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"Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei verhindern"

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hat einer konkreten Koalitionsaussage seiner Partei für die nächste Bundestagwahl vorerst eine Absage erteilt. Zwar hätten die Freidemokraten trotz "Linksrutsch" der CDU die größeren Gemeinsamkeiten mit den Unionsparteien. Festlegen wolle sich die FDP jedoch erst kurz vor der Wahl im Herbst 2009. Ziel der Partei im Bund sei ein Politikwechsel mit einer bürgerlichen Mehrheit und die Verhinderung von Rot-Rot, betonte Westerwelle.

Moderation: Dieter Jepsen-Föge |
    Dieter Jepsen-Föge: Früher im Dreiparteiensystem hieß es lange Zeit: Es ist unmöglich, von der FDP nicht regiert zu werden. Ist es nun das Schicksal der FDP, in der neuen Parteienkonstellation bestenfalls auf die Oppositionsbänke gewählt zu werden?

    Guido Westerwelle: Wir wollen regieren, und es ginge Deutschland auch besser, wenn die FDP in der Regierung wäre. Denn die Tatsache, dass in den letzten zehn Jahren - genau in der Zeit, in der die FDP keine Regierungsverantwortung auf Bundesebene trägt - die Mittelschicht in Deutschland schrumpft, ist ja das Ergebnis von Politik. Es ist keiner mehr in der Politik da, der auch die Interessen der Mittelschicht wahrnimmt. Das waren mal 64 Prozent unserer Bevölkerung, mittlerweile ist die Mittelschicht um fünf Millionen geschrumpft und noch knapp mehr als die Hälfte. Wenn das so weitergeht, ist das auch für die soziale Ausgewogenheit unseres Landes außerordentlich negativ.

    Jepsen-Föge: Die Kluft zwischen arm und reich wird größer. Aber haben nicht da eher die Volksparteien die richtige Antwort, nämlich zu gucken, dass dieser Abstand nicht zu groß wird? Und ist nicht das Problem der FDP, dass sie zumindest den Anschein erweckt, als ob sie sich eher um den oberen Teil kümmert?

    Westerwelle: Im Gegenteil. In den vierzig Jahren, in denen die FDP bis 1998 Verantwortung getragen hat, ging es der Mitte in Deutschland gut. Wir hatten einen ausgeprägten Mittelstand, wir hatten eine Mittelschicht, die auch wusste, dass sich ihre Leistung lohnt, dass derjenige, der mehr arbeitet, auch mehr hat, und derjenige, der sich anstrengt, auch mehr hat als derjenige, der gar nicht arbeitet. Das war einfach völlig klar in der deutschen Republik. Und das war gewissermaßen auch ein Kernanliegen der FDP über viele Jahrzehnte, was wir auch erfüllt haben. Seitdem wir nicht mehr regieren, hatten wir erst sieben Jahre Rot-Grün, da ist die Mitte schon ausgedünnt worden. Und jetzt bei Schwarz-Rot ist die Mitte erst recht ausgedünnt worden. Das hängt damit zusammen: SPD und Union kümmern sich um die Extreme, genau so wie die Grünen und die Linkspartei. Sie schauen auf diejenigen ganz oben, auf die Heuschrecken, auf die Managergehälter und alle möglichen Ablenkungsdebatten, sie schauen auch auf diejenigen ganz unten, also auf diejenigen, die vom Staat das Geld bekommen. Aber sie schauen eben nicht auf diejenigen, die den Karren in Deutschland ziehen, die überhaupt erstmal erwirtschaften, was man verteilen möchte.

    Jepsen-Föge: Aber wenn das so ist, wenn Ihre Analyse stimmt, dann müsste man doch sagen: Noch nie war die Konstellation für die FDP als Alternative zu den anderen so günstig. Warum profitieren Sie davon nicht mehr?

