
Seit einem Jahr und vier Monaten wird das Nachbarland von einer Koalition aus der christlich-sozialen ÖVP, also der österreichischen Volkspartei, und den Freiheitlichen regiert, der Schwesterpartei der deutschen AfD. Zuwanderung, Ausländer. Das sind die Themen, mit denen die FPÖ dreißig Jahre lang ihre Wahlkämpfe geführt hat, sie beherrschen nicht mehr nur die Schlagzeilen und die Kneipengespräche, sondern jetzt auch die Pressekonferenzen und die Parlamentsdebatten.
"In der jetzigen Bundesregierung ist die gesamte Migrationsagenda in den Händen der FPÖ, und es ist sozusagen auch die gesamte Sicherheitsagenda in den Händen der FPÖ", erklärt die Politologin Sieglinde Rosenberger, die das Gebaren der Rechtspartei seit Jahrzehnten begleitet. Dass die Partei es ernst gemeint hat mit ihren Parolen, steht inzwischen außer Zweifel.
Was einen nicht weiter verwundern müsste in einer Stadt, in der 36 Prozent der Bewohner im Ausland geboren sind - was sich aber ändern soll, wenn es nach seiner Partei geht. Nicht Ausländer allein sind für die Freiheitlichen das Problem; im Fokus stehen generell so genannte "Menschen mit Migrationshintergrund", auch dann, wenn sie österreichische Staatsbürger sind.
"Fünfzehn Prozent kommen aus der Türkei und weitere vierzehn Prozent aus Bosnien, also ein schwaches Drittel der Hauptmieter kommt aus dem muslimischen Kulturkreis. Eins ist klar: Wir Freiheitlichen werden intensiv daran arbeiten, dass der einst stolze soziale Wohnbau wieder Heimat der Wienerinnen und Wiener wird."
"Also, ich habe mir gerade heute extra noch einmal herausgesucht die Daten für die Armutsgefährdungsschwelle in Österreich. Die liegen bei 1.200 Euro monatlich ungefähr pro Person: Das würde die Frage ganz eindeutig beantworten: Nein, man kann es eigentlich nicht." Tania Berger ist Migrationsexpertin an der Donau-Universität in Krems und befürchtet spürbare Folgen auch für die Mehrheitsgesellschaft. "Ich warte eigentlich darauf, dass man vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund, denen man das auch ansieht, im öffentlichen Straßenbild als Obdachlose sehen wird."
Als Kürzung allerdings will die Regierung die Sonderregelung für Menschen mit fremder Muttersprache gar nicht verstanden wissen, wie Außenministerin Karin Kneissl erklärt, deren Ressort auch die Integration umfasst. "Kürzen nein, sondern es geht darum, dass dieser Differenzbetrag verwendet wird, um eben das Deutschniveau auf dieses B1-Niveau heraufzuheben. Das heißt, aus einer Finanzleistung wird eine Sachleistung."
Das sei auch erreichbar, wenn man sich entsprechend anstrenge, meint die polyglotte Ministerin, die auch fließend Arabisch spricht. "Sprache lernen ist nicht damit abgetan, dass man sich drei Mal in der Woche in einen Kurs hineinsetzt. Ich selbst habe alle Sprachen, die ich gelernt habe, nur durch Pauken und vor allem auch durch viel, viel Sprechen gelernt."
Wer sich etwa in Österreich um politisches Asyl bewirbt, hat allerdings weder zum Deutschsprechen noch zum Deutschlernen künftig noch die Gelegenheit. Innenminister Herbert Kickl, ein Parteifreund der Sozialministerin, will alle Asylbewerber in größeren Sammelunterkünften "konzentrieren", wie er sich ausdrückte. Deutschkurse sind für sie nicht vorgesehen, arbeiten dürfen sie auch nicht. Bekommen sie Asyl, müssen sie aus den Unterkünften raus - mit 575 Euro, ohne Job und meistens ohne ein Wort Deutsch. Aber auch dann stehen ihre Chancen auf Spracherwerb schlecht, denn außerhalb von Wien mangelt es an Kursangeboten.
"Wir haben lange Wartelisten dort. Wir haben nicht genug Finanzierung, um mehr Kurse zu organisieren", sagt Florina Platzer, eine Juristin, die in Linz an der Donau in einem Zentrum für Zuwanderinnen Beratungsstunden abhält. Migrationsexpertin Berger erkennt in solchen Widersprüchen ein System. "Es wird gefordert, und gleichzeitig werden die Latten, an denen das gemessen wird, ob diese Forderung erfüllt wird, so hoch gelegt, dass sie realistischerweise in der Praxis vielfach nicht erreicht werden können, selbst bei bestem Willen der Betroffenen."

