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Reformen im Kulturradio

Etwas Neues schaffen - nach dem Alptraum des 1000jährigen Reiches und seines Propagandafunks einen Rundfunk etablieren, der die junge Demokratie nach Kräften stützt – das waren die Visionen der Programmmacher der Nachkriegszeit. Immer wieder neu, so will sich auch das heutige Radio an die Zeiten anpassen. "Reform" - das gegenwärtig wohl meistgehörte Schlagwort in Deutschland - ist in den Führungsetagen der Funkhäuser schon seit Längerem en vogue. Erst kürzlich kündigte der Westdeutsche Rundfunk eine erneute Programmreform für Januar 2004 an. Wenn man solche Ankündigungen liest, ohne auf die Überschrift zu achten, könnte man auf den ersten Blick meinen, es gehe um ein beliebiges Konsumprodukt: Von "Profilen, optimieren, positionieren, Zielgruppen" ist da die Rede und erst in der genaueren Beschreibung fallen dann Begriffe wie "Kultur" und "Kulturradio" - letzteres auch so ein Neuwort aus den Zeiten eines immer breiter werdenden und von seinen Gestaltern immer genauer in zielgruppengerechte Schubladen sortierten Medienangebots. Über das Kulturradio und seine allerorten durchgeführten Reformen habe ich mich mit dem Kritiker und Medienbeobachter Frank Kaspar von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unterhalten:

Von Frank Olbert |
    Warum überhaupt Reformen?

    Die Kulturprogramme der ARD haben ein Problem: Sie haben eigentlich im Vergleich zu anderen Wellen einen relativ guten Etat, weil sie ja speziell den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umsetzen sollen. Aber sie haben seit Jahren sehr wenige und immer ältere Hörer. Der Altersschnitt liegt bei 60 Jahren.

    Wie sehen die Reformbemühungen aus?

    Es sind bei mehreren ARD-Sendern zur Zeit Reformen im Gange oder gerade abgeschlossen worden. Der Norddeutsche Rundfunk hat das Programm der Welle NDR Kultur zu Beginn des Jahres umgestaltet. Der Bayerische Rundfunk hat seine beiden Wellen Bayern 2 Kultur und Bayern 4 Klassik neu aufgestellt. Der Hessische Rundfunk hat zu Anfang September HR 2 und der Südwestrundfunk hat zu Oktober SWR 2 neu geprägt. Und der Westdeutsche Rundfunk plant für WDR 3 für Anfang 2004 einige Neuerungen. Man kann bei vielen der ARD-Wellen eine gemeinsame Tendenz erkennen: Angestrebt ist bei den meisten Sendern, dem Programm durch Moderatorenpersönlichkeiten, die längere Sendestrecken prägen, eine andere Ansprache des Hörers zu verleihen. Das Programm soll mehr Live-Charakter und eine höhere Aktualität bekommen. Und tagsüber sollen die Wortbeiträge kürzer werden.

    Hat das Konsequenzen für die großen Formen: Hörspiel und Feature?

    Es hat hier und da schon Konsequenzen für die großen Formen. Das Stichwort heißt "Tagesbegleitprogramm". Man geht davon aus, dass man das Programm bis in den frühen Abend hinein so gestalten muss, dass es für einen Hörer möglich ist, aktuell in kurzen Formen über Kultur informiert zu werden und da werden die großen Formen als sperrig empfunden und zunehmend in den Abend und auf das Wochenende verlegt.

    Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

    Ich denke, dass das eine zweischneidige Sache ist. Zum einen ist bei einigen Sendern mit den Reformen auch eine Öffnung für ein neues Themenspektrum verbunden. Themen wie Film, wie elektronische Musik sind in den Kulturradios bisher sehr unterrepräsentiert. Es sind aber Themen für die sich eine jüngere Hörergeneration interessiert. Und, wenn man in diesem Zusammenhang von jüngeren Hörern spricht, sind damit die Mitte 30 bis 50Jährigen gemeint. Es kann sicherlich nicht schaden, im Hinblick auf das Themenspektrum, auf die Moderation, auf unterhaltende Elemente andere Akzente zu setzen. Problematisch finde ich aber, wenn man im Bemühen, das Kulturradio in Konkurrenz mit anderen Radiowellen als Marke zu profilieren, zu sehr auf die Quote setzt und dabei vernachlässigt, dass das Kulturradio auch die Aufgabe hat, für ein kleines Publikum die Kulturformen des Radios – wie Hörspiel, Feature, Wissenschaftssendung, Essay, Debatte - zu pflegen. Das Kulturradio ist der Ort im Radioprogramm, der dem Feuilleton der großen Tageszeitungen entspricht und der Debatten anstoßen und Themen setzen muss, wenn das Kulturradio eine eigene Stimme in der Öffentlichkeit behalten soll und nicht zum reinen Serviceprogramm für Kulturinformationen werden will.