Trichet: Ich bin bewegt. Und ich habe immer gesagt, ich vertraue der Justiz.
Dem französischen Notenbankpräsidenten Jean Claude Trichet fiel ein Stein vom Herzen, als ein Pariser Strafgericht ihn am Mittwoch von dem Vorwurf freigesprochen hatte, vor zehn Jahren als Direktor des staatlichen französischen Schatzamtes wissentlich falsche Bilanzen der staatlichen Großbank Credit Lyonnais genehmigt zu haben. Und als schon einen Tag später die Staatsanwaltschaft tat, was das offizielle Frankreich wohl von ihr erwartete, als sie also auf eine Berufung verzichtete, da war der Weg frei für Trichet an die Spitze der Europäischen Zentralbank. Frankreich hat ihn auf dem vorgestern zu Ende gegangenen EU-Gipfel in Thessaloniki nominiert. Die Staats- und Regierungschefs haben die Kandidatur bestätigt.
Die Chefvolkswirte in den Banken loben seine Kompetenz, so etwa Ulrich Hombrecher von der WestLB und Michael Heise von der Allianz-Gruppe:
Herr Trichet ist ein ausgezeichneter Experte auf monetärem Gebiet und sicherlich der richtige Kandidat zur Präsidentschaft der EZB.
Trichet steht zunächst einmal für viel Fachkenntnis und er ist der Mann des franc fort und insofern ist er ein guter Kandidat für die Nachfolge von Duisenberg.
Wim Duisenberg, der erste Präsident der EZB, hatte Anfang Januar dieses Jahres seine Bereitschaft erklärt, vor dem Ablauf seiner achtjährigen Amtszeit schon nach fünf Jahren zurückzutreten:
Ich habe – aus rein formalen Gründen – heute einen Brief an den Generalsekretär des Europäischen Rats, Herrn Solana, geschrieben und um Auflösung meines Vertrages zum 9. Juli 2003 gebeten - oder zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Staats- und Regierungschefs dies im Interesse eines ordentlichen Übergangs der Präsidentschaft für angemessen halten.
Die Erklärung, die der amtierende Präsident der Europäischen Zentralbank am 9. Januar dieses Jahres abgab, war wohl formuliert: Denn spätestens im März zeigte sich, dass die Staats- und Regierungschefs Wim Duisenberg bitten mussten, länger im Amt zu bleiben. Das geschah dann im April, und der EZB-Präsident erklärte sich bereit, so lange im Amt zu bleiben, bis seine Nachfolge geregelt sei. Die nämlich sollte Jean-Claude Trichet antreten, der Präsident der französischen Notenbank stand zu diesem Zeitpunkt noch vor einem französischen Gericht und musste sich wegen des Bilanzskandals der französischen Bank Crédit Lyonnais verantworten. Das Gericht hat ihn nun am vergangenen Mittwoch freigesprochen. Das politische Hin und Her in der Frage, wer und zu welchem Zeitpunkt Wim Duisenberg als EZB-Präsident nachfolgt, hat jedoch für Verstimmung in Finanzkreisen gesorgt. So meint der Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe, Michael Heise:
Das hätte ich begrüßt, wenn man angesichts dieser schwierigen Lage für den französischen Kandidaten auch eine schnelle Alternative hätte diskutieren können. Es ist anders gekommen, aber die vergangenen Monaten waren nicht so gut.
Den amtierenden Präsidenten Wim Duisenberg hat das politische Geschacher unter den EU-Staats- und Regierungschefs von Anfang an begleitet. Seine Ernennung konnte Anfang Mai 1998 nur unter erheblichen Zugeständnissen an die Franzosen durchgesetzt werden. Die wollten nämlich damals schon ihren Kandidaten Trichet in das Amt hieven, weil sie in der Frage des Sitzes der europäischen Notenbank nachgegeben hatten: Frankfurt hatte hier bekanntlich den Zuschlag erhalten. Der Ernennung Wim Duisenbergs ging deshalb am 2. Mai das längste Mittagessen in der Geschichte der EU-Gipfel voraus: Um 13 Uhr hatte man sich zum Essen getroffen, erst zwölf Stunden später trat ein etwas entnervter Tony Blair vor die Presse, er war damals Ratspräsident:
Die Staats- und Regierungschefs stimmen darin überein Wim Duisenberg als Präsidenten der EZB für eine Amtszeit von acht Jahren zu nominieren gemäß dem Vertrag von Maastricht. Sein Nachfolger soll von Frankreich nominiert werden, und wir haben zur Kenntnis genommen, dass der Präsident Frankreichs dazu Herrn Trichet vorgeschlagen hat. Herr Duisenberg hat uns mitgeteilt, dass es nicht seine Absicht sei, die volle Amtszeit von acht Jahren wahrzunehmen.
Eine Begrenzung des Vertrags von Duisenberg auf vier Jahre hätte nämlich dem Vertrag von Maastricht widersprochen.
