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Reform, nicht Revolution

Anfang dieser Woche veröffentlichten fünf iranische Intellektuelle im Exil eine Erklärung, die die Ziele der Protestbewegung in Iran zusammenfasst: Nicht etwa eine Revolution fordern sie, sondern lediglich eine Reform der bestehenden Verfassung.

Von Katajun Amirpur | 09.01.2010
    Das Regime in Teheran geht immer massiver gegen die kritische Öffentlichkeit vor. Auch indem es strikte Zensur übt, offene politische Diskussionen und den Austausch der Menschen im Land selbst untersagt. Was bleibt ist das Internet, ist der virtuelle Raum - so auch der Youtube-Kanal der Grünen Bewegung. Hier lädt Hamid Dabashi, Professor für Iranistik an der Columbia-University in den USA ein, gemeinsam auf die Woche zurückzublicken.

    Doch auch der Zugang zum Internet wird mehr und mehr erschwert, vor allem die Seiten der Opposition werden oft gesperrt. Viele im Land lebende Iraner nutzen daher den amerikanischen Sender "Voice of America" und den britischen Sender BBC, beziehungsweise dessen persischsprachiges Programm. Wer sich informieren will, diskutieren und austauschen, der hört Radio, wie auch in dieser Woche, am Dienstagabend. Das herausragende Thema: die Erklärung der Fünf, der Forderungskatalog der "Grünen Bewegung".

    Fünf der namhaftesten iranischen Intellektuellen, die aufgrund der repressiven Lage, zurzeit alle im Ausland leben, fordern in dieser Erklärung den Rücktritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Sie werfen ihm vor, nicht der gewählte Präsident Irans zu sein, sondern sein Amt einer Wahlfälschung zu verdanken; sie wollen Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen; sie fordern Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und ganz grundsätzlich: die Wahl und Begrenzung der Amtszeit aller Amtsträger. Diese Forderung bezieht auch den religiösen Führer mit ein, den obersten, den wichtigsten, Mann im Staat, der bisher auf Lebenszeit gewählt ist. Gerade ihn - den religiösen Führer Ali Khamenei - machen die fünf Intellektuellen für die blutige Niederschlagung der Proteste im Sommer verantwortlich. Damit habe er seine Legitimation zu herrschen verwirkt.

    Die fünf Intellektuellen wollen den "tyrannischen Rechtsgelehrten", wie sie Ali Khamenei nennen, also ersetzen - was für viele Iraner einem Tabubruch gleichkommt, für andere eine längst überholte Forderung darstellt. Doch die fünf Intellektuellen wollen sich dabei im Rahmen der Verfassung bewegen. Daher betont Mohsen Kadivar, einer der Verfasser der Erklärung, auch, dass es ihnen keinesfalls um die Abschaffung der Islamischen Republik gehe:

    "Diese Erklärung orientiert sich an dem, was in Iran zurzeit überhaupt möglich ist. Wir haben versucht, den Fehler zu vermeiden, den die meisten Iraner, die im Ausland sind, machen. Dieser Fehler besteht darin, dass einige Landsleute, die seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr in Iran leben, nicht beachten, ob eine Forderung, die sie stellen, von der Mehrheit der Iraner auch wirklich gewollt wird; und zweitens, ob deren Umsetzung auch realistisch ist."

    Mohsen Kadivar lebt seit anderthalb Jahren in den USA. Ursprünglich ist er einer Einladung, dort für zwei Semester Iranistik zu lehren, gefolgt. Inzwischen ist er von den USA aus zu einem der wichtigsten Sprachrohre der "Grünen Bewegung" geworden. Weil die Möglichkeiten zu kommunizieren so eingeschränkt sind, ist schwer abzuschätzen, wie viele Anhänger oder Sympathisanten diese Bewegung heute tatsächlich hat. Die Bewegung selbst geht davon aus, dass neben den fast 70 Prozent der Bevölkerung, die am 12. Juni 2009 ihrer Meinung nach für Mir Hossein Moussavi gestimmt haben und nicht für Ahmadinedschad - wie es offiziell heißt - in den letzten Monaten noch mehrere Millionen Sympathisanten dazu gekommen sind. Denn das Regime habe zu viele Fehler gemacht. Die Ereignisse der letzten Monate, das Blutvergießen, die Morde und Folter in den Gefängnissen, die Schauprozesse, all das soll der "Grünen Bewegung" noch mehr Anhänger zugetrieben haben.

