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Reformationsjubiläum
Ein Blick auf die Verdrängten

Theologie-Professoren streiten mit der Evangelischen Kirche darüber, was ihr Auftrag ist im Reformationsjubiläum. Aber auch an der Pastoren-Basis wird Kritik geäußert: Das Jubiläum werde zum Luther-Jubiläum verkürzt. Vergessen würden jene, denen reformatorische Ideen verweigert wurden: etwa den Frauen. Feiern wir den Falschen?

Von Christian Röther | 19.04.2017
    Ein Reformationsbuch ohne Luther: Cover des Titels "Reformation - verdrängt, verhindert, verweigert".
    Ein Reformations-Buch ohne Luther auf dem Cover (Deutschlandradio / Christian Röther)
    "Ein feste Burg ist unser Gott,
    ein gute Wehr und Waffen."
    "Mir war wichtig, klarzumachen, dass die Reformation ein Ereigniszusammenhang ist und eben keine Symphonie, die von einer Ein-Mann-Kapelle gespielt wird."
    "Er hilft uns frei aus aller Not,
    die uns jetzt hat betroffen."
    Martin Luther: Komponist, Dirigent und Erste Geige der Reformation? Mitnichten, findet Sigrid Lampe-Densky. Sie ist evangelische Pastorin in Hannover und möchte den Blick auf die Reformation erweitern:
    "Es hat ja den Anschein, als würden wir jetzt ein Luther-Festival feiern. Da ist ja erst mal die Frage, ob es überhaupt etwas zu feiern gibt. Da bin ich schon mal sehr skeptisch, weil Theologie ist für mich auch erst mal theologische Selbstkritik. Das heißt: Ich möchte mich nicht so gerne an einer Heldenverehrung beteiligen, die ja sehr schnell bei so einer Herangehensweise, wie sie im Moment betrieben wird, herauskommt. Es erscheint doch sehr stark in diesem eigentlichen Jubiläumsjahr so, als ob es eben nur diesen einen wichtigen Theologen gegeben hätte."
    Im Schatten von Luther: Frauen, Bauern und Juden
    Martin Luther blickt einen an von Plakaten, Zeitschriften und Buchdeckeln. Auch Sigrid Lampe-Densky hat ein Buch über die Reformation geschrieben. Es heißt: "Reformation – verdrängt, verhindert, verweigert". Doch hier ist es nicht Luther, der auf dem Umschlag zu sehen ist, sondern eine Frau:
    "Ich bin ja als jemand, die sich sehr für das Neue Testament und die Bibel interessiert, daran gewöhnt, dass man mit einem biblischen Blick immer auch auf die verdrängten und die im Schatten stehenden Menschen schaut. Und so habe ich halt auch in das 16. Jahrhundert versucht zu schauen."
    Sigrid Lampe-Densky, evangelische Pastorin in Hannover. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Angebote für Frauen und Senioren in der Gemeinde.
    Sigrid Lampe-Densky, evangelische Pastorin in Hannover. (Deutschlandradio / Christian Röther)
    Wer also steht im übergroßen Schatten von Martin Luther? Sigrid Lampe-Densky sagt: Frauen, Bauern und Juden. In allen drei Gruppen habe es vor 500 Jahren ebenfalls reformatorische Strömungen gegeben. Doch diese seien verhindert worden, verweigert und verdrängt.
    "Die Frauen haben sich schon viel früher als 1517 reformatorisch engagiert. Also ich bin der Meinung, dass die Reformation überhaupt schon viel früher angefangen hat als im 16. Jahrhundert. Also ich würde sagen: Sie begann schon mit den mittelalterlichen Mystikerinnen, die als erste die moderne – würden wir sagen – Subjektivität der Menschen entdeckt haben, weil sie den unmittelbaren Zugang zu Gott gefunden haben."
    "Es war ganz schwierig für die Frauen"
    Ein Weg vom Gläubigen direkt zu Gott – ohne Pfarrer und Priester. Eine Idee, die in der Reformationszeit viele Anhänger findet. Eine Frauenbewegung innerhalb der Reformation gelingt allerdings nicht, sagt die Pastorin:
    "So bis 1526 konnten sie agieren und Flugschriften auch schreiben, aber danach war es dann ganz schwierig für die Frauen. Das war also die verdrängte Reformation."
    Zu dieser Verdrängung hat in den Augen von Sigrid Lampe-Densky maßgeblich der Mann beigetragen, der heute als Reformator gefeiert wird:
    "Luthers Frauenbild – der ja der Meinung war, es soll nicht mehr die Klosterfrau geben, sondern nur noch die Familienfrau – war ja sehr einflussreich. Es gab dann nur noch ein offizielles Frauenbild. Die Realität mag an vielen Stellen auch wieder anders ausgehen haben, aber es war erst mal dieses massive Frauenbild, was sich dann natürlich auch ausgewirkt hat."
    Massive Gewalt gegen Bauern
    Nicht nur den Frauen wies Luther ihren Platz zu – auch den Bauern. Die reformatorischen Ideen führten zum Aufstand der Beherrschten und zum Deutschen Bauernkrieg. Die Bauern beriefen sich unter anderem auf Luthers "Freiheit eines Christenmenschen". Doch Luther schlug sich auf die Seite der Herrschenden.
    "Er hat eben mit seiner Theologie sich massiv von diesem Engagement der Bauern abgesetzt und sogar dann – als es harte Auseinandersetzungen gab mit den Fürsten – sich dafür eingesetzt, dass die Fürsten mit massiver Gewalt gegen diese Reformation vorgehen."
    Laut Sigrid Lampe-Densky wurden reformatorische Ideen noch einer weiteren Gruppe vorenthalten: den Jüdinnen und Juden. Die Pastorin verweist auf Luthers judenfeindliche Ansichten:
    "Ihnen wurde ja in dem Sinne dann Reformation gleich ganz verweigert. Also sie waren gar nicht als Akteure oder als Adressaten für reformatorische Ideen gedacht – es sei denn, sie würden sich taufen lassen. Aber eigentlich sollte es sie nicht geben – und wenn, dann sollten sie eben vertrieben werden."
    Folgt man den Überlegungen von Sigrid Lampe-Densky, dann war Martin Luther nicht nur ein Reformator – sondern auch ein Reformationsverhinderer.