Am 1. Juni 1998 begann das neugewählte Direktorium der EZB seine Arbeit. In seiner Eigenschaft als Präsident der Deutschen Notenbank, der Bundesbank, ist Ernst Welteke seit September 1999 Mitglied im Rat der EZB. Im Interview mit dem Deutschlandfunk bewertet er die bisherige und zukünftige Arbeit der EZB:
Nach meinem Eindruck waren die ersten fünf Jahre außerordentlich erfolgreich. Die Inflationserwartungen, und darauf konzentriert sich ja unsere Arbeit, waren in dieser Zeit immer unter zwei Prozent, was gleichzeitig auch mit dazu beigetragen hat, dass die Zinsen relativ niedrig bleiben konnten, und die tatsächliche Inflation relativ niedrig war. So gesehen sind die ersten fünf Jahre ein Erfolg, obwohl fünf Jahre, um eine endgültige Beurteilung vorzunehmen, sicherlich noch zu kurz ist. Die Europäische Zentralbank und die europäische Geldpolitik sind sicher die einzigen Felder, auf denen heute europäisch gedacht wird, und das hat auch mit der Unabhängigkeit der Notenbankpolitiker zu tun.
Frage: Der französische Notenbankchef Jean-Claude Trichet ist freigesprochen worden, damit ist der Weg frei für ihn an die EZB-Spitze, wie stehen Sie dazu?
Welteke: Mich persönlich freut das für meinen Freund Jean-Claude Trichet, dass dieses Verfahren jetzt hoffentlich zu einem endgültigen Abschluss gekommen ist, alles weitere, was die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank angeht, ist Sache der Staats- und Regierungschefs.
Frage: Nun steht die Europäische Zentralbank in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen?
Welteke: Die größte Herausforderung für eine Notenbank bleibt immer die Kaufkraft im Inneren zu sichern, Preisniveaustabilität zu gewährleisten, dazu haben wir eine Definition, was wir darunter verstehen wollen, Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex in mittlerer Frist auf Jahresbasis nicht mehr als zwei Prozent, die Stabilität ist gegenwärtig wieder erreicht. Dann wird es sicherlich sehr stark auf die Integration der zehn Beitrittsländer die der Europäischen Union in einem Jahr angehören werden und die vielfach möglichst rasch auch den Euro einführen wollen, ankommen, alle anderen Dinge sind eher vorübergehende Phänomene, wie die Deflationsdiskussion oder auch die Wachstumsschwäche, die uns natürlich auch in großem Umfang betreffen und in denen wir auch ein gewichtiges Wort mitzureden haben, einschließlich der notwendigen Strukturreformen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der Konsolidierung der Öffentlichen Haushalte.
Frage: Sind die Machtmittel der Europäischen Zentralbank in der aktuellen Lage und mit den bevorstehenden Schwierigkeiten noch angemessen. Beispiel wieder Deflationsdiskussion?
Welteke: Über Machtmittel verfügt eine Notenbank eigentlich nicht, wir können allenfalls die Zinsen am kurzen Ende beeinflussen, die Geldmarktsätze, wir können vor allen Dingen aber auch vertrauensbildend wirken, und das ist, glaube ich, der Europäischen Zentralbank ganz gut gelungen. Andere Machtmittel, Disziplinierungsmittel gegenüber den nationalen Regierungen etwa, über die verfügt die Notenbank nicht.
Frage: Wer muss die Probleme der Wirtschaft lösen, die Regierungen oder die EZB?
Welteke: Da sind alle aufgefordert, aber weder kann die Regierung Arbeitsplätze schaffen noch kann die EZB Arbeitsplätze schaffen. Es sind vor allen Dingen die Wirtschaftssubjekte selber, die Unternehmer, die Konsumenten, die Investoren, die die Wirtschaft in Gang halten müssen. Die Politik kann da die Rahmenbedingungen setzen, und darauf haben wir ja schon lange hingewiesen, dass in Europa in vielen Fällen die Rahmenbedingungen nicht mehr richtig sind und die Geldpolitik kann eigentlich nur durch Gewährung von Preisniveaustabilität einen Beitrag für mehr Wachstum und für mehr Arbeitsplätze liefern.
Frage: Nun hat die EZB ja ihren Beitrag geleistet, indem sie die Zinsen noch weiter herabgeschleust hat auf ein historisch niedriges Niveau von 2,0 Prozent. Die Finanzmärkte scheinen dennoch noch nicht zufrieden. Die Fantasie ist geweckt, dass es noch zu weiteren Zinssenkungen kommen könnte. Wie wahrscheinlich sind denn Zinsschritte noch im laufenden Jahr?
Welteke: Das ist Kaffeesatzleserei. Wir haben im letzten halben Jahr die Zinsen um 125 Basispunkte gesenkt in drei Schritten, und so wie sie selbst gesagt haben, sind sie damit auf einem historisch niedrigen Niveau, nicht nur die Nominalzinsen, sondern auch die Realzinsen. Liquidität für größeres inflationsfreies Wachstum ist vorhanden, und deshalb kann es nicht an der Geldpolitik liegen, wenn die Wachstumsraten so niedrig sind, wie sie derzeit prognostiziert werden.
Frage: Wenn aber der Euro nun einen weiteren Schub aufwärts bekäme, wäre es da nicht doch an der Zeit, dass die EZB noch einmal einen Zinsschritt wagt?
Welteke: Man soll, nachdem wir über lange Zeit eine Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar erlebt haben, was natürlich dem Export aus dem Euroraum gegenüber dem Dollarraum dienlich gewesen ist, muss man nicht gleich, da die Entwicklung in eine andere Richtung geht, allzu große Befürchtungen ableiten. Denn zunächst einmal verbessern sich die terms of trade und die Kaufkraft im Inneren erhöht sich. Von daher lassen sich auch positive Effekte daraus erzielen. Und Wechselkurs ist nicht ein Ziel der Geldpolitik, der Wechselkurs spielt dann eine Rolle, wenn er Einfluss auf die Preisentwicklung nimmt.
