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Refeudalisierung der Künste

Der Schriftsteller Ingo Schulze hat eine Debatte um den Einfluss von Wirtschaftsunternehmen auf die Kulturförderung angestoßen. Zur Verleihung des Thüringer Literaturpreises kritisierte Schulze eine "Refeudalisierung" des Kulturbetriebes: Praktisch jeder Ausstellungskatalog trage heute das Logo eine Firma, jedes Festival starte mit einer Auflistung seiner Sponsoren. Die staatliche Kulturpolitik stelle sich so selbst in Frage.

Karin Fischer im Gespräch mit Hubert Winkels | 07.11.2007
    Karin Fischer: Der Vorwurf der Refeudalisierung zielt aber auf den Rückzug des Staates aus der Kultur, aber nicht nur, sondern auch darauf, dass die Kultur selbst an der Ökonomisierung, also Aufmerksamkeitswerten, Eventcharakter, Glamourfaktor, zugrunde geht. Frage an meinen Kollegen Hubert Winkels, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, hat Ingo Schulze da recht?

    Hubert Winkels: Ob er da recht hat, was die ganz allgemeine Dimension seiner Kritik angeht, ist eine schwierige, heikle Frage. Er selber spricht ja von einem gesellschaftlichen Zwiespalt, in dem wir uns alle befinden. Er hat aber recht, was die eigene konkrete Situation dort in Thüringen bei Entgegennahme des Preises angeht, denn da hatten wir die einmalige Situation, dass ein Land in seinem eigenen Namen einen Preis vergibt, dabei vollständig quasi nur in Erscheinung tritt, aber ohne jede Substanz. Also sie geben kein Geld, die Jury, die Reisen schlichtweg, alles ist von E.ON Thüringen bezahlt. Das ist selten in dieser Reinheit und Klarheit. Zweitens hat er beobachtet, dass bei der Dokumentation des letzten Preises vorher durch den Logoeinbau in die Bilder der Autor selber, die einzelne Person als Werbeträger auftaucht, ganz direkt, was wir ja sonst kaum haben bei Kulturereignissen, höchstens bei Sportlern. Und drittens haben wir jetzt die einmalige Situation, dass E.ON, der Energieriese, in einer besonders heiklen Situation ist, nicht nur wegen der vom Kartellamt festgestellten Preisabsprachen, sondern weil sie bei riesigen Gewinnen - Sie müssen sich das klarmachen, die Zahlen, das sind 5,43 Milliarden im ersten Halbjahr 2007 vor Steuern -, also bei solchen Gewinnen sie die Strompreise erhöhen und damit natürlich einen gesellschaftspolitischen Skandal darstellen. In dieser konkreten Situation hat natürlich Ingo Schulze alles Recht, darauf hinzuweisen, das ist geradezu ein Glücksfall, wo man mal zeigen kann, hier läuft wirklich was schief. Jetzt kann man natürlich hingehen und fragen: Ist genau das, was da passiert, eigentlich typisch für die gesamte Sponsorschaft in der deutschen Kulturlandschaft?

    Fischer: Also Stichwort Refeudalisierung?

    Winkels: Refeudalisierung, und da ihm recht zu geben, hat eine andere Dimension. Man muss dazu wissen, Ingo Schulze stammt aus der DDR. Man muss auch sagen, er hat diesen wunderbaren Satz gesagt, den man wahrscheinlich in 100 Jahren noch zitieren wird, dass die DDR eine Kultur des Wortes war und der kapitalistische Westen eine Kultur der Zahl. Also er hat einen ganz klaren Bruch zwischen der ideologischen und der ökonomischen Kultur. Und er sieht sehr genau, dass das Primat in fast allen Lebensbereichen und das zunehmend die Ökonomie selber ist. Und dagegen denkt er eine Kultur, die autonom ist, die sich selbst genügt und deren wesentliches Element genau diese autonome Unabhängigkeit ist. Die Autonomie dieser Sphäre ist bedroht, dadurch dass sie dem Verwertungsinteresse des Kapitals, hätten alte Marxisten gesagt, unterworfen wird, und dagegen fordert er ein größeres Engagement des Staates, der sich das Hoheitsrecht, die Selbstverständigung der Gesellschaft über Kultur nicht nehmen lassen soll. So allgemein gesprochen, finde ich, verdient er auch wieder Zustimmung. Aber der Teufel steckt immer im Detail, was machen, wenn Kulturinstitutionen sagen, dann geht gar nichts, wenn wir nicht unterstützt werden.

    Fischer: Die Frage lautet, was soll man in so einer Situation tun, Herr Winkels? Ich erinnere mich, dass bei der Eröffnung des Baden-Badener Festspielhauses sich sehr viele Leute über die Limousine aufgeregt haben, die da im Eingangsbereich stand. Ingo Schulze erzählt nun, dass sogar der Empfang der Deutschen Botschaft in Rom mit dem Dank an eine Autofirma eröffnet wurde. Müsste man, wenn man unternehmerisches Engagement in der Kultur prinzipiell für richtig hält, mehr Diskretion, mehr Uneigennützigkeit, mehr echtes Mäzenatentum fordern, statt zum Beispiel brutalst möglicher Imagepflege?

    Winkels: Das ist auf jeden Fall richtig. Und ich denke, es gibt viele Beispiele dafür, wo das sogar passiert, dieses Mäzenatentum, das Uneigennützige, von dem Sie sprechen. Es ist natürlich ein moralisch-ästhetischer Vorsatz, Dezenz, Zurückhaltung üben, es ist auch richtig. Und das dritte Element, wenn man nicht radikal sozusagen sozialistisch denken will, ist das, was am Ende eigentlich Ingo Schulze selber vorschlägt und vor allen Dingen praktiziert, nämlich Offenlegen. Was er macht, ist ja ein klassisches Mittel. Ich reflektiere öffentlich die Situation, in die ich selber gekommen bin und mache damit alle Bedingungen für jeden einsehbar. Und das hat er in diesem Fall getan. Und das kann natürlich auch nachgeahmt werden. Es ist ja völlig klar, wenn sich ein Opernstar oder, sagen wir, andere bedrängt fühlen von Logos, Markennamen, Imagekampagnen und so weiter hinzugehen und zu sagen: Das läuft, und ich möchte es wenigstens sagen, dass es nicht mein Wohlgefallen findet, ist ja schon ein Mittel, zumindest dieses Grundverhältnis in die Diskussion zu bringen.