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Refugium für Bären

Die Berge rund um das kleine Dorf Kuterevo sind ein Paradies für wild lebende Bären. Im Frühjahr, wenn die Fettsschicht zur Neige geht, zieht es sie ins grüne Tal, um Nahrung zu sammeln. Unterwegs sind sie in der Abenddämmerung oder im Morgengrauen. Menschen bekommen sie selten zu Gesicht - außer im Bärenrefugium von Kuterevo. Das Gehege ist eine Art Waisenhaus und bietet zurzeit sechs Problembären eine Heimat.

Von Marion Trutter |
    Mit Latzhose und Filzhut erwartet uns Ivan Crnkovic Pavenka an einem kleinen Infokiosk. Freundlich schüttelt er jedem von uns die Hand. Dann krempelt er wortlos die Hemdsärmel hoch. Ein Schaudern durchfährt uns: Tiefe Narben überziehen beide Arme. Ivan war dazwischen gegangen, als eine Volontärin im Gehege von einem Bär angegriffen wurde.

    Doch keine Panik. Durch diesen kleinen Schock will Ivan uns klarmachen, dass Bären eigentlich friedlich sind. Nur wenn man sie provoziert, wie bei dem Zwischenfall ein aufgeregtes Fernsehteam, dann können sie ganz schön wild werden. Um die ewigen Missverständnisse zwischen Mensch und Kreatur einzudämmen, hat Ivan Crnkovic vor vier Jahren das Bärenrefugium in Kuterevo gegründet. Und alle sollen profitieren:

    "Wir müssen nicht überlegen, wie wir den Mensch vor dem Bär schützen oder den Bär vor dem Mensch, sondern wie das Zusammenleben Bär und Mensch konfliktarm sich gestalten lässt."
    Sechs Bären wohnen mittlerweile in den Gehegen. Sie sollen hier für immer eine sichere Heimat haben:

    "Dieses Projekt ist entstanden mit dem Willen, eine Situation zu schaffen, wo diese Problembärchen nicht getötet werden müssen. Wir experimentieren immer noch. Wir machen immer noch Fehler. Also, wir versuchen zu verhindern, dass das irgendwie eine institutionelle Waisenanstalt wird, wo man einfach die Bärenkinder entsorgt. Wir versuchen, diese Bären nicht wieder zurück in die Wildnis zu verfrachten, sondern wir fühlen uns für sie ganz zuständig Zeit ihres Lebens. Aber wir wandeln sie irgendwie um in eine neue Rolle, und das ist die Botschafterrolle. Das haben wir übrigens auch dem deutschen Botschafter hier in Kroatien schon einmal gesagt."

    Der allerdings sitzt im fernen Zagreb - und überlässt den Job in den Bergen gern den Braunbären von Kuterevo. Denn die sind hier zu Hause, genauso wie Ivan und die Bewohner seines Heimatdorfes:

    "Das Dorf Kuterevo: in der Talmitte, 700 Menschen, 70 Kinder in der Grundschule. Um das Dorf: Felder mit Wiesen, nach den Wiesen der Wald, und nach dem Wald der Grat - ein richtiger Bärengrat ist das, 42 Kilometer drum herum. Für den Bär so richtig ein Paradies."
    Oben in den Bergen des Velebit bringen die wild lebenden Bärinnen im Januar ihre Jungen zur Welt. Ab März, wenn die Fettschicht zur Neige geht, zieht es sie auch ins Tal - angezogen vom saftigen Grün. Auch später im Jahr kommen sie immer mal wieder vorbei, klauen ein paar Mohrrüben, Zwetschgen oder Kornelkirschen - und verziehen sich wieder. Zu Gesicht bekommt man sie selten. Denn die Tiere kommen genau dann, wenn der Mensch nicht unterwegs ist - in der Abenddämmerung oder im Morgengrauen. Tagsüber, wenn Bauern und Touristen in Wald und Wiesen unterwegs sind, ziehen sich die Bären auf ihre Ruheplätze in den Bergen zurück.
    "Das ist ein tolles Spiel, und da hat die Bärin von Anfang an ihre Jungen auch drauf abgerichtet: Achte die Menschen, gehe nicht heran. In der Nacht kommt er nah ans Dorf heran. Aber wenn die hier an das Dorf herangehen, da gehen sie nicht zwischen die Häuser. Also, zwei Häuser sind zwei unbekannte Objekte - strategisch einfach Unfug, denkt der Bär."

    Ein schlaues Tier, von dem der Mensch viel lernen kann. Wem die sechs Bären im Refugium hierzu nicht ausreichen, der kann aber auch Bären in freier Wildbahn sehen. Man gibt sich einfach in die Obhut von Einheimischen. Denn die kennen die Bären und ihre Gewohnheiten recht gut:

    "Nachts, wenn Sie mit einem Jäger hier auf Hochsitz gehen, können Sie fast auf Bestellung einen Bär sehen, weil die Wildschweine angefüttert beziehungsweise überfüttert werden. Und da kommt der Bär sehr oft und bedient sich nebenbei."

    Ivans Zöglinge im Refugium leben allerdings auch nicht schlecht. Sie bekommen Obst und Gemüse aus der Gegend, Bananen und Pampelmusen, trockenes Brot und Maiskolben, Waldfrüchte und Eicheln. Menschen dagegen müssen sich wenig Sorgen machen, den Bären zur Beute zu werden. Und wie sie sich am besten verhalten, weiß Ivan natürlich auch:

    "Wenn ich so dem Bär zugeneigt in den Wald gehe, werde ich einfach keinen Fehler machen, sondern einfach lassen. Also wenn tatsächlich irgendwie passiert, dass der Bär plötzlich da ist: Wegrennen ist eigentlich das einzige, was man nicht tun sollte. Ich wollte damit sagen: Nur das, was der Körper, was die Seele, wo einem gerade danach ist, tun - und sich gar nicht damit beschäftigen, dass man hier eine Bärenvermeidungsstrategie vor Ort entwickeln kann. Man kann nur eine Bärenzuneigungsstrategie entwickeln: Das heißt, dass man akzeptiert, dass der Bär hier der Gastgeber ist und wir uns als Gäste nach seinen Bedürfnissen zu richten haben."