Ein Wechselkursziel hat die EZB also nicht, ein direktes Inflationsziel hat sie auch nicht angesteuert, ein formales Geldmengenziel hatte sie nicht, nur einen so genannten Referenzwert, aber den hat sie in diesem Frühjahr auch aufgegeben. Lange Zeit, vor allem zu Beginn ihrer Tätigkeit, wussten die Finanzmärkte nicht, was von der EZB zu erwarten war, auf was sie achtete, wie sie die Lage einschätzte. Ulrich Hombrecher, Chefvolkswirt der West LB, zählt das zu den negativen Seiten der Ära Duisenberg.
Die Kommunikatuon ist ständig besser geworden. Anfangs gab es ein paar Probleme. Das ist dies inzwischen nicht mehr der Fall. Das sind die beiden Punkte: Politik und Kommunikation. Die Kommunikation ist für Notenbanken ein ganz wesentlicher Bestandteil ihrer Politik, ihrer Konzeption. Denn sie muss den Finanzmärkten frühzeitig klarmachen in welcher Richtung das Ganze gehen soll.
Bei aller Kritik wurde die persönliche Integrität Duisenbergs freilich nie in Zweifel gezogen.
Wenn wir jetzt durch Europa reisen, müssen wir kein Geld mehr wechseln, wenn wir Freunde besuchen, müssen wir uns kein fremdes Bargeld mehr besorgen.
Ein ganzes kleines Musical hatte die Europäische Zentralbank komponieren und zu Sylvester 2001 auf die Bühne bringen lassen, um den Euro als gemeinsames Geld zu begrüßen. 24 Kinder waren bei der Premiere dabei, je zwei aus den damals zwölf Euro-Staaten. Wim Duisenberg, der weißhaarige Holländer, der erste Präsident der Europäischen Zentralbank, kam damals inmitten der kleinen fröhlichen Schar zur Premiere und erzählte den Kindern, er sei auch mal klein gewesen, aber das Europa, in das er 1935 hineingeboren worden war, sei ein ganz anderes Europa gewesen:
Es war Teil einer Welt, die unter der Weltwirtschaftskrise litt, es war ein Kontinent, dessen Nationen zum zweiten Mal in 50 Jahren die schreckliche Erfahrung eines Weltkrieges gemacht hatten. Und aus Diktatur und Protektionismus lernten die Europäer, miteinander, statt gegeneinander zu arbeiten, sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu respektieren und voneinander zu lernen.
Doch die Vergangenheit ist das eine, die Zukunft das andere. Noch unter Duisenberg und unter Mitarbeit seines Nachfolgers Jean-Claude Trichet im EZB-Rat hat die Europäische Zentralbank in diesem Frühjahr ihre Strategie überarbeitet und dabei einen Kriterientausch vorgenommen. Das Wachstum der Geldmenge stand bisher oben, in der ersten Säule ihrer Strategie, hatte Priorität: Wuchs die Geldmenge, so die Überzeugung, wuchsen auch die Inflationsgefahren. Erst danach kamen alle möglichen Daten zum Zuge, von der Inflationsrate über die Auftragseingänge bis zur Lage auf dem Arbeitsmarkt, um die konjunkturelle Lage im Blick auf die Preisentwicklung abzuschätzen. Doch seit drei Jahren wächst die Geldmenge stärker als gewünscht, und dennoch zeigte die Inflationsrate tendenziell nach unten. Das einst wichtigste Handwerkszeug der Geldpolitik zu Bundesbankzeiten schien nicht mehr zu taugen. So rückte es ins zweite Glied. Thorsten Polleit von der Barclays Bank schließt daraus, dass die Geldpolitik künftig weniger im Dienste des mittelfristig stabilen Geldwertes stehen wird, dass sie vielmehr schneller, kurzfristiger, konjunkturabhängiger wird:
Ich glaube, dass dieser Säulentausch Konsequenzen haben wird für die operative Geldpolitik, denn der Druck für eine mehr zyklusorientierte Geldpolitik nimmt sicherlich dadurch zu. Denn die Geldmenge, soweit sie im Vordergrund der Zinsentscheidung steht, führt zu einem mittelfristig orientierten Handlungspfad, und das ist sicherlich zu befürchten, dass das in dieser Weise nicht mehr so sein wird in der Zukunft.