"Leute haben per se schon ein Problem gehabt, ja, mit einer schon vorher sehr niedrigen Mindestsicherung, haben eine einigermaßen innovative Lösung gefunden, indem sie sich sozusagen zusammengetan haben, Wohngemeinschaften gegründet haben und Kosten eingespart haben. Und jetzt sagt man ganz bewusst: Und das verunmöglichen wir euch jetzt aber auch."
In Wien bekommt eine Sozialwohnung neuerdings nur, wer vorher fünf Jahre ununterbrochen anderswo in der Stadt in einer anderen Wohnung gewohnt hat – ein Ziel, das kein Sozialhilfeempfänger und kaum ein Flüchtling je erreichen kann, wenn er in derart prekäre Verhältnisse kommt. Auf öffentliche Unterstützung darf niemand zählen. In Linz diskriminiert sogar die Wohnungsbehörde nach Herkunft, wie Luzenir Caixeta vom Frauenzentrum Linz erfahren musste: "Wenn eine Nicht-Migrantin, wenn eine Österreicherin, für einen Klienten anruft, kann es sein, dass eine Wohnung frei ist, aber wenn eine von uns als Migrantin anruft, dann gibt es keine."
Auch der Hilfsbereitschaft der Einheimischen legen die Behörden zunehmend Steine in den Weg. Das Innenministerium hat Nichtregierungsorganisationen von der Flüchtlingsberatung ausgeschlossen. Es berät jetzt selbst. Der Minister lässt keinen Zweifel daran, wie das zu geschehen hat: Er hat die Erstaufnahmezentren für Flüchtlinge offiziell in "Ausreisezentren" umbenannt. Von Bund, Land und Stadt finanzierte Organisationen wie das Linzer Frauenzentrum, die sich um Integration bemühen, werden mehr oder weniger elegant ausgebremst. Luzenir Caixeta vom Frauenzentrum Linz: "Wir haben die Zusage für unser Jahresprogramm für 2017 im November 2018 bekommen."
Mit Kürzungen für ein Programm, das die Frauen schon vorfinanziert hatten. In Meinungsumfragen werden die Änderungen im Sozialrecht mehrheitlich begrüßt – solange sie sich vorrangig gegen Ausländer richten oder solange die Regierung das wenigstens glaubhaft machen kann. Als der Innenminister verfügte, dass die Gemeinden für öffentliche Hilfsarbeiten von Asylbewerbern, wie Parks oder Straßen reinigen, künftig nur noch einen Euro fünfzig pro Stunde und 150 Euro im Monat zahlen dürfen, musste Vizekanzler und FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache ausrücken, um seinen Parteifreund zu verteidigen: "Bei den viel diskutierten 150 Euro geht es ausdrücklich um Nicht-Österreicher!"
Vom nächsten Schuljahr an gilt als schulreif nur, wer hinreichend Deutsch kann – ein europaweites Unikum.
Die Stimmung gegenüber Zuwanderern hat sich nach der Flüchtlingskrise in Österreich nicht entspannt, sondern weiter verschlechtert, nicht nur, aber auch wegen der wohl dosierten Härten und den Nadelstichen, die Innenminister und Sozialministerin beinahe im Wochentakt kundtun.
Effekte, die einander verstärken, und von denen die Regierungsparteien profitieren. Und von denen sie auch profitieren wollen, meint die Politologin Sieglinde Rosenberger: "Insgesamt glaube ich, ist festzuhalten, dass die Migrations- und Asylpolitik schon sehr sehr stark eine Politik ist für die Wähler und Wählerinnen, sehr stark mit nationalen Überlegungen, mit nationalen Identitäten verbunden ist. Das heißt, es richtet sich sozusagen an die wählende Bevölkerung. Und es richtet sich nicht so sehr an die Geflüchteten."
Robert Misik ist sich da nicht so sicher. "Ich glaube aber doch, dass es auch etwas Zweites gibt, nämlich den realen Versuch, von den vielen Leuten, die hier sind und von denen viele auch eben erst seit 2015, die wieder zu vertreiben, indem man sie schikaniert, indem man ihnen ihre Lebensbedingungen verschlechtert, indem man ihnen das Gefühl gibt: Ihr seid hier nicht gewünscht, schleicht’s euch, ja! Und indem man sie abschiebt."