    Westerwelle: Aber wir profitieren doch als FDP außerordentlich stark. Wir haben jetzt seit der Bundestagswahl eine Wahl nach der anderen erfolgreich abgeschlossen, wir haben zum Beispiel gerade Anfang dieses Jahres in Niedersachsen in einem Fünf-Parteien-System gezeigt, dass eine schwarz-gelbe Mehrheit möglich ist, wenn dort die Arbeit gut und überzeugend ist und wenn beide Partner dieses auch anstreben. Dass es in Hessen nicht zu Schwarz-Gelb gekommen ist, liegt eindeutig am Versagen der CDU in Hessen und ihrem damit verbundenen Absturz. Und auch in Hamburg war ja Schwarz-Gelb möglich, aber die Union, Herr von Beust, mit Billigung der Unionsspitze hier in Berlin, auch mit Billigung von Angela Merkel, hat von Anfang an auf Schwarz-Grün gesetzt. Das muss man zur Kenntnis nehmen, so ist das Wahlergebnis dann auch herausgekommen. Das ändert aber nichts an unserer Entschlossenheit, zu wachsen, stärker zu werden, so zuzunehmen, dass bei der nächsten Wahl eine Regierung ohne FDP nicht gebildet werden kann.

    Jepsen-Föge: Wie werden Sie - mit welchen Koalitionsaussagen oder ohne Koalitionsaussagen - in die nächsten Wahlen gehen, vor allen Dingen auch in die Bundestagswahl? Also welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihrem Verhalten und dem Abschneiden in Hamburg und Hessen?

    Koalitionsaussage erst unmittelbar vor der nächsten Bundestagswahl


    Westerwelle: Das Entscheidende ist, dass wir natürlich immer noch die größeren Gemeinsamkeiten mit den Unionsparteien haben - bei allem, was ich kritisiere beim Linksrutsch der Union: Staatliche Lohnfestsetzungen, das Chaos, das die Union in der Gesundheitspolitik mit der SPD gemeinsam anrichtet. Es ist immer noch doch trotzdem so, dass Union und FDP mehr Gemeinsamkeiten miteinander haben als beispielsweise mit SPD und mit Grünen. Deswegen rechne ich damit . . .

    Jepsen-Föge: . . . also doch klare Koalitionsaussage zugunsten der Union, trotz aller Zweifel?

    Westerwelle: Wir werden eine Koalitionsaussage dann machen, wenn sie ansteht, also unmittelbar vor der nächsten Bundestagswahl, also möglicherweise dann im Herbst 2009. Es spricht auch viel dafür, dass wir eine Koalitionsaussage zugunsten einer bürgerlichen Mehrheit machen werden, abschließend werden wir das aber erst im nächsten Jahr entscheiden. Auf der anderen Seite werden wir uns selbst nicht so binden, dass wir im Falle, dass es keine bürgerliche Mehrheit gäbe im Deutschen Bundestag, zusehen müssten, wie die Linkspartei unter Lafontaine entscheidet, wer Deutschland regiert. Denn das ist ja das zweite große Ziel der FDP. Erstens wollen wir einen Politikwechsel mit einer bürgerlichen Mehrheit ermöglichen, aber zweitens müssen wir natürlich auch eine linke Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei verhindern. Das ist auch die heilige staatspolitische Verantwortung für Deutschland, die die FDP hat.

    Jepsen-Föge: Heißt das, dass es ein Fehler war, in Hessen sich so festgelegt zu haben, dass Sie jetzt nur um den Preis der Glaubwürdigkeit eine Ampelkoalition eingehen könnten, denn die Mehrheit wäre ja da - SPD, Grüne und FDP?

    Westerwelle: Nein, denn zunächst sind ja Koalitionen keine Mathematik-Additionen, sondern zunächst einmal sind Koalitionen natürlich auch ähnliche Vorstellungen über die Probleme und deren Lösungen.

    Jepsen-Föge: Aber die demokratischen Parteien sind doch, so auch ihre Aussage, prinzipiell miteinander koalitionsfähig?

    Westerwelle: Prinzipiell stimmt das auch, und das muss auch so stimmen in jedem mitteleuropäischen Land. Aber die genauere Betrachtung der hessischen SPD zeigt doch eines: Frau Ypsilanti und die hessische SPD ist doch schon den meisten Sozialdemokraten zu weit links. Dann kommt sie doch für die FDP erst recht nicht in Betracht.

