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Reform der Rechtschreibreform?

Koldehoff: Im Sommer 2005 soll alles verbindlich werden, das hat schon immer festgestanden. Dann soll man sich entscheiden müssen, ob man Thunfisch nun mit h oder ohne h und ob man zusammenschreiben zusammenschreibt oder getrennt. Und wer’s ab Sommer 2005 falsch macht, bekommt ab dann eine 6 - setzen! Erst mal wird aber noch munter geändert. Heute nämlich wurde eine eigentlich interne Beschlussvorlage bekannt, nach der die von den Kultusministern eingesetzte Rechtschreibkommission Dutzende der von ihr aufgestellten Regeln wieder ändern will. Und die Kommission geht noch weiter: Künftig will sie, dem Begleitbrief zufolge, nämlich allein für alle weiteren Änderungen zuständig sein - ohne Kontrolle durch die Politik. Die soll nur noch beteiligt werden, wenn es um so grundlegende Entscheidungen wie die geht, ob künftig alle Substantive klein geschrieben werden. Inzwischen blickt also niemand mehr durch, was wie geschrieben werden darf oder muss. Einer schon - Thomas Steinfeld, Literaturchef der Süddeutschen Zeitung, der die Reform der Reform seit langem verfolgt. An ihn zunächst die Frage: Was ändert sich denn nun alles wieder?

Thomas Steinfeld im Gespräch |
    Steinfeld: Es wird sich gar nichts ändern. Wir leben ja in einer Situation, in der es nicht nur eine und auch nicht nur zwei sondern unendlich viel Rechtschreibungen gibt. Es gibt die alte Rechtschreibung, die nach wie vor von den meisten Menschen benutzt wird, es gibt die neue Rechtschreibung, die mit der Gewalt der Zensur in den Schulen durchexerziert wird, es gibt unendlich viele Mischformen. Und darüber hinaus gibt es Rechtschreibungen, die es im Deutschen noch nie gegeben hat, die Vermeidungsrechtschreibung, also die Rechtschreibung, die Leute benutzen wenn sie nicht gerne Gräuel schreiben möchten und die Unsicherheitsrechtschreibung, die dadurch entstanden ist, dass keiner mehr weiß, was gilt. Das weiß natürlich auch die Kommission, das wissen natürlich auch die Kultusminister und beide wollen allerdings um jeden Preis vermeiden, dass man irgendetwas an diesem Akt der Reformierung der Rechtschreibung zurückdreht, dass man abweicht von dem, was man da mal gemacht hat.

    Koldehoff: Trotzdem ist ja nun die Rede von einem Papier, in dem nun wieder neue Änderungen vorgeschlagen werden?

    Steinfeld: Diese Änderungen entstehen dadurch, dass viele der Regeln, die dort vorgesehen worden sind, Groß- und Kleinschreibung, Zusammenschreibung, Getrenntschreibung, in sich widersprüchlich sind und linguistisch einfach nicht durchdacht sind. Da ist der Sprachgebrauch, der agiert durch den Lauf der Zeit, einfach viel, viel klüger. Die sind nicht durchdacht und bringen einen Widerspruch nach dem anderen hervor, so entstehen die dauernden Revisionen der Rechtschreibung und so entsteht die Situation, dass man alle zwei Jahre im Grunde genommen vor einer neuen Situation steht. Das ist absurd, weil es keine Möglichkeit der Welt gibt, das Ganze zu dokumentieren. Und so gibt es und das ist vor allem bei dem Variantenapparat geschehen, den die Kommission zulässt, also das Schreibungen erlaubt sind, auch wenn sie nicht vorgesehen sind, mittlerweile einen riesigen Graubereich dessen, was möglich ist, was aber nirgendwo nachgeprüft werden kann, weil es die Wörterbücher dafür gar nicht gibt.

    Koldehoff: Wenn aber nun alles so chaotisch ist, wie Sie es gerade beschreiben und auch bleiben soll, worüber wird dann in der kommenden Woche beraten werden? Wofür gibt es dann überhaupt eine Beschlussvorlage?

    Steinfeld: Diese Sitzung findet statt, um den vierten Bericht der Kommission abzusegnen. Dieser vierte Bericht der Kommission enthält die eben geschilderten Änderungen, wie zum Beispiel, dass bei Zusammen-, Getrenntschreibung sich wieder einiges ändert, dass die Partikel anders berücksichtigt werden, das ist im Grunde genommen ein formaler Akt, denn die Kommission ist ja den Kultusministern berichtspflichtig. Darüber hinaus geht es in diesem Brief und in dieser Entscheidungsvorlage, der ja vor den Kultusministern oder in den Kultusministerien entstanden ist aber darum, die Politik von diesem ganzen Gehacke zu entlasten. Es geht also de facto darum, dass die Politik sagen möchte, wir haben nichts mehr mit diesem Durcheinander zu tun sondern überlassen der Kommission jetzt ganz alleine die Arbeit, in alle Ewigkeit die deutsche Rechtschreibung zu reformieren.

    Koldehoff: Dazu schreiben Sie heute in der Süddeutschen Zeitung über diese Kommission, "ein obskurer Kader, dessen Qualifikation- und Rekrutierungsregeln undurchschaubar sind, möchte sich selbständig machen, als bräuchte dieses Land eine Sonderbehörde für Rechtschreibung mit nahezu geheimdienstlichen Kompetenzen." Was steckt denn dahinter?

    Steinfeld: Schauen Sie, die meisten Mitglieder dieser Kommission sind Linguisten und Linguistik ist eine Wissenschaft, die beschäftigt sich damit, Sprache zu erforschen. Nun geht sie aber dazu über, die Sprache nicht zu erforschen sondern auch zu verändern, das ist etwas, dazu ist die Linguistik nicht geschaffen, das macht die Sprache selber. Die Rekrutierungsregeln sind undurchschaubar, weil man zum Beispiel völlig versäumt hat, eine öffentliche Kontrolle für diese Instanz zu schaffen. Das ist ein Kader, der ist in sich geschlossen, der funktioniert nur, weil die einzelnen Mitglieder dieses Kaders sich die ganze Zeit ihrer Existenz selber versichern und weil sie darin von der Politik gestützt werden.

    Koldehoff: Herr Steinfeld, nachdem wir jetzt dieses ganze Hickhack beschrieben haben, wo könnte denn eine Lösung für das ganze Problem liegen?

    Steinfeld: Das würde ich auch gerne wissen. De facto ist die deutsche Rechtschreibung, abgesehen vom engen Bereich der Schulen freigegeben, jeder kann mittlerweile schreiben, wie er will. Da sind längst wieder Verhältnisse eingetreten, wie sie im neunzehnten Jahrhundert in der deutschen Schriftsprache gang und gäbe waren. Ich weiß nicht, wie man das zurücknehmen kann, aber ich denke mir, wir sollten hingehen und diese Freiheit nutzen.