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Reformen in der Nachwuchsförderung
Wie der Gender Gap im Radsport verkleinert werden soll

Sind Radsportlerinnen zu alt für die Juniorinnen-Klasse, fahren sie automatisch in der Elitekategorie mit. Eine U23-WM, wie bei den Männern, fehlt. Für viele Juniorinnen ist der Schritt jedoch zu groß. Es gibt aber Reformbemühungen.

Von Tom Mustroph |
Belgian Lotte Kopecky pictured in action during the women elite road race on the seventh day of the UCI World Championships Road cycling, Rad, Radsport, Strasse Flanders 2021, 157,70km from Antwerp to Leuven, on Saturday 25 September 2021. The Worlds take place from 19 to 26 September 2021, in several cities in Flanders, Belgium. DAVIDxSTOCKMAN PUBLICATIONxNOTxINxBELxFRAxNED x3100114x
Weibliche Radprofis wie die Belgierin Lotte Kopecky fordern eine U23-WM auch für Frauen. (IMAGO / Belga)
Im Frauenradsport bewegt sich wieder etwas. Bei den Weltmeisterschaften in Flandern fordern viele weibliche Radprofis Veränderungen ein. "Für den Frauenradsport kann es sehr wertvoll sein, eine U23-WM zu haben. Denn wenn man von den Junioren in die Elitekategorien kommt, ist aktuell das Niveau so viel höher, so dass es fast unmöglich ist, da zu sein, wenn du 18 bist", sagt etwa Lotte Kopecky, Star der belgischen Auswahl bei der WM in der Heimat. Die Männer haben so eine Nachwuchskategorie unter 23 Jahre. Die Frauen nicht. Ein Manko.
Kopecky, die schon mit 18 Jahren ihr erstes Profirennen gefahren ist, konnte sich erst seit dem vergangenen Jahr über die ganz großen Erfolge freuen. Da war sie 24 Jahre. Die Zeit davor war vom Durchbeißen bestimmt. Die Erfahrung hat auch auch Christina Schweinberger, österreichische WM-Teilnehmerin und 24 Jahre alt, gemacht.
"Ich glaube, dass jeder seine Top-Zeit hat in seinem Leben. Es ist als Juniorin schwer, mit einer Anna van der Breggen mitzufahren. Die Entwicklung muss da erst noch ein bisschen hinkommen, dass man mitfahren kann mit diesen Fahrern. Da wäre eine U23-Kategorie sicher nicht schlecht dafür."

Zahlreiche Mädchen geben Radsport auf

Anna van der Breggen, deren Namen Schweinberger als Referenz erwähnt, ist dreimalige Weltmeisterin. Sie hat beobachtet, dass zahlreiche talentierte Mädchen bereits den Radsport aufgegeben haben, weil eben die Möglichkeit eines Entwicklungsschritts fehlt.
Diese Problematik sieht auch Antonia Niedermaier. Die 18-Jährige ist derzeit das größte deutsche Radtalent. Eigentlich ist sie Skibergsteigerin, im März gewinnt sie in Andorra zwei WM-Titel in dieser Disziplin. Beim Einzelzeitfahren im Straßenradsport holt sie jetzt Bronze – bei den Juniorinnen, für die sie ab jetzt zu alt sein wird.
Sie möchte auch in den nächsten Jahren noch zweigleisig unterwegs sein. In Sachen Nachwuchsförderung sieht sie aber beträchtliche Unterschiede in ihren beiden Sportarten. "Bei uns im Skibergsteigen ist es schon so, dass wir kleinere feine Abstufungen von den Altersgruppen haben, dass es bei der WM auch U23-Wertung gibt, was es ja im Radsport nicht gibt. Ich glaube, es ist schon einmal härter, wenn man vom Juniorenbereich in den Elitebereich kommt."
Ina-Yoko Teutenberg, Sportliche Leiterin des Team Trek Segafredo Women bespricht sich mit den Fahrerinnen des Teams
Frauenpower in der alten Männerdomäne
Lange Zeit führte der Frauenradsport ein Schattendasein. Das hat sich mittlerweile geändert. Dennoch müssen Frauen immer noch mit männlichen Attributen aufwarten.
Dem Radsport könnte sie allerdings auch in Zukunft treu bleiben. Denn die Verbandsspitze der UCI hat das Grummeln im Fahrerinnenfeld vernommen. UCI-Präsident David Lappartient sagt zumindest zu, dass bei der nächsten WM 2022 in Australien auch eine Weltmeisterin in der U23-Kategorie gekürt werde. Allerdings soll das nicht in einem eigenen Rennen geschehen. Vielmehr wird die Sportlerin, die jünger als 23 Jahre ist und als erste die Ziellinie im Straßenrennen der Elite den Zielstrich überquert, das Regenbogentrikot erhalten.

