mehr um die Arbeitslosen in Deutschland kümmern. Diese Verknüpfung greifen die Nutzer in ihren Kommentaren auf. Es entstehen Diskurs-Stränge, es kommen weitere Themen dazu, und am Ende verselbständigt sich das." Anders gesagt: Es wird laut.
    Lutz Bachmann spricht bei der Pediga-Kundgebung am 14. März 2016 in Dresden.
    Lutz Bachmann bei der Pediga-Kundgebung am 14. März 2016 in Dresden. (imago/stock&people/xcitepress)
    Kollektive Identität
    In der Sprache der Wissenschaft heißt das: Ein Thema wird erst dekontextualisiert, also aus seinem ursprünglichen Kontext herausgenommen - und dann rekontextualisiert, also in einen neuen Kontext eingebettet. Die Nutzer erweitern und vergrößern die Verknüpfungen, die regelrecht aufgeblasen werden und eine größere Reichweite bekommen. So werden Feindbilder gefestigt: EU, Flüchtlinge, Globalisierung. Es entsteht eine kollektive Identität in der eigenen Gruppe.
    Besonders wichtig ist aus Sicht von Katrin Herms die emotionale Ebene. Gefühle wie Wut werden nicht nur sprachlich ausgedrückt. Hinzu kommen Emoticons und Emojis, zum Beispiel Smileys (auch wütende) oder der Affe, der sich Augen, Ohren oder Mund zuhält - als Symbol für Unverständnis und Spott. "Es geht aber nicht nur um Gefühle", sagt Katrin Herms. "Bestimmte Kombinationen aus Emoticons lassen sich inzwischen lesen wie eine eigene Sprache."
    Paradoxes Verhältnis zu Medien
    Ergänzt wird das durch die gezielte Verwendung von Hashtags. Marine Le Pen benutzt nach Beobachtung von Katrin Herms etwa den Hashtag #1ermaiFN (1. Mai), um sich als Fürsprecherin der Arbeiterklasse darzustellen - und die regierenden Sozialisten zu attackieren. Die Debatten werden mit Hashtags geradezu verschlagwortet - auch hier greift das Prinzip der Verknüpfung, einer Kopplung von Themen also, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören.
    Noch eine weitere Erkenntnis hat Katrin Herms gewonnen: Dem Prinzip des Protestes liegt nach ihrem Dafürhalten bei vielen Rechtspopulisten - gerade bei Pegida - eine gewisse Ignoranz des politischen Tagesgeschäftes zugrunde. Das heißt: Es gibt wenig Verständnis für langwierige, politische Entscheidungsprozesse. Gefordert werde vielmehr, dass Entscheidungen schnell und direkt fallen sollten, möglichst per Referendum. Darum werde auch Donald Trump in rechtspopulistischen Kreisen inzwischen als eine Art Heldenfigur angesehen: Weil er in deren Wahrnehmung direkt zum Volk hin regiert, per Dekret, ohne Umweg.

    Marine Le Pen verfolgt - anders als Pegida - einen klaren Machtanspruch, nämlich die Präsidentschaftswahl im April/Mai zu gewinnen. Darum ist ihre Strategie etwas anders. Katrin Herms: "Sie spielt die Seriöse und überlässt den radikalen Teil den Usern, die dann in Kommentaren ausfallend werden und ungeschminkt die Feindbilder bedienen: Immigranten, Politiker - oder gleich das ganze ‚System‘. Da kommt es dann zu Grenzüberschreitungen, zur Verletzung sozialer Normen." Katrin Herms findet, dass Marine Le Pen letztlich ähnliche Ziele verfolge wie ihr Vater - der aus der Partei ausgeschlossen wurde. Nur dass Marine Le Pen, ironisch formuliert, "schönere Worte" wähle.
    Marine Le Pen tritt für den rechtsextremen Front National bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich an
    Marine Le Pen arbeitet gern gezielt mit Hashtags bei Twitter. (Imago)
    Mehr Bildung, mehr Prävention
    Zwei Stunden lang sprechen wir. Über Deutschland, Frankreich und Rechtspopulismus. Über Wut und Wünsche, über Reizbegriffe und Feindbilder. Und über kollektive Identität. Ein Gedanke bleibt am Ende stehen. Nach Ansicht von Katrin Herms haben viele Nutzer einen bestimmten Wunsch, wenn sie sich in Kommentaren unflätig äußern. Es geht ihnen nicht nur um das pure Schimpfen. Es geht ihnen um den Wunsch nach dieser anderen politischen Kultur: Schonungsloser, härter, direkter. Einer Kultur, in der man sich nicht rechtfertigen muss für seinen Tonfall - und eine Leitfigur findet, die sagt: Bei mir darfst Du genauso so sein.
    Katrin Herms selbst wünscht sich etwas anderes: Sie wünscht sich mehr politische Bildung, mehr Prävention. Und etwas ganz Konkretes: ein verpflichtendes, interkulturelles Jahr für Schulabgänger - für Männer und Frauen gleichermaßen. Vielleicht könne man das auch inter-generationell organisieren, sagt sie, damit junge Leute mit Rentnern zusammenarbeiten. Und damit schon früh Erfahrungen machen, Grenzen zu überschreiten, statt sie zu zementieren.

    Katrin Herms, Jahrgang 1987, arbeitet zur Zeit als Deutschlehrerin am Deutsch-Französischen Gymnasium in Saarbrücken. Sie hat den trinationalen Master-Studiengang "Deutsch-Französische Studien: Grenzüberschreitende Kommunikation und Kooperation" absolviert, den die Universität des Saarlandes, die Université de Lorraine (Metz) und die Université du Luxembourg anbieten. Katrin Herms hat als freie Journalistin unter anderem für SR2 Kulturradio, die Deutsche Welle und das Korrespondentennetzwerk N-OST gearbeitet.