    Jepsen-Föge: Halten Sie es nach einer gewissen Frist möglich, dass sozusagen die Reise doch noch nach Jamaika geht, vielleicht ohne Roland Koch?

    Westerwelle: Ich habe jedenfalls mit Respekt zur Kenntnis genommen, dass Roland Koch erklärt hat, er selbst werde mit seiner Person auch einer bürgerlichen Regierung für Hessen nicht im Wege stehen. Und ich rechne auch damit, dass die Grünen, die ja schließlich in Hamburg mit der CDU verhandeln, in Hessen nicht länger die Gespräche verweigern können und werden. Denn was soll das für ein Spagat sein - in Hamburg mit der CDU, in Hessen mit der Linkspartei? Das zerreißt selbst die geduldigste Basis der grünen Partei.

    Jepsen-Föge: Da Sie eben gesagt haben, das sei ja nicht nur eine rechnerische Frage, sondern eine Frage nach Inhalten: Nun haben sich ja auch die Grünen entwickelt - nach Ihrer Einschätzung in eine Richtung, die Ihnen auch prinzipiell das Zusammenregieren ermöglicht?

    Grüne bauen "Wolkenkuckucksheim linksaußen"


    Westerwelle: Nein, es ist eher schwieriger geworden in den letzten Monaten, weil die Grünen ja einen Linksrutsch auch unter dem Binnendruck der Linkspartei hinter sich haben, der immerhin dazu geführt hat, dass die bürgerlich denkenden Grünen, die realpolitischen Grünen, ja aus der Partei herausgehen oder jedenfalls aus der Politik ausscheiden. Das ist ja auch kein Wunder, denn die Grünen haben doch eine Phase jetzt in Richtung Fundamentalismus hinter sich, die, wie ich gedacht habe, sie längst überwunden hätten. Aber das ist augenscheinlich nicht der Fall. Also, die haben auf ihrem letzten Bundesparteitag beispielsweise ein Wolkenkuckucksheim linksaußen beschlossen mit 60 Milliarden Euro zusätzlicher Umverteilung, das sind wieder lauter Steuererhöhungen. Das ist erstens unfair gegenüber der Mittelschicht, von der ich eben sprach, die das nämlich alles erwirtschaften muss, und zweitens ist es natürlich auch alles unbezahlbar, es sei denn auf Kosten der nächsten Generation mit immer neuen Schulden.

    Jepsen-Föge: Aber das macht es natürlich für die FDP schwierig, nicht nur zu argumentieren und Wählerstimmen zu kriegen, sondern auch Koalitionspartner zu haben, wenn Sie sagen, die SPD rückt eigentlich nach links, die Grünen bauen ein Wolkenkuckucksheim, und auch die CDU ist eigentlich auf einem anderen Weg.

    Westerwelle: Deswegen muss die FDP das hinzugewinnen, was die anderen auch verlieren. Mit anderen Worten: Diejenigen, die den Linkskurs der SPD nicht gut finden, also Personen, die so denken wie Herr Clement, können doch nur noch zur FDP kommen. Und diejenigen, die . . .

    Jepsen-Föge: . . . haben Sie Anhaltszeichen dafür?

    Westerwelle: Nein, ich habe mit Herrn Clement nicht gesprochen, und das geht auch nicht um ihn jetzt. Sondern es geht einfach um eine Geisteshaltung. Also bürgerliche Sozialdemokraten, die nicht wollen, dass die SPD Teil einer Linksachse wird, können doch nur noch die FDP wählen. Nehmen Sie auch diejenigen, die auch bisher repräsentiert waren innerhalb der Union durch Friedrich Merz, der ja nun auch die Sachen hingeworfen hat, weil ihm der Kurs der Union nicht mehr gefällt. Die können doch auch nur noch zur FDP kommen. Und auch diejenigen bei den Grünen, die wissen, dass wirtschaftliche Vernunft und intelligente Ökologie und auch soziale Ausgewogenheit zusammengehören, können auch nur noch zur FDP kommen.

    Jepsen-Föge: Wenn ich das so weiter gedanklich verfolge, müssten Sie eigentlich das "Projekt 18" nochmal auflegen.

