Archiv


Redefreiheit und diskrete Verschwiegenheit

Noch intensiver als das Recht auf unbehindertes Kopieren von Musik zu privaten Zwecken wird in den USA das Recht auf freie Meinungsäußerung hochgehalten. Wie sehr dieses Menschenrecht dort Priorität hat, zeigen jene, hierzulande verbotenen Internetseiten rechtsextremen und nationalsozialistischen Inhalts, die außerhalb des rechtlichen Zugriffs deutscher Behörden auf US-Servern abgelegt sind. Andererseits müssen Bürger in den Vereinigten Staaten für ihre Meinung oft viel Mut aufbringen, denn exponierte Ansichten werden oft von ebenso exponierten Gegnern mit Gewalt bedroht. In dieser Situation verspricht die neue Software "Publius" eine garantiert anonyme Meinungsplattform über alle Ländergrenzen hinweg – mit allen Vorzügen und Nachteilen.

Armin Amler |
    "Willkommen in der Zukunft der Demokratie", begrüßt eine Publius-Webseite in den USA ihre Besucher. Unter dem Namen Publius, angelehnt an ein Pseudonym der Verfassungsväter der USA, verbirgt sich eine der größten Geheimwaffen moderner Internettechnologie: Mit Hilfe des urspungsverschleiernden Systems aus den Nationallabors von AT&T erhalten alle, die ihrer Meinung zu Gehör verhelfen wollen, gleichzeitig aber fürchten, von Politikern, Journalisten, der Polizei oder schlicht von anderen Bürgern dafür nicht respektiert, ausgelacht oder verfolgt zu werden, ein garantiert anonymes Forum. Dazu setzt Publius auf gleich zwei verschiedene Ansätze: Einerseits wird eine Publikation in Fragmenten auf vielen Rechnern im Internet abgelegt und so ein vollständiges Entfernen einer missliebigen Schrift erschwert. Überdies werden die Texte und Botschaften mit mehreren Schlüsseln kodiert – nur wenn alle Einzelstücke eines Textes dekodiert und zusammengesetzt werden, kann das Dokument auch gelesen werden. Damit wird ausgeschlossen, dass etwa der Serverbetreiber selbst die abgelegten Nachrichten lesen und möglicherweise löschen kann. Zusätzliche Zwischenspeicher verschleiern, woher eine Datei stammt – Die Computerbesitzer, auf deren Rechnern diese temporären Datenstapel lagern, können nicht wissen, welche Inhalte dort abgelegt sind.

    Einer der Erfinder dieses genialen Systems heißt Avi Rubin und stammt aus Israel. Weil viele seiner Landsleute in der Vergangenheit für ihre Meinung verfolgt, gefoltert oder getötet wurden, möchte Rubin mit seiner Schöpfung jetzt garantieren, dass sich jedermann vor Diktatoren, Militärs oder militant religiösen Fanatikern schützen kann. Auch Dissidenten eines Landes könnten mit Publius das Recht auf freie Meinungsäußerung auch wirklich ohne Angst anwenden. Andererseits eröffnet die AT&T-Entwickung allerdings auch der Verbreitung kriminellen Gedankenguts aller Art Tür und Tor. Trotzdem erfüllt die Tatsache, dass diese Software aus den USA kommt, die Entwickler von Publius mit Freude und Stolz, denn gerade in den Vereinigten Staaten konnten die Grundlagen der Freiheit und Menschenwürde, die die Verfassung garantiert, oft nur mit Gefahr für Leib und Leben verbreitet werden. Schon in Kürze, so heißt es bei AT&T, werde die Publius-Software ihren Zug um die Welt antreten.