Auch in der Wissenschaft wird darüber diskutiert, welche Folgen es haben könnte, dass die Zentralbanken die Geldmenge beiseiteschieben, weil sie sie offenkundig nicht mehr im Griff haben. Wolfgang Gebauer, Volkswirt an der Universität Frankfurt mit dem Spezialgebiet Geld und Währung, ist der Meinung, mittlerweile seien es die Banken, die im Kontakt mit ihren Kunden das Geld schöpften, die Geldmenge erhöhten, weil sie die Kreditwünsche ihrer Kunden, auch die des Staates, weitgehend erfüllten. Und damit sei die Erkenntnis, das nur das verteilt werden könne, was zuvor erspart worden sei, außer Kraft gesetzt worden:
Dieser Lehrsatz gilt heute nicht mehr, weil über die Ersparnis eine riesige Kreditpyramide errichtet worden ist. Aber das müsste wieder zurückgeführt werden auf das, was tatsächlich einer Volkswirtschaft erspart wird. Nur das kann verteilt werden an den besten Nutzer. Aber heute haben wir die Möglichkeit der Banken, im Prinzip, wie wir sagen, ex nihilo, aus dem Nichts jede beliebige Geldschaffung über Kreditgewährung zu betreiben und anschließend diese zusätzliche Geldschaffung zu refinanzieren bei der Zentralbank. Und die Zentralbank muss das tun. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn die Zentralbank nein sagen würde, wir geben nicht zusätzliche Zentralbankkredite, ihr könnt jetzt kein weiteres Bargeld von uns bekommen. Wenn die Kundschaft merkt, dass sie bei der Bank nicht ihr Geld bar abheben kann, wird man nicht mehr davon ausgehen, was heutzutage jeder tut, dass es so etwas wie eine selbstverständliche Konvertibilität gibt zwischen meinen Sichtguthaben bei der Bank und meinem Bargeld. Das Bargeld ist gesetzliches Zahlungsmittel. Die Sichtguthaben sind es nicht. In dem Augenblick, in dem eine Bank ihre Schalter schließen muss, weil sie nicht genug Bargeld von der Zentralbank bekommen hat, haben wir eine Bankenkrise. Und unter anderem deswegen muss die Zentralbank tatsächlich refinanzieren, was nachgefragt wird. Sie hat sich in eine Zwangsjacke begeben, in der sie das Monopol der Geldschöpfung de facto aus den Händen gegeben hat.
Gerade jetzt, wo die Konjunktur nicht in Fahrt kommt, die Geldschöpfung begrenzen, die Kredite, auch die an den Staat, zurückfahren? Das wird womöglich Trichets Aufgabe sein, den Menschen und der Wirtschaft die Angst vor der Deflation zu nehmen, vor jener Abwärtsspirale sinkender Preise und Investitionen also, in der jedermann zuwartet in der Hoffnung, in der Zukunft niedrigere Preise zu bekommen und so Lähmung die Folge ist.
Wim Duisenberg hat in seiner zuletzt sehr souveränen Art im Umgang mit der Öffentlichkeit vermittelt, er kenne das Schreckgespenst der Deflation aus zwei Jahren sinkender Preise aus seiner Zeit als niederländischer Notenbankpräsident, und diese Zeit sei gut überwunden worden, beispielhaft für die ganze Welt sei das gewesen:
In the Netherlands I had two consecutive years of deflation. They always called it being an example for the rest of the world.
Der Scherz kam an. Doch die Wahrheit ist, dass es wenig Erfahrung im Kampf gegen die Deflation gibt, einen Kampf, den die japanische Notenbank seit gut zehn Jahren vergeblich führt. Ulrich Hombrecher, Chefvolkswirt der WestLB:
Wir habe in der Nachkriegszeit keine Erfahrungen in der westlichen Industrieländer mit deflationären Entwicklungen. Es hat in der Wirtschaftsgeschichte wirkliche Deflationen nur wenige gegeben. Am bekanntesten sicherlich die großen Deflationen, Depressionen in den USA, Deutschland, Frankreich und anderen Industrieländer Anfang der 30-er Jahren. Und, wie gesagt, seit Mitte der 90-er Jahre etwa in Japan. Und die amerikanische Notenbank hat sehr früh erkannt, dass, wenn ein deflationärer Prozess droht, man frühzeitig eingreifen muss.
Wie Hombrecher sieht auch Michael Heise, der Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe, die Deflation nicht als konkret drohende Perspektive und Gefahr, gegen die die Zentralbank im übrigen einige Machtmittel habe:
Die Möglichkeiten, Liquidität in den Kreislauf fließen zu lassen, sind ziemlich groß. Wir sollten wirklich nicht hysterisch sein in der aktuellen Situation, denn die Hysterie ist eine Gefahr in sich.
Der muss man begegnen, aber die Zentralbank darf dabei von den Regierungen nicht ihrer Aufgabe beraubt werden, für stabiles Geld zu sorgen. Die Gefahr ist da, der erste Schritt ist schon getan. Auch Thorsten Polleit von der Barclays Bank, einer der geldpolitischen Hardliner unter den EZB-Beobachtern, sieht allen Deflationsdiskussionen zum Trotz die Inflationsgefahr keinesfalls als gebannt an:
Das Problem liegt dort, wo die Staaten sich in nicht mehr solide Staatshaushalte hinein manövrieren. Das schlägt negativ durch auf Wachstum und Beschäftigung, weil die Steuern und die Abgaben gezahlt werden müssen von den Privaten und den Unternehmen. Und das erhöht letztlich den Druck auf die Notenbank, eine expansive Geldpolitik zu fahren. Und das ist eine Besorgnis, die die EZB beispielsweise immer wieder äußert, dass nämlich die Staatshaushalte sich in Positionen hinein manövrieren, die tatsächlich nur durch Inflation in den Griff zu kriegen sind.
Keine gemütlichen Aussichten also für den Mann des starken Franc, des franc fort in Frankfurt. Zu Hause hat er sich einen entsprechenden Namen gemacht. Der in Lyon geborene, 60 Jahre alte Trichet hat Bergbau studiert, dann die Eliteverwaltungsschule ENA absolviert. Es war Trichets Verdienst, die mehr als 200 Jahre alte, aber erst seit 1994 unabhängige Banque de France aus der konjunkturdienenden Funktion herausgeführt zu haben. Diese Aufgabe eines Geldpolitikers hört nie auf.