    Westerwelle: Ich habe nie aufgegeben, dass die FDP eine dauerhaft ähnlich starke Partei wird, wie das in vielen anderen europäischen Ländern mit den Liberalen der Fall ist. Und ich werde das auch nicht aufgeben. Wir sind nämlich eine eigenständige Partei, wir sind eine Partei für das ganze Volk, nicht für einige wenige. Bei uns sind diejenigen zu Hause, die eben auch Freiheit zur eigenen Verantwortung positiv finden, die nicht auf staatliche Bevormundung setzen. Und wir sind nun mal eine Partei für Leistungsbereitschaft, auch gerade für die Weltoffenheit, für die Toleranz. Und diese Mischung ist so attraktiv, dass das auch für mehr gut ist als zehn Prozent, die wir ja beim letzten Mal bei der Bundestagswahl knapp gehabt haben.

    Jepsen-Föge: Lassen Sie uns sprechen, für wen die Linkspartei gut ist, wer sie wählt. Ist das ausschließlich nach Ihrer Einschätzung ein Protestpotential, oder wird sich die Linkspartei auch in Westdeutschland langfristig und dauerhaft etablieren?

    Westerwelle: Das hängt entscheidend von SPD und Grünen ab. Wenn SPD und Grüne der Linkspartei weiter hinterher rennen, dann bestätigen sie ja die unsinnigen Thesen dieser Kommunisten und Sozialisten nur. Und wenn die SPD dementsprechend weiter schwächer wird, abstürzt muss man ja eigentlich sagen, dann kann die Linkspartei natürlich auch hinzugewinnen. Dasselbe gilt für die Grünen, die ja auch bei den gesamten Wahlen der letzten Zeit immer weit schlechter abgeschnitten haben als erwartet.

    Jepsen-Föge: Gucken wir auf die andere Seite des Parteienspektrums, um nicht vom demokratischen Spektrum zu sprechen. Gucken wir auf die NPD und die Rechtsparteien. Nun gibt es wieder eine neue Diskussion, ob es ein neuerliches Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht geben sollte. Die FDP, auch Sie, haben damals sich dagegen ausgesprochen, auch jetzt wieder. Aber warum eigentlich? Ist nach Ihrer Einschätzung die NPD eine verfassungswidrige Partei?

    Für NPD-Verbot nur bei Aussicht auf Erfolg

    Westerwelle: Die NPD ist eine verfassungswidrige Partei, sie ist eine extremistische Partei und sie ist vor allen Dingen auch eine verachtenswerte Partei. Das alleine reicht aber nicht, um eine Partei verbieten zu können. Denn meine Einschätzung zählt nicht, sondern es zählt nur die Einschätzung des Artikel 21 des Grundgesetzes, wie sie getroffen wird dann durch das Bundesverfassungsgericht. Und das ist der Grund, warum wir beim letzten Mal als einzige Partei ja gegen das NPD-Verbotsverfahren gestimmt haben, weil wir gesagt haben: Das geht vor Gericht nicht durch in Anbetracht der Beweislage und in Anbetracht der V-Mann-Problematik, also der versteckten vom Staat eingesetzten Ermittler in der NPD-rechtsradikalen Szene.

    Jepsen-Föge: Nun sind seitdem wieder fünf Jahre vergangen.

    Westerwelle: Genau.

    Jepsen-Föge: Es gibt neues Material.

    Westerwelle: Ich kann es deswegen auf den einfachen Punkt bringen. Das ist genau die entscheidende Frage. Ich bin so lange gegen ein NPD-Verbotsverfahren wie wir nicht mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen können, dass es auch vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg hat. Ich bin dann für ein NPD-Verbotsverfahren, wenn wir davon ausgehen können, dass es Erfolg haben wird, denn ich bin Anhänger der wehrhaften Demokratie, und die bürgerliche Mehrheit, die Demokraten in Deutschland muss nicht zusehen, wie rechtsradikales Gesocks versucht, die Republik abzuschaffen.

