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Reeperbahn Festival
Verwirrter Zweckoptimismus

Das Reeperbahn Festival ist mittlerweile das wichtigste Treffen der deutschen Musikbranche. Während sich bis zu 11.000 Musikfans pro Tag in den eher kleinen Spielstätten tummeln, diskutieren die Branchenvertreter über die Zukunft - und tappen dabei immer noch ziemlich im Dunkeln.

Von Dirk Schneider | 20.09.2014
    Herbert Grönemeyer ist nicht nur international erfolgreicher Musiker. Er ist auch Betreiber des unabhängigen Plattenlabels Grönland, auf dem so unterschiedliche Künstler wie Philipp Poisel, Niels Frevert oder Gang Of Four veröffentlichen. Folgerichtig sollte Grönemeyer auf dem Reeperbahn Festival über künstlerische und geschäftliche Strategien im Musikbusiness sprechen. Erste Lektion: Behalte die mediale Berichterstattung möglichst unter Kontrolle. Von dem Gespräch, das Ex-MTV-Moderator Steve Blame führte, durften keine Film-, Foto- oder Tonaufnahmen gemacht werden. Schade, denn Grönemeyer präsentierte sich gut gelaunt und streitlustig. Auf die Frage, was er von der Idee der Band U2 halte, ihr neues Album an iTunes-Kunden zu verschenken, sprach er von einer "lächerlichen Entscheidung", die ihn "schockiert" habe. Es zeuge von "Hybris", sich mit dem Konzern Apple zusammen zu tun, und es sei "respektlos" allen Künstlern gegenüber, die versuchten, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Das Streaming von Musik nannte er "Ausverkauf", sein neues Album, das im November erscheint, werde es nicht im Internet zu hören geben.
    Herbert Grönemeyer war dieses Jahr wohl der prominenteste Gast des Reeperbahn Festivals, das vor allem eine Plattform für unbekanntere Künstler ist, vorwiegend aus dem europäischen Bereich. Also ein Festival für die Fans von Independent-Musik. Denn auch wenn das Reeperbahn Festival in nur wenigen Jahren zum wichtigsten Treffen der deutschen Musikbranche wurde, ist es doch vor allem noch ein Musikevent. 3000 Branchenvertretern stehen hier noch 30.000 Privatbesucher gegenüber.
    "Wir finden tatsächlich bei der Veranstaltung hier unglaublich viele Fans oder Musikliebhaber."
    Freut sich auch Festivalchef Alexander Schulz. Das größte Problem für die Besucher ist es, aus über 300 Konzerten von oft unbekannten Bands das Beste herauszusuchen. Das, empfiehlt Schulz, sollte man ähnlich tun, wie man auch im Internet surft:
    "Die machen dasselbe jetzt im realen Raum, was sie über alle möglichen Algorithmen, bei allen möglichen Streamingdiensten und den Downloaddiensten jetzt gelernt haben. Wir wissen, ja, wir bieten sehr unbekanntes Programm an. Wir sagen aber auch: Ihr könnt jeden Tag ins Schmidt Theater gehen und euch Ray Cokes angucken, oder ihr bekommt das über eure App gestreamt, und der empfiehlt schon mal fünf, sechs Bands des Abends. Mit einem Interview und einem Song. Kennen werdet ihr die nicht wahrscheinlich."
    Tummelplatz internationaler Konzertveranstalter
    Genau das sollte man tun in den vier Tagen auf der Reeperbahn und drum herum: Sich Bands anschauen, die man noch nicht kennt. Die an Orten spielen, die viele noch nicht kennen, etwa dem winzigen Kino B-Movie, dem Kunst-Kiosk, in Plattenläden und Galerien. Aber natürlich auch in den klassischen Konzertsälen wie Mojo Club, Docks oder Grünspan. Das einstige Herz des Reeperbahn Festivals allerdings präsentiert sich dieses Jahr als riesige Baulücke: Der beliebte Esso-Häuser-Komplex wurde vom Investor Bayerische Hausbau abgerissen.
    "'Das Herz herausgerissen' ist schon sehr pathetisch, aber das trifft es ja irgendwie. Atmosphärisch zumindest ist es ja das Herz gewesen. So ein richtig gutes Bindeglied, an dem schon ab mittags immer was los war, fehlt. Und das hatte schon viel Charme, und diese Patina kannste auch nicht rekonstruieren."
    Im wunderschönen alten Saal des Schmidts Tivoli, in dem normalerweise Comedy und Musicals aufgeführt werden, ist die isländische Sängerin Olöf Arnalds aufgetreten. Sie ist kein Newcomer mehr, aber immer noch ein europäischer Geheimtipp und somit eine typische Kandidatin für das Reeperbahn Festival. Von diesem Tummelplatz internationaler Konzertveranstalter und Journalisten erhofft sie sich allerdings nicht viel. Man solle als Künstler keine Erwartungen an so ein Festival haben, meint die Isländerin. Die Bedeutung solcher Veranstaltungen für die Musiker werde oft künstlich hochgeschraubt. Etwas anders sieht das Andy Bibey. Er ist Manager von Arnalds britischem Label One Little Indian:
    "Ich muss hier sein! Das Reeperbahn Festival ist eins der besten Festivals in Deutschland! Es ist sehr wichtig! Wir nutzen das Festival als Plattform, um unseren Künstlern den Durchbruch im europäischen Markt zu verschaffen. Deutschland ist neben Großbritannien der beste Ort dafür."
    Zweckoptimismus ist auf dem Festival ziemlich verbreitet. Grund zur Freude haben dabei vor allem die Gewinner der vielen Auszeichnungen, die hier vergeben werden. Mit dem so genannten Spielstättenprogrammpreis etwa wurden von der "Initiative Musik" des Bundes 58 Clubs und Liveprogrammmacher ausgezeichnet. Stolze 870.000 Euro hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu verteilen. Club des Jahres wurde übrigens das Milla in München, einer der ganz wenigen Veranstaltungsorte, der mit Mira Mann eine weibliche Programmmacherin hat. Gelernt hat man beim Helga-Award, mit dem die besten Festivals ausgezeichnet werden: Nachdem dessen Jury letztes Jahr zu 95 Prozent aus Männern bestand, ist sie dieses Jahr rein weiblich besetzt.
    Ansonsten herrscht beim Branchentreffen neben starker männlicher Dominanz eine fast schon rührende Verwirrung: Streaming-Anbieter lernen selbst erst langsam das Konsumverhalten und die Wünsche ihrer Kunden kennen. Und immer noch weiß niemand, wie groß der Anteil der im Internet gekauften Musik ist, der dadurch tatsächlich dem Tonträgermarkt verloren geht. Die Zukunft der Musik liegt im digitalen Bereich und wird sich auf mobilen Geräten abspielen. Aber wie genau diese Zukunft aussehen wird, kann keiner beantworten. Am Ende herrscht nur bei einem Klarheit: Bei der Musik, denn die gefällt nicht, oder sie gefällt.