Dem französischen Notenbankpräsidenten Jean Claude Trichet fiel ein Stein vom Herzen, als ein Pariser Strafgericht ihn am Mittwoch von dem Vorwurf freigesprochen hatte, vor zehn Jahren als Direktor des staatlichen französischen Schatzamtes wissentlich falsche Bilanzen der staatlichen Großbank Credit Lyonnais genehmigt zu haben. Und als schon einen Tag später die Staatsanwaltschaft tat, was das offizielle Frankreich wohl von ihr erwartete, als sie also auf eine Berufung verzichtete, da war der Weg frei für Trichet an die Spitze der Europäischen Zentralbank. Frankreich hat ihn auf dem vorgestern zu Ende gegangenen EU-Gipfel in Thessaloniki nominiert. Die Staats- und Regierungschefs haben die Kandidatur bestätigt.
Die Chefvolkswirte in den Banken loben seine Kompetenz, so etwa Ulrich Hombrecher von der WestLB und Michael Heise von der Allianz-Gruppe:
Herr Trichet ist ein ausgezeichneter Experte auf monetärem Gebiet und sicherlich der richtige Kandidat zur Präsidentschaft der EZB.
Trichet steht zunächst einmal für viel Fachkenntnis und er ist der Mann des franc fort und insofern ist er ein guter Kandidat für die Nachfolge von Duisenberg.
Wim Duisenberg, der erste Präsident der EZB, hatte Anfang Januar dieses Jahres seine Bereitschaft erklärt, vor dem Ablauf seiner achtjährigen Amtszeit schon nach fünf Jahren zurückzutreten:
Ich habe – aus rein formalen Gründen – heute einen Brief an den Generalsekretär des Europäischen Rats, Herrn Solana, geschrieben und um Auflösung meines Vertrages zum 9. Juli 2003 gebeten - oder zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Staats- und Regierungschefs dies im Interesse eines ordentlichen Übergangs der Präsidentschaft für angemessen halten.
Die Erklärung, die der amtierende Präsident der Europäischen Zentralbank am 9. Januar dieses Jahres abgab, war wohl formuliert: Denn spätestens im März zeigte sich, dass die Staats- und Regierungschefs Wim Duisenberg bitten mussten, länger im Amt zu bleiben. Das geschah dann im April, und der EZB-Präsident erklärte sich bereit, so lange im Amt zu bleiben, bis seine Nachfolge geregelt sei. Die nämlich sollte Jean-Claude Trichet antreten, der Präsident der französischen Notenbank stand zu diesem Zeitpunkt noch vor einem französischen Gericht und musste sich wegen des Bilanzskandals der französischen Bank Crédit Lyonnais verantworten. Das Gericht hat ihn nun am vergangenen Mittwoch freigesprochen. Das politische Hin und Her in der Frage, wer und zu welchem Zeitpunkt Wim Duisenberg als EZB-Präsident nachfolgt, hat jedoch für Verstimmung in Finanzkreisen gesorgt. So meint der Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe, Michael Heise:
Das hätte ich begrüßt, wenn man angesichts dieser schwierigen Lage für den französischen Kandidaten auch eine schnelle Alternative hätte diskutieren können. Es ist anders gekommen, aber die vergangenen Monaten waren nicht so gut.
Den amtierenden Präsidenten Wim Duisenberg hat das politische Geschacher unter den EU-Staats- und Regierungschefs von Anfang an begleitet. Seine Ernennung konnte Anfang Mai 1998 nur unter erheblichen Zugeständnissen an die Franzosen durchgesetzt werden. Die wollten nämlich damals schon ihren Kandidaten Trichet in das Amt hieven, weil sie in der Frage des Sitzes der europäischen Notenbank nachgegeben hatten: Frankfurt hatte hier bekanntlich den Zuschlag erhalten. Der Ernennung Wim Duisenbergs ging deshalb am 2. Mai das längste Mittagessen in der Geschichte der EU-Gipfel voraus: Um 13 Uhr hatte man sich zum Essen getroffen, erst zwölf Stunden später trat ein etwas entnervter Tony Blair vor die Presse, er war damals Ratspräsident:
Die Staats- und Regierungschefs stimmen darin überein Wim Duisenberg als Präsidenten der EZB für eine Amtszeit von acht Jahren zu nominieren gemäß dem Vertrag von Maastricht. Sein Nachfolger soll von Frankreich nominiert werden, und wir haben zur Kenntnis genommen, dass der Präsident Frankreichs dazu Herrn Trichet vorgeschlagen hat. Herr Duisenberg hat uns mitgeteilt, dass es nicht seine Absicht sei, die volle Amtszeit von acht Jahren wahrzunehmen.
Eine Begrenzung des Vertrags von Duisenberg auf vier Jahre hätte nämlich dem Vertrag von Maastricht widersprochen.
