Koldehoff: Trotzdem ist ja nun die Rede von einem Papier, in dem nun wieder neue Änderungen vorgeschlagen werden?
Steinfeld: Diese Änderungen entstehen dadurch, dass viele der Regeln, die dort vorgesehen worden sind, Groß- und Kleinschreibung, Zusammenschreibung, Getrenntschreibung, in sich widersprüchlich sind und linguistisch einfach nicht durchdacht sind. Da ist der Sprachgebrauch, der agiert durch den Lauf der Zeit, einfach viel, viel klüger. Die sind nicht durchdacht und bringen einen Widerspruch nach dem anderen hervor, so entstehen die dauernden Revisionen der Rechtschreibung und so entsteht die Situation, dass man alle zwei Jahre im Grunde genommen vor einer neuen Situation steht. Das ist absurd, weil es keine Möglichkeit der Welt gibt, das Ganze zu dokumentieren. Und so gibt es und das ist vor allem bei dem Variantenapparat geschehen, den die Kommission zulässt, also das Schreibungen erlaubt sind, auch wenn sie nicht vorgesehen sind, mittlerweile einen riesigen Graubereich dessen, was möglich ist, was aber nirgendwo nachgeprüft werden kann, weil es die Wörterbücher dafür gar nicht gibt.
Koldehoff: Wenn aber nun alles so chaotisch ist, wie Sie es gerade beschreiben und auch bleiben soll, worüber wird dann in der kommenden Woche beraten werden? Wofür gibt es dann überhaupt eine Beschlussvorlage?
Steinfeld: Diese Sitzung findet statt, um den vierten Bericht der Kommission abzusegnen. Dieser vierte Bericht der Kommission enthält die eben geschilderten Änderungen, wie zum Beispiel, dass bei Zusammen-, Getrenntschreibung sich wieder einiges ändert, dass die Partikel anders berücksichtigt werden, das ist im Grunde genommen ein formaler Akt, denn die Kommission ist ja den Kultusministern berichtspflichtig. Darüber hinaus geht es in diesem Brief und in dieser Entscheidungsvorlage, der ja vor den Kultusministern oder in den Kultusministerien entstanden ist aber darum, die Politik von diesem ganzen Gehacke zu entlasten. Es geht also de facto darum, dass die Politik sagen möchte, wir haben nichts mehr mit diesem Durcheinander zu tun sondern überlassen der Kommission jetzt ganz alleine die Arbeit, in alle Ewigkeit die deutsche Rechtschreibung zu reformieren.
Koldehoff: Dazu schreiben Sie heute in der Süddeutschen Zeitung über diese Kommission, "ein obskurer Kader, dessen Qualifikation- und Rekrutierungsregeln undurchschaubar sind, möchte sich selbständig machen, als bräuchte dieses Land eine Sonderbehörde für Rechtschreibung mit nahezu geheimdienstlichen Kompetenzen." Was steckt denn dahinter?
Steinfeld: Schauen Sie, die meisten Mitglieder dieser Kommission sind Linguisten und Linguistik ist eine Wissenschaft, die beschäftigt sich damit, Sprache zu erforschen. Nun geht sie aber dazu über, die Sprache nicht zu erforschen sondern auch zu verändern, das ist etwas, dazu ist die Linguistik nicht geschaffen, das macht die Sprache selber. Die Rekrutierungsregeln sind undurchschaubar, weil man zum Beispiel völlig versäumt hat, eine öffentliche Kontrolle für diese Instanz zu schaffen. Das ist ein Kader, der ist in sich geschlossen, der funktioniert nur, weil die einzelnen Mitglieder dieses Kaders sich die ganze Zeit ihrer Existenz selber versichern und weil sie darin von der Politik gestützt werden.
Koldehoff: Herr Steinfeld, nachdem wir jetzt dieses ganze Hickhack beschrieben haben, wo könnte denn eine Lösung für das ganze Problem liegen?
Steinfeld: Das würde ich auch gerne wissen. De facto ist die deutsche Rechtschreibung, abgesehen vom engen Bereich der Schulen freigegeben, jeder kann mittlerweile schreiben, wie er will. Da sind längst wieder Verhältnisse eingetreten, wie sie im neunzehnten Jahrhundert in der deutschen Schriftsprache gang und gäbe waren. Ich weiß nicht, wie man das zurücknehmen kann, aber ich denke mir, wir sollten hingehen und diese Freiheit nutzen.