"Am Vorabend von Peter und Paul aus der elenden Haft. Martin Luther. Amen."
Feridun Zaimoglu liest aus seinem Luther-Roman "Evangelio". An diesem Tag im Literarischen Zentrum Göttingen. Es könnte aber auch in Gera, Göppingen oder Germersheim sein. Der Schriftsteller bestreitet dutzende Veranstaltungen in ganz Deutschland. Im Jahr des Reformationsjubiläums ist Luther eben überall.
"Wichtig ist für die Menschen dann: Was geschah damals wirklich? Es ist der Wunsch zu erfahren, wie das angefangen hat und wie er gelebt hat, was mit ihm los war. Und was waren das für innere Dämonen, mit denen er gerungen hat? Darum geht es."
Luther ist überall – aber fundiertes Wissen über ihn offenbar nicht.
"Die meisten Leute wissen eigentlich über Luther nur, dass er geblitzt wurde und dann ins Kloster ging und danach nimmt's mächtig ab."
Maja Nielsen ist Kinderbuchautorin und hat den Reformator und seine Zeit kindgerecht aufbereitet – was nicht heißt, dass nur Kinder bei ihr den Wissensdurst stillen können. Lesungen mit Luther laufen.
"Die Leute sind dankbar, einmal den Überblick zu kriegen"
"Ich merke das gerade, wenn ich in Kirchengemeinden gehe, dass die Leute sehr dankbar sind, einmal den Überblick zu kriegen. Also ich lebe ja letztendlich von meinen Lesungen. Und ich habe mehr Anfragen, als ich bewältigen kann."
Keine Ahnung von Luther? Das sieht nicht jeder so. Beispiel: Bruno Preisendörfer. Auch er: Schriftsteller – und auch er: mächtig viel unterwegs mit Luther. Zu seinen Lesungen in evangelischen Gemeinden kommen vor allem ältere Menschen.
"Ich werde ja in diesem Jahr 60. Da habe ich das Vergnügen, dass ich den Altersdurchschnitt senke. Und es ist dort immer ein besonderes mentales Vergnügen auch, geistiges Vergnügen auch, weil die Auseinandersetzung findet doch auf einem guten Level statt und man kann da schon argumentieren. Also das macht schon Freude."
Weniger Freude macht Preisendörfer der Gedanke, die Geschichte so zuzuspitzen oder zu vereinfachen, dass er damit auch ein jüngeres Publikum erreichen könnte.
"Die Leute können sich mit dem Thema beschäftigen und können die Komplexität von so einem Thema aushalten. Oder sie können es lassen. Wenn die jungen Leute – was ja auch nicht für alle gilt – aber wenn historische Erfahrungen und Berichte auf Twitter-Komplexität zusammengeschrumpft werden sollen, dann sollen das irgendwelche Leute machen. Aber ich habe damit nichts zu tun."
"Kinder mögen, dass er nicht so ein reiner gelackter Held ist"
Komplexität reduzieren – das ist selbstverständlich eine Aufgabe, der sich Maja Nielsen als Autorin von Kinderbüchern stellen muss. Trotzdem sagt sie, sie möchte Luther nicht nur als Abenteuerhelden präsentieren. Auch Luthers Ablehnung von Juden oder aufständischen Bauern bespricht Nielsen mit Kindern.
"Also ich würde da ab der fünften, sechsten Klasse ansetzen. Da kann man sehr ernst darüber sprechen und die verstehen das auch. Und die mögen das eigentlich auch, dass er nicht so ein reiner gelackter Held ist, sondern Widersprüche hat. Wie jeder normale Mensch auch."
"Ich hab Hund fressen müssen und Ratte und Pferdemaul und Klumpen Erde. Krieg ist Mannfresser."
Im Literarischen Zentrum Göttingen hat der Schriftsteller Feridun Zaimoglu nicht nur Luther im Gepäck, sondern Tillmann Bendikowski neben sich. Noch ein Autor, er hat ein Buch über die Reformation geschrieben. Sein Eindruck: im Reformationsjahr wollen die Leute mehr als nur ihren Luther.
"Ich erlebe bei den Reisen und Lesungen, die ich mache, dass Menschen gerne über die Konfessionsverschiedenheit sprechen wollen. Es gab in den jeweiligen Biografien immer mal evangelisch-katholische Spannungen. Und da ist vieles geblieben auch an Verletzungen. Das ist etwas, das in diesem Jubiläumsjahr zuweilen wieder hoch kommt. Das finde ich interessant."
"Ich glaube, das Jubiläum hat einen echten Mehrwert"
Vier Autoren auf Lutherlesereise durch die Republik – mit am Ende ganz unterschiedlichen Eindrücken – und einem Publikum zwischen Unwissenheit und Neugier. Was also wird bleiben vom Jubiläumsjahr? Man könnte es als großangelegte Bildungsoffensive in Sachen Luther und Reformation beschreiben. In allen erdenklichen Formen kann man sich über das informieren, was vor 500 Jahren geschehen ist. Nur muss das natürlich nicht automatisch bedeuten, dass die Bevölkerung hinterher auch klüger ist.
"Als Historiker hoffe ich immer, dass von so einem Jubiläumsjahr etwas bleibt. Nämlich in diesem Falle – davon bin ich überzeugt – eine Vertiefung der Annäherung an das Thema. Auch eine Vertiefung des Wissens. Und vielleicht auch ein tieferes Verständnis von der Notwendigkeit, religiöse Konflikte historisch zu betrachten und zu verstehen. Ich glaube, da hat das Jubiläum einen echten Mehrwert."