Am 1. Juni 1998 begann das neugewählte Direktorium der EZB seine Arbeit. In seiner Eigenschaft als Präsident der Deutschen Notenbank, der Bundesbank, ist Ernst Welteke seit September 1999 Mitglied im Rat der EZB. Im Interview mit dem Deutschlandfunk bewertet er die bisherige und zukünftige Arbeit der EZB:
Nach meinem Eindruck waren die ersten fünf Jahre außerordentlich erfolgreich. Die Inflationserwartungen, und darauf konzentriert sich ja unsere Arbeit, waren in dieser Zeit immer unter zwei Prozent, was gleichzeitig auch mit dazu beigetragen hat, dass die Zinsen relativ niedrig bleiben konnten, und die tatsächliche Inflation relativ niedrig war. So gesehen sind die ersten fünf Jahre ein Erfolg, obwohl fünf Jahre, um eine endgültige Beurteilung vorzunehmen, sicherlich noch zu kurz ist. Die Europäische Zentralbank und die europäische Geldpolitik sind sicher die einzigen Felder, auf denen heute europäisch gedacht wird, und das hat auch mit der Unabhängigkeit der Notenbankpolitiker zu tun.
Frage: Der französische Notenbankchef Jean-Claude Trichet ist freigesprochen worden, damit ist der Weg frei für ihn an die EZB-Spitze, wie stehen Sie dazu?
Welteke: Mich persönlich freut das für meinen Freund Jean-Claude Trichet, dass dieses Verfahren jetzt hoffentlich zu einem endgültigen Abschluss gekommen ist, alles weitere, was die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank angeht, ist Sache der Staats- und Regierungschefs.
Frage: Nun steht die Europäische Zentralbank in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen?
Welteke: Die größte Herausforderung für eine Notenbank bleibt immer die Kaufkraft im Inneren zu sichern, Preisniveaustabilität zu gewährleisten, dazu haben wir eine Definition, was wir darunter verstehen wollen, Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex in mittlerer Frist auf Jahresbasis nicht mehr als zwei Prozent, die Stabilität ist gegenwärtig wieder erreicht. Dann wird es sicherlich sehr stark auf die Integration der zehn Beitrittsländer die der Europäischen Union in einem Jahr angehören werden und die vielfach möglichst rasch auch den Euro einführen wollen, ankommen, alle anderen Dinge sind eher vorübergehende Phänomene, wie die Deflationsdiskussion oder auch die Wachstumsschwäche, die uns natürlich auch in großem Umfang betreffen und in denen wir auch ein gewichtiges Wort mitzureden haben, einschließlich der notwendigen Strukturreformen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der Konsolidierung der Öffentlichen Haushalte.
Frage: Sind die Machtmittel der Europäischen Zentralbank in der aktuellen Lage und mit den bevorstehenden Schwierigkeiten noch angemessen. Beispiel wieder Deflationsdiskussion?
Welteke: Über Machtmittel verfügt eine Notenbank eigentlich nicht, wir können allenfalls die Zinsen am kurzen Ende beeinflussen, die Geldmarktsätze, wir können vor allen Dingen aber auch vertrauensbildend wirken, und das ist, glaube ich, der Europäischen Zentralbank ganz gut gelungen. Andere Machtmittel, Disziplinierungsmittel gegenüber den nationalen Regierungen etwa, über die verfügt die Notenbank nicht.
Frage: Wer muss die Probleme der Wirtschaft lösen, die Regierungen oder die EZB?
Welteke: Da sind alle aufgefordert, aber weder kann die Regierung Arbeitsplätze schaffen noch kann die EZB Arbeitsplätze schaffen. Es sind vor allen Dingen die Wirtschaftssubjekte selber, die Unternehmer, die Konsumenten, die Investoren, die die Wirtschaft in Gang halten müssen. Die Politik kann da die Rahmenbedingungen setzen, und darauf haben wir ja schon lange hingewiesen, dass in Europa in vielen Fällen die Rahmenbedingungen nicht mehr richtig sind und die Geldpolitik kann eigentlich nur durch Gewährung von Preisniveaustabilität einen Beitrag für mehr Wachstum und für mehr Arbeitsplätze liefern.
Frage: Nun hat die EZB ja ihren Beitrag geleistet, indem sie die Zinsen noch weiter herabgeschleust hat auf ein historisch niedriges Niveau von 2,0 Prozent. Die Finanzmärkte scheinen dennoch noch nicht zufrieden. Die Fantasie ist geweckt, dass es noch zu weiteren Zinssenkungen kommen könnte. Wie wahrscheinlich sind denn Zinsschritte noch im laufenden Jahr?
Welteke: Das ist Kaffeesatzleserei. Wir haben im letzten halben Jahr die Zinsen um 125 Basispunkte gesenkt in drei Schritten, und so wie sie selbst gesagt haben, sind sie damit auf einem historisch niedrigen Niveau, nicht nur die Nominalzinsen, sondern auch die Realzinsen. Liquidität für größeres inflationsfreies Wachstum ist vorhanden, und deshalb kann es nicht an der Geldpolitik liegen, wenn die Wachstumsraten so niedrig sind, wie sie derzeit prognostiziert werden.
Frage: Wenn aber der Euro nun einen weiteren Schub aufwärts bekäme, wäre es da nicht doch an der Zeit, dass die EZB noch einmal einen Zinsschritt wagt?
Welteke: Man soll, nachdem wir über lange Zeit eine Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar erlebt haben, was natürlich dem Export aus dem Euroraum gegenüber dem Dollarraum dienlich gewesen ist, muss man nicht gleich, da die Entwicklung in eine andere Richtung geht, allzu große Befürchtungen ableiten. Denn zunächst einmal verbessern sich die terms of trade und die Kaufkraft im Inneren erhöht sich. Von daher lassen sich auch positive Effekte daraus erzielen. Und Wechselkurs ist nicht ein Ziel der Geldpolitik, der Wechselkurs spielt dann eine Rolle, wenn er Einfluss auf die Preisentwicklung nimmt.