    Doch obschon sich immer mehr Menschen vom Ali Khamenei und dem Regime abwenden, warnt Kadivar vor Fehleinschätzungen. Oft werde im Ausland davon gesprochen, dass Iran am Vorabend einer neuen Revolution stehe:

    "Die Mehrheit der Iraner verspürt keinen Wunsch nach einer zweiten Revolution, 30 Jahre nach der letzten. Stattdessen wollen die meisten Iraner institutionelle und grundlegende Veränderungen des Systems. Deshalb können wir diese Bewegung als eine Reformbewegung bezeichnen, deren Ziele zwar revolutionär sind, die aber absolut gewaltfrei, behutsam und im Rahmen der bestehenden Gesetze agiert. Daher haben wir in unserer Erklärung darauf geachtet, im Einklang zu stehen mit der Verfassung der Islamischen Republik. Und dabei haben wir versucht, die Teile der Verfassung herauszustellen, die mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und mit den Prinzipien der Demokratie übereinstimmen. Und an den Stellen, an denen das Regime eine diktatorische Interpretation der Verfassung vorgibt, wollen wir zeigen: Es gibt auch eine andere, eine demokratische Lesart unserer Verfassung."

    Deshalb ist Kadivar auch grundsätzlich sehr optimistisch in Bezug auf die Zukunft der Bewegung:

    "In den letzten Monaten sind Dinge in Iran passiert, die in den letzten 30 Jahren nicht passiert sind. Ein Ergebnis der 'Grünen Bewegung' war dieses: Zuvor war es eine bestimmte Schicht, die die Herrschenden kritisierte; es war die Elite, es waren die Intellektuellen. Inzwischen tun das alle. Denn die Menschen wissen um die Vergehen und Gesetzesverstöße der Islamischen Republik. Das andere ist: Die Menschen haben zu einem Glauben an ihre eigene Stärke gefunden. Dass sie jetzt sagen: Wir stehen alle zusammen. Lasst uns keine Angst haben. Wie man es derzeit dauernd in den Universitäten und auf den Straßen Teherans hört. Ja, das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ist etwas Neues: Früher hatten die Menschen Angst. Jetzt sind sie mutig geworden. Und dieser Mut ist viel wert."

    In der "Grünen Bewegung" kommen Iraner unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft und verschiedenen Alters zusammen. Und genauso unterschiedlich sind auch die Ansichten der fünf Intellektuellen, die jetzt gemeinsam den Forderungskatalog erstellt haben. Akbar Ganji beispielsweise ist als radikaler Säkularist bekannt. Er hat in den letzten Monaten für viel Wirbel gesorgt, als er erklärte, der Koran sei nicht Gottes Wort. Das ist eine Haltung, die der Geistliche Mohsen Kadivar nicht teilt.

    Aber dass die fünf Unterzeichner mit den so unterschiedlichen Ansichten damit auch unterschiedliche Strömungen stehen, macht ein Großteil ihrer Stärke aus: So können sie viele Menschen zusammenführen und alle Mitglieder der Fünfer-Gruppe sagen zudem: Was sie hier formuliert haben, sei ihr kleinster gemeinsamer Nenner, sei eine Art Arbeitsgrundlage. Und wohin sich Iran und die Bewegung entwickelten, wenn diese Minimalforderungen umgesetzt würden, sei letztlich offen. Auch Akbar Ganji gab in diesen Tagen der BBC ein Interview:

    "Wir wollten mit unserer Erklärung die Oppositionsführer in Iran unterstützen. Wir müssen unsere Minimalforderungen klar formulieren, damit darüber ein Konsens hergestellt werden kann. Und damit können wir die 'Grüne Bewegung' dann voranbringen."

    Die Proteste gegen das Regime hören nicht auf und das Regime sieht sich immer mehr in die Ecke gedrängt. Vermutlich aus diesem Grund ist jetzt unter Strafe gestellt worden, der BBC Interviews zu geben. Doch dass auch die Verantwortlichen in Teheran BBC hören, lässt sich allein an den unfreundlichen Kommentaren über die Fünfergruppe in der staatlichen iranischen Presse ablesen.