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Regenerative Medizin
Virenfreies Elektrokatapult für Gene

Bislang wird zur Reprogrammierung von Zellen meist bestimmte Virus-DNA genutzt. Doch damit gelangen auch riskante und unerwünschte Bestände in die Zellen. US-Forscher haben jetzt ein virusfreies Verfahren entwickelt, das den Einsatz reprogrammierter Zellen in der regenerativen Medizin deutlich vereinfachen könnte. 

Von Lucian Haas | 24.10.2017
    Nervenzellen, Neuronen und Synapsen im Gehirn
    Unter Beschuss: Hautzellen werden zu Nervenzellen reprogrammiert. (imageBROKER/Simone Brandt )
    Wenn es um die Reprogrammierung von Zellen geht, setzt der Neurologe Chandan Sen von der Ohio State University im Gegensatz zu vielen Fachkollegen nicht auf die Hilfe von Viren.
    "Der Vorteil von Viren als Gentransporter ist, dass sie die gewünschten Gene sehr effizient übertragen. Die Nachteile sind aber mögliche Komplikationen wie Entzündungen, Mutationen, ein erhöhtes Krebsrisiko oder ungewollte Infektionen durch die Viren an Stellen, an denen man sie gar nicht haben will. Wir waren deshalb daran interessiert, eine virusfreie Technik einzusetzen."
    Chandan Sen und Kollegen entwickelten eine abgewandelte Form der sogenannten Elektroporation. Bei diesem Verfahren werden normalerweise Zellen im Labor in eine Lösung mit der DNA der gewünschten Gene gegeben. Anschließend wird die Zellmembran mit kurzen Stromschlägen gewissermaßen aufgerissen. So können die Gene eindringen. Allerdings schaffen es viele Zellen nicht, die Schäden ihrer Membran zu reparieren, und gehen dann zugrunde. Das neue Verfahren namens Nano-Transfektion geht weitaus harmloser vor. Kernstück ist ein spezieller Siliziumchip, der Tausende feinster nadelförmiger Vertiefungen enthält. Sie dienen als eine Art Elektrokatapult.
    In das Gewebe geschossene DNA-Partikel
    "Der Chip ist mit Nano-Kanälen bestückt. Man kann sich das vorstellen wie Tausende feinster Hohlnadeln. Diese werden mit den gewünschten Genen beladen. Nun legt man kurz eine Spannung an und schießt damit die geladenen DNA-Partikel in das Gewebe."
    Das Katapult funktioniert, weil die DNA selbst eine elektrische Ladung besitzt. Das elektrische Feld des Stromimpulses treibt die Reprogrammierungsgene aus den Nano-Kanälen des Chips in die Zellen. Die kleinen Löcher, die dabei in der Zellmembran entstehen, sind schnell geflickt. Das Besondere des Verfahren ist: Man kann es direkt am Körper eines Patienten einsetzen. Der kurze Strompuls ist nahezu schmerzfrei. Der Chip wird einfach auf das Gewebe, etwa die Haut, aufgelegt, um dort die Gene für die Reprogrammierung einzubringen. Dass das funktioniert, hat Chandan Sen schon in Tierversuchen mit Mäusen und Schweinen bewiesen.
    "Wir haben Hautzellen in Blutgefäße umgewandelt. Wir haben Hautzellen zu Nervenzellen reprogrammiert. Wir haben Hautzellen in Insulin produzierende Zellen verwandelt. Im Prinzip kann man Hautzellen in fast alle anderen Zelltypen konvertieren, die man im Körper braucht."
    Ohne Reagenzglas und ohne Komplikationen
    Die per Gen-Injektion reprogrammierten Zellen wachsen dabei nicht im Reagenzglas sondern direkt im Körper heran, ohne Entzündungs- oder Abstoßungsreaktionen des Immunsystems fürchten zu müssen. Chandan Sen war überrascht, wie gut und komplikationslos das geht.
    "Ganz ehrlich – als wir das erste Mal Haut- in Nervenzellen umgewandelt hatten, sagte ich meinen Kollegen: Es ist toll, die Nervenzellen zu sehen; aber glaubt mir, in zwei Wochen werden sie alle sterben. Die gehören da in die Haut nicht hin. Aber dann ging das über vier, fünf, sechs Monate. Die Nervenzellen reiften immer weiter. Und dann begannen sie sogar in andere Körperteile zu wandern."
    Die Lösung vieler Zellenprobleme?
    Chandan Sen glaubt, dass sein Verfahren viele Probleme der regenerativen Medizin beim Einsatz reprogrammierter Zellen im Körper lösen könnte. Er sagt: "Dank der Vielseitigkeit unserer Technik kann man damit nicht nur Hautzellen umwandeln. Man könnte den Chip auch an der Spitze eines Endoskops montieren, damit in den Körper vordringen und anfangen, direkt Organe zu reprogrammieren.
    Noch ist das Zukunftsmusik. Bisher hat Chandan Sen die Nano-Transfektion nur in Tierversuchen getestet. Doch er hofft darauf, schon bald die nötige Zulassung für Versuche an Menschen zu erhalten.
    "Ich denke in ein, zwei Jahren sollte das möglich sein. Unser Ansatz mit dem einen kurzen Strompuls ist so simpel. Die Mäuse sterben davon nicht. Und ich bin überzeugt, dass das Risiko für Menschen sehr niedrig ist."