Ein Wechselkursziel hat die EZB also nicht, ein direktes Inflationsziel hat sie auch nicht angesteuert, ein formales Geldmengenziel hatte sie nicht, nur einen so genannten Referenzwert, aber den hat sie in diesem Frühjahr auch aufgegeben. Lange Zeit, vor allem zu Beginn ihrer Tätigkeit, wussten die Finanzmärkte nicht, was von der EZB zu erwarten war, auf was sie achtete, wie sie die Lage einschätzte. Ulrich Hombrecher, Chefvolkswirt der West LB, zählt das zu den negativen Seiten der Ära Duisenberg.
Die Kommunikatuon ist ständig besser geworden. Anfangs gab es ein paar Probleme. Das ist dies inzwischen nicht mehr der Fall. Das sind die beiden Punkte: Politik und Kommunikation. Die Kommunikation ist für Notenbanken ein ganz wesentlicher Bestandteil ihrer Politik, ihrer Konzeption. Denn sie muss den Finanzmärkten frühzeitig klarmachen in welcher Richtung das Ganze gehen soll.
Bei aller Kritik wurde die persönliche Integrität Duisenbergs freilich nie in Zweifel gezogen.
Wenn wir jetzt durch Europa reisen, müssen wir kein Geld mehr wechseln, wenn wir Freunde besuchen, müssen wir uns kein fremdes Bargeld mehr besorgen.
Ein ganzes kleines Musical hatte die Europäische Zentralbank komponieren und zu Sylvester 2001 auf die Bühne bringen lassen, um den Euro als gemeinsames Geld zu begrüßen. 24 Kinder waren bei der Premiere dabei, je zwei aus den damals zwölf Euro-Staaten. Wim Duisenberg, der weißhaarige Holländer, der erste Präsident der Europäischen Zentralbank, kam damals inmitten der kleinen fröhlichen Schar zur Premiere und erzählte den Kindern, er sei auch mal klein gewesen, aber das Europa, in das er 1935 hineingeboren worden war, sei ein ganz anderes Europa gewesen:
Es war Teil einer Welt, die unter der Weltwirtschaftskrise litt, es war ein Kontinent, dessen Nationen zum zweiten Mal in 50 Jahren die schreckliche Erfahrung eines Weltkrieges gemacht hatten. Und aus Diktatur und Protektionismus lernten die Europäer, miteinander, statt gegeneinander zu arbeiten, sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu respektieren und voneinander zu lernen.
Doch die Vergangenheit ist das eine, die Zukunft das andere. Noch unter Duisenberg und unter Mitarbeit seines Nachfolgers Jean-Claude Trichet im EZB-Rat hat die Europäische Zentralbank in diesem Frühjahr ihre Strategie überarbeitet und dabei einen Kriterientausch vorgenommen. Das Wachstum der Geldmenge stand bisher oben, in der ersten Säule ihrer Strategie, hatte Priorität: Wuchs die Geldmenge, so die Überzeugung, wuchsen auch die Inflationsgefahren. Erst danach kamen alle möglichen Daten zum Zuge, von der Inflationsrate über die Auftragseingänge bis zur Lage auf dem Arbeitsmarkt, um die konjunkturelle Lage im Blick auf die Preisentwicklung abzuschätzen. Doch seit drei Jahren wächst die Geldmenge stärker als gewünscht, und dennoch zeigte die Inflationsrate tendenziell nach unten. Das einst wichtigste Handwerkszeug der Geldpolitik zu Bundesbankzeiten schien nicht mehr zu taugen. So rückte es ins zweite Glied. Thorsten Polleit von der Barclays Bank schließt daraus, dass die Geldpolitik künftig weniger im Dienste des mittelfristig stabilen Geldwertes stehen wird, dass sie vielmehr schneller, kurzfristiger, konjunkturabhängiger wird:
Ich glaube, dass dieser Säulentausch Konsequenzen haben wird für die operative Geldpolitik, denn der Druck für eine mehr zyklusorientierte Geldpolitik nimmt sicherlich dadurch zu. Denn die Geldmenge, soweit sie im Vordergrund der Zinsentscheidung steht, führt zu einem mittelfristig orientierten Handlungspfad, und das ist sicherlich zu befürchten, dass das in dieser Weise nicht mehr so sein wird in der Zukunft.
