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Rechtsradikale in der Reichswehr

Seit dem Ulmer Reichswehrprozess 1930 gegen drei Offiziere der Reichswehr wusste die Öffentlichkeit, dass es in den Reihen der Armee viele NSDAP-Anhänger gab. Als Verteidiger der Republik gegen die Rechtsradikalen kam die Reichswehr nicht mehr in Frage.

Von Bert-Oliver Manig | 04.10.2010
    "Wir Soldaten dienen der Staatsidee mit Treue und Gewissenhaftigkeit in der republikanischen Staatsform."

    Dieses Loyalitätsversprechen an die Weimarer Republik, das Reichswehrminister Wilhelm Groener im Dezember 1929 im Namen der Armee abgab, war leider nur die halbe Wahrheit. Gewiss: Bei kommunistischen Aufständen hatte sich die junge Demokratie auf die Reichswehr verlassen können. Doch das Anwachsen der NSDAP stellte das Verhältnis von Armee und Republik auf eine weit schwerere Probe. Die markige Forderung der Nationalsozialisten, die sogenannten Fesseln des Versailler Friedensvertrages zu sprengen, war nämlich unter den Soldaten höchst populär. Die von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges auferlegten Rüstungsbeschränkungen hemmten die Karriere der Offiziere und kränkten ihr nationales Ehrgefühl.

    Wie tief die Sympathien für den Nationalsozialismus in der Armee reichten, kam 1930 ans Tageslicht, als bekannt wurde, dass Richard Scheringer, Hanns Ludin und Hans Friedrich Wendt, drei Leutnants vom Artillerieregiment Nr. 5 in Ulm, in mehreren Garnisonen ziemlich ungestört für die NSDAP geworben hatten. Einer dieser Offiziere, der damals 25-jährige Richard Scheringer, erinnerte sich nach dem Krieg in einem Rundfunkinterview:

    "Damals kam uns das Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in die Hand. Und da standen eine Reihe von Forderungen drin, die uns ganz richtig erschienen. Und dann haben wir uns in München mit der SA-Führung auseinandergesetzt und haben gesagt, dass wir bereit sind, in der Reichswehr dafür zu werben, dass man bei einer nationalen Bewegung oder einer Volkserhebung gegen Versailles, dass man da nicht darauf schießt, sondern sich entweder der Bewegung anschließt oder Gewehr bei Fuß steht. Und in dem Sinne haben wir dann in den Garnisonen geworben."

    Diese Wühlereien hätten die Vorgesetzten alarmieren müssen. Doch Oberst Ludwig Beck, der Regimentskommandeur der drei Leutnants, hegte selbst starke Sympathien für den Nationalsozialismus und versuchte, die Affäre unter den Teppich zu kehren. Scheringer:

    "Er hat dann uns so väterlich ermahnt und hat gesagt: 'Also hört damit auf und wenn ihr was habt, kommt ihr zu mir.' Ich wurde dann nur, weil ich in eine Garnison ohne Urlaub gefahren war, mit drei Tagen Stubenarrest bestraft, und die Sache schien erledigt. Dann plötzlich wurden wir aber doch verhaftet, und zwar im März 1930, weil eben von einer anderen Seite auch noch irgendeine Meldung oder was gemacht worden war."

    Becks Vertuschungsversuch war gescheitert. Die drei Leutnants wurden wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem Reichsgericht in Leipzig angeklagt und am 4. Oktober 1930 zu jeweils anderthalb Jahren Festungshaft verurteilt.

    Dies hätte ein bemerkenswertes Signal dafür sein können, dass die Republik gegen ihre Feinde, auch in den Reihen des Offizierskorps, entschieden durchgriff. Doch in die Geschichtsbücher ging der sogenannte Ulmer Reichswehrprozess aus einem anderen Grund ein: Der als Zeuge der Verteidigung aufgebotene Führer der NSDAP legte einen viel beachteten Legalitätseid ab. Adolf Hitler schwor, dass er die Macht im Staate nur auf gesetzlichem Wege erringen und keinesfalls die Disziplin in der Armee gefährden wolle. Von Heißspornen distanzierte sich Hitler:

    "Ich erblicke in der deutschen Reichswehr das wichtigste Instrument zur Wiederaufrichtung des deutschen Staates und des deutschen Volkes. Wir haben kein Interesse daran, die Reichswehr zu zersetzen. Ich würde das für das größte Verbrechen halten, das es gibt. Ich bin zu sehr alter Soldat, als dass man mir den Versuch einer Zersetzung des Heeres zutrauen könnte."

    Die Verurteilten waren enttäuscht von Hitlers Haltung, Richard Scheringer wechselte während seiner Haft sogar zur KPD. Doch beim konservativen Bürgertum kam Hitlers Absage an revolutionäre Experimente gut an. Der Hauptadressat seiner Botschaft war jedoch die Generalität: Ihr hatte Hitler deutlich zu verstehen gegeben, dass er bei seinen Aufrüstungsplänen auf eine intakte Armee unter der Führung militärischer Experten setzte. Und noch ein Ergebnis hatte der Prozess gegen die Ulmer Offiziere: Man wusste nun, dass es in den Reihen der Armee viele NSDAP-Anhänger gab. Als Verteidiger der Republik gegen die Rechtsradikalen kam die Reichswehr seit 1930 nicht mehr in Frage.

    Ludwig Beck allerdings, der die drei Leutnants seinerzeit deckte, war 1938 der einzige General, der sich Hitlers Kriegsplänen entgegenstellte. Als einer der führenden Köpfe des gescheiterten Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 nahm er sich das Leben.