Freitag, 29. März 2024

Archiv

Reformation in Serie
Luthers Thesen - neu gelesen (75)

Die Historikerin Katharina Kunter, der Humanist Frieder Otto Wolf und die buddhistische Nonne Carola Roloff kommentieren Martin Luthers 75. These.

29.09.2017
    These 75: "Zu glauben, die päpstlichen Ablässe seien derart, dass sie einen Menschen von Schuld freisprechen könnten, selbst wenn er – gesetzt den unmöglichen Fall – die Gottesgebärerin vergewaltigt hätte, das ist verrückt sein."
    Katharina Kunter, Historikerin: "Das ist die allerhöchste Schuld, die sich ein Mönch – und Luther ist ja zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch ein Mönch, lebt noch unter dem Zölibat – vorstellen kann: die Gottesmutter – also Maria – zu vergewaltigen."
    Frieder Otto Wolf, Humanist: "Die Frage ist natürlich: Warum konstruiert Luther hier solche unmöglichen und empörenden Modelle? Das ist eigentlich die Besessenheit mit Sexualität und Gewalt, die hier in dieser These zum Ausdruck kommt."
    Kunter: "Selbst wenn er sich vorstellen könnte, dass ein Mensch so etwas macht, kann er sich doch nicht vorstellen, dass ein Ablass da Sühne und Loslösung von Schuld bringen kann. Und das versucht er den Hörern und den Lesern seiner These hier deutlich zu machen."
    Wolf: "Dass er auf diese Art von Beispielen so zuspitzt, das finde ich dann doch Zeugnis einer sehr bedrückenden Mentalität."
    Carola Roloff, buddhistische Nonne: "Ablassbriefe bewirken das Gegenteil von dem, worum es geht: nämlich aufrichtige Reue, gute Vorsätze für die Zukunft zu fassen. Im Buddhismus sprechen wir von Geistestraining. Also in Bezug auf den Körper akzeptiert jeder, dass es gut ist, ihn zu trainieren. Wichtig ist aber auch, den eigenen Geist zu trainieren in guten Eigenschaften wie Liebe und Mitgefühl, Wohlwollen und Mitverantwortung, Toleranz und Respekt."
    Konzeption und Realisierung: Christiane Florin, Andreas Main, Christian Röther, Simonetta Dibbern