Nachhaltigere Veränderungen notwendig

Das ist allerdings kaum mehr als ein Show-Effekt, ein Symbol. Notwendig sind nachhaltigere Veränderungen. Die Schweizerin Marlen Reusser, neue Vizeweltmeisterin im Zeitfahren, sieht da einige Baustellen. "Ich denke, da gibt es eine lange Liste. Was für mich vorne stehen muss, ist: Im Frauenradsport fehlen einfach die Entwicklungsteams. Jetzt gibt es immer mehr professionelle Teams. Ich glaube, jetzt müssen einige Gruppen auch auf Entwicklungsteams setzen, damit da auch einiges aufgebaut werden kann."
Nicht nur eine U23-Kategorie also, sondern auch Teams, die sich, wie bei den jungen Männern bereits Alltag, gezielt um den weiblichen Nachwuchs kümmern. "Und dann sind es auch banale Sachen. Ich würde mir wünschen, es würde Men’s World Tour und Women’s World Tour heißen. Und wenn man auf eine Website gelangt, ist es nicht die normale Website für die Herren, und dann muss man einen Reiter aufmachen für die Frauen. Solche Dinge, damit es in den Köpfen der Leute ankommt: Es gibt beides. Nicht DER Radsportler ist die Norm, und ah, die Frauen gibt es auch noch."

Mindestgehälter angehoben

Trotz aller Klagen über Mängel geht es aufwärts im Frauenradsport. Auch die UCI hat ihren Anteil daran. Sie hat die Mindestgehälter für weibliche Profis aufgestockt. Von erst 15.000 Euro sollen die Summe bis 2023 auf mehr als 30.000 Euro steigen – genauso viel, wie die Männer in den Pro-Rennställen bekommen. Das ist die zweithöchste Profi-Kategorie der Herren.
Svenja Würth beim Weltcup in Lillehammer 2017.
Frauen kämpfen um gleiche Bezahlung und Aufmerksamkeit
Im Sport hängt das Gehalt häufig vom Geschlecht ab. Im Skispringen ist die Diskrepanz der Preisgelder zwischen Männern und Frauen besonders hoch.
Die UCI hat auch die junge Disziplin der Mixed Staffel installiert. Drei Männer und drei Frauen kämpfen dabei gemeinsam um Medaillen für ihre Nation. Das hat Deutschland dieses Jahr den WM-Titel beschert. Und es sorgt für einen Entwicklungsschub für den Radsport für beide Geschlechter.
Die neue Weltmeisterin Lisa Brennauer: "Ja, ich finde das cool, wir arbeiten als Nationalmannschaft sehr eng zusammen. Das gefällt mir, der Austausch zwischen Männer- und Frauenmannschaft. Man kann Wissen weitergeben, viel lernen voneinander. Ich finde es eine sehr sehr schöne Disziplin, und auch sehr zukunftsorientiert."
Der Gender Gap im Radsport klafft noch auseinander. Aber der Frauenradsport bekommt mehr Gewicht. Am nächsten Wochenende findet etwa das erste Mal der Kopfsteinpflasterklassiker Paris – Roubaix für Frauen statt. Ein weiterer wichtiger Schritt.