Bei Kriegsflüchtlingen stößt die Strategie, wenn es denn eine ist, an Grenzen: Nach Hause können sie nicht, und in andere Schengen-Staaten auch nicht, da sie nun einmal in Österreich registriert sind. Bei ihnen löst die Politik der Schikanen eher Verzweiflung aus.
Funktionieren kann die Politik der Abschreckung aber bei anderen Migrantengruppen, wie Daniela Grabovac erfahren hat, die in der Steiermark die Antidiskriminierungsstelle leitet. Schon einmal zwischen 2000 und 2006, regierte in Wien die rechte FPÖ, die sich damals allerdings deutlich moderater gab als heute. Die Plakatwände der Parteien und die großen Zeitungen aber waren damals wie heute auch wieder voller Alarmmeldungen über Bettlerbanden, Überfremdung, Drogendealer. "Also in Graz hatten wir die gleiche Situation 2004, da ist die afrikanische Community wirklich massenweise, zu Hunderten, nach London ausgewandert."
Stattdessen hat die Mehrheit in Wien sogar eine Regelung der Vorgängerregierung abgeschafft, nach der jugendliche Asylbewerber eine Ausbildung machen dürfen – wenn auch nur in Mangelberufen, für die sich kein Österreicher fand. Und mehr noch: Wer sich schon in der Lehre befindet und einen negativen Asylbescheid bekommt, wird jetzt direkt von der Lehrstelle weg abgeschoben.

Hauptbetroffene sind die so genannten 24-Stunden-Pflegerinnen, die in Österreich ähnlich wie in Deutschland dem Staat viele Pflegekosten ersparen und die hier meistens aus der Slowakei oder aus Rumänien kommen. Publizist Robert Misik: "Bei denen ist es eine Art von Gehaltsbestandteil. Es ist eigentlich Teil des Gesamtdeals, wenn man so will. Die werden halt ein bisserl vom Staat über diese Kinderbeihilfe oder Familienbeihilfe finanziert, damit sie irgendwie mit diesen relativ geringen Gehältern noch über die Runde kommen."
In Graz ist es nicht anders. Die Beschwerden über Ausfälle sind allerdings zurückgegangen, berichtet Daniela Grabovac von der dortigen Antidiskriminierungsstelle: "Es bringt nichts mehr. Die politische und gesellschaftliche Situation ist eine solche, dass wir nicht gewollt werden, dass wir eigentlich sehr ruhig uns verhalten sollen, nicht auffallen, damit sozusagen nichts Gröberes passiert."
Die Strategie funktioniert: Gröberes passiert tatsächlich nicht. No-go-areas für Menschen mit dunkler Hautfarbe, ausländerfeindliche Demonstrationen, brennende Asylunterkünfte – das alles gibt es in Österreich nicht. Der Publizist Robert Misik, der sich in beiden Ländern gut auskennt, mag den häufig vorgebrachten Vergleich mit Deutschland so nicht stehen lassen. Schließlich seien die aufgezählten Phänomene dort regional konzentriert, und hätten auch andere Ursachen:
"Österreich würde ich mit Ostdeutschland jetzt nicht vergleichen, schon allein deswegen, weil du ja nicht so einen Zerfall aller traditionellen Institutionen hast, aller Lebensgewissheiten. Du hast auch nirgendwo so einen ökonomischen und sozialen Umbruch gehabt wie in Ostdeutschland in den letzten dreißig Jahren. Und was man viel besser vergleichen könnte, wäre Österreich mit Westdeutschland. Gibt’s in Westdeutschland No-go-areas? Gibt’s in Westdeutschland Regionen, die so sehr von Rechten dominiert werden?"
Aber der Vergleich mit Deutschland eignet sich gut, um der organisierten Ausländerfeindlichkeit Legitimation zu geben. Ein FPÖ-Landesrat in Niederösterreich, vergleichbar einem deutschen Landesminister, sperrte jugendliche Asylbewerber hinter einen Stacheldrahtzaun und ließ sie nur unter Überwachung vor die Tür – eine Maßnahme, die er wieder zurücknehmen musste. Er wehrte sich: "Man muss diese auch von außen schützen. Ich möchte nicht Zustände haben in Niederösterreich wie in Deutschland, wo Fenster eingeschlagen werden, wo das Gebäude besprüht wird oder wo auch mittlerweile Asylheime abbrennen, weil sie angezunden werden. Dieser Zaun dient eindeutig und nur zum Schutz dieser Jugendlichen."
Weniger Hooligans, mehr Staat. Je fleißiger die Behörden diskriminieren, desto ruhiger geht es zu. Ein Ende des Weges ist nicht abzusehen.