Auch in der Wissenschaft wird darüber diskutiert, welche Folgen es haben könnte, dass die Zentralbanken die Geldmenge beiseiteschieben, weil sie sie offenkundig nicht mehr im Griff haben. Wolfgang Gebauer, Volkswirt an der Universität Frankfurt mit dem Spezialgebiet Geld und Währung, ist der Meinung, mittlerweile seien es die Banken, die im Kontakt mit ihren Kunden das Geld schöpften, die Geldmenge erhöhten, weil sie die Kreditwünsche ihrer Kunden, auch die des Staates, weitgehend erfüllten. Und damit sei die Erkenntnis, das nur das verteilt werden könne, was zuvor erspart worden sei, außer Kraft gesetzt worden:
Dieser Lehrsatz gilt heute nicht mehr, weil über die Ersparnis eine riesige Kreditpyramide errichtet worden ist. Aber das müsste wieder zurückgeführt werden auf das, was tatsächlich einer Volkswirtschaft erspart wird. Nur das kann verteilt werden an den besten Nutzer. Aber heute haben wir die Möglichkeit der Banken, im Prinzip, wie wir sagen, ex nihilo, aus dem Nichts jede beliebige Geldschaffung über Kreditgewährung zu betreiben und anschließend diese zusätzliche Geldschaffung zu refinanzieren bei der Zentralbank. Und die Zentralbank muss das tun. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn die Zentralbank nein sagen würde, wir geben nicht zusätzliche Zentralbankkredite, ihr könnt jetzt kein weiteres Bargeld von uns bekommen. Wenn die Kundschaft merkt, dass sie bei der Bank nicht ihr Geld bar abheben kann, wird man nicht mehr davon ausgehen, was heutzutage jeder tut, dass es so etwas wie eine selbstverständliche Konvertibilität gibt zwischen meinen Sichtguthaben bei der Bank und meinem Bargeld. Das Bargeld ist gesetzliches Zahlungsmittel. Die Sichtguthaben sind es nicht. In dem Augenblick, in dem eine Bank ihre Schalter schließen muss, weil sie nicht genug Bargeld von der Zentralbank bekommen hat, haben wir eine Bankenkrise. Und unter anderem deswegen muss die Zentralbank tatsächlich refinanzieren, was nachgefragt wird. Sie hat sich in eine Zwangsjacke begeben, in der sie das Monopol der Geldschöpfung de facto aus den Händen gegeben hat.
Gerade jetzt, wo die Konjunktur nicht in Fahrt kommt, die Geldschöpfung begrenzen, die Kredite, auch die an den Staat, zurückfahren? Das wird womöglich Trichets Aufgabe sein, den Menschen und der Wirtschaft die Angst vor der Deflation zu nehmen, vor jener Abwärtsspirale sinkender Preise und Investitionen also, in der jedermann zuwartet in der Hoffnung, in der Zukunft niedrigere Preise zu bekommen und so Lähmung die Folge ist.
Wim Duisenberg hat in seiner zuletzt sehr souveränen Art im Umgang mit der Öffentlichkeit vermittelt, er kenne das Schreckgespenst der Deflation aus zwei Jahren sinkender Preise aus seiner Zeit als niederländischer Notenbankpräsident, und diese Zeit sei gut überwunden worden, beispielhaft für die ganze Welt sei das gewesen:
In the Netherlands I had two consecutive years of deflation. They always called it being an example for the rest of the world.
Der Scherz kam an. Doch die Wahrheit ist, dass es wenig Erfahrung im Kampf gegen die Deflation gibt, einen Kampf, den die japanische Notenbank seit gut zehn Jahren vergeblich führt. Ulrich Hombrecher, Chefvolkswirt der WestLB:
Wir habe in der Nachkriegszeit keine Erfahrungen in der westlichen Industrieländer mit deflationären Entwicklungen. Es hat in der Wirtschaftsgeschichte wirkliche Deflationen nur wenige gegeben. Am bekanntesten sicherlich die großen Deflationen, Depressionen in den USA, Deutschland, Frankreich und anderen Industrieländer Anfang der 30-er Jahren. Und, wie gesagt, seit Mitte der 90-er Jahre etwa in Japan. Und die amerikanische Notenbank hat sehr früh erkannt, dass, wenn ein deflationärer Prozess droht, man frühzeitig eingreifen muss.
Wie Hombrecher sieht auch Michael Heise, der Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe, die Deflation nicht als konkret drohende Perspektive und Gefahr, gegen die die Zentralbank im übrigen einige Machtmittel habe:
Die Möglichkeiten, Liquidität in den Kreislauf fließen zu lassen, sind ziemlich groß. Wir sollten wirklich nicht hysterisch sein in der aktuellen Situation, denn die Hysterie ist eine Gefahr in sich.
Der muss man begegnen, aber die Zentralbank darf dabei von den Regierungen nicht ihrer Aufgabe beraubt werden, für stabiles Geld zu sorgen. Die Gefahr ist da, der erste Schritt ist schon getan. Auch Thorsten Polleit von der Barclays Bank, einer der geldpolitischen Hardliner unter den EZB-Beobachtern, sieht allen Deflationsdiskussionen zum Trotz die Inflationsgefahr keinesfalls als gebannt an:
Das Problem liegt dort, wo die Staaten sich in nicht mehr solide Staatshaushalte hinein manövrieren. Das schlägt negativ durch auf Wachstum und Beschäftigung, weil die Steuern und die Abgaben gezahlt werden müssen von den Privaten und den Unternehmen. Und das erhöht letztlich den Druck auf die Notenbank, eine expansive Geldpolitik zu fahren. Und das ist eine Besorgnis, die die EZB beispielsweise immer wieder äußert, dass nämlich die Staatshaushalte sich in Positionen hinein manövrieren, die tatsächlich nur durch Inflation in den Griff zu kriegen sind.
Keine gemütlichen Aussichten also für den Mann des starken Franc, des franc fort in Frankfurt. Zu Hause hat er sich einen entsprechenden Namen gemacht. Der in Lyon geborene, 60 Jahre alte Trichet hat Bergbau studiert, dann die Eliteverwaltungsschule ENA absolviert. Es war Trichets Verdienst, die mehr als 200 Jahre alte, aber erst seit 1994 unabhängige Banque de France aus der konjunkturdienenden Funktion herausgeführt zu haben. Diese Aufgabe eines Geldpolitikers hört nie auf.