    Jepsen-Föge: Herr Westerwelle, wir hatten zu Beginn des Gesprächs über die schrumpfende Mittelschicht gesprochen. Sie haben das getan. Nun haben ja viele Menschen das Gefühl, es gehe nicht gerecht zu im Lande. Und das Gefühl, das versuchen ja die Volksparteien aufzunehmen. Ist also die Diagnose falsch, dass es nicht gerecht zugeht, oder sind die Antworten der Volksparteien falsch?

    Westerwelle: Dass unser Land in weiten Teilen das Gefühl hat, vom Aufschwung kommt bei mir jedenfalls nichts an, das hängt mit der größten Steuer- und Abgabenerhöhung in der Geschichte der Republik durch diese Bundesregierung zusammen. Die Bundesregierung hat in den letzten zweieinhalb Jahren maßlos abkassiert. Sie hat die Bürger und die Familien in einer Weise belastet, wie es unverantwortlich und zum Teil unanständig ist. Eine vierköpfige Familie hat im Durchschnitt jetzt 1.600,- Euro weniger zur Verfügung als vor Schwarz-Rot. Das sind die Abgabenerhöhungen, das sind die ganzen Steuererhöhungen, das ist nicht nur die Mehrwertsteuererhöhung sondern vieles, vieles mehr.

    Jepsen-Föge: Mit dem Ergebnis, ich stelle das als Frage, dass das Prinzip nicht durchgehalten wird, dass immer der, der mehr arbeitet, auch mehr haben soll als der, der nicht arbeitet.

    Westerwelle: Genau, das ist das Ergebnis. Die Bürger arbeiten, sie arbeiten hart, sie haben diesen Aufschwung erarbeitet, aber sie kriegen keine Früchte davon, weil die Regierung die Aufschwungdividende weggenommen hat. Ich sage, auch für das Erstarken der Linkspartei hat die Politik der Bundesregierung einen ganz wesentlichen Anteil daran, trägt sie eine wesentliche Verantwortung dafür. Wenn die Bundesregierung nicht so maßlos die Bürgerinnen und Bürger abkassiert hätte, wenn sie etwas mehr auf die Staatsausgaben gesetzt hätte statt auf höhere Einnahmen durch immer höhere Steuern und Abgaben, dann würden die Bürgerinnen und Bürger auch sehen, meine Leistung lohnt sich, wir haben etwas auch zu Hause davon, wenn wir uns anstrengen, jawohl, der Aufschwung kommt auch bei uns an. Und im Augenblick sieht doch jeder, du kannst dich krumm legen, du kannst Überstunden machen, kannst dies und das alles versuchen, alles wird teurer, wir haben immer weniger. Und dann geht man in die Lohnverhandlungen hinein, versucht, da wieder etwas heraus zu holen. Das ist alles menschlich mehr als nachvollziehbar. . .

    Jepsen-Föge: Begrüßen Sie das, den Abschluss für den öffentlichen Dienst? Und sollte das gleichsam ein Vorbild auch für andere Industriebereiche sein?

    Westerwelle: Also, eines ist klar: Das, was im öffentlichen Dienst vereinbart worden ist, ob man das begrüßt oder nicht begrüßt, muss jetzt auch auf die Beamten übertragen werden, denn das ist immer die Haltung der FDP gewesen, dass der öffentliche Sektor gleich bezahlt wird.

    Jepsen-Föge: Nein, ich meine nicht nur die Übertragung auf die Beamten, sondern ich meine auch, wovor ja der BDI etwa gewarnt hat und Herr Hundt für die Arbeitgeber gewarnt hat, dass das auch das Muster, das Modell wird für Tarifverhandlungen etwa im Metallbereich oder in der Chemie.

    Westerwelle: Ich mische mich in laufende Tarifverhandlungen nicht ein. Ich freue mich, dass ein Streik abgewendet werden konnte. Es ist immer gut, wenn nicht gestreikt wird. Und die selben Wirtschaftsvertreter, die jetzt zur Lohnabschlussdisziplin aufrufen, waren meiner Einschätzung nach nicht mutig genug bei ihrem Kampf gegen die größte Steuer- und Abgabenerhöhung in der Geschichte der Republik. Denn dass derzeit Arbeitnehmer in den Lohnverhandlungen auch so verhandeln und auch so mit Forderungen verhandeln und herangehen, ist das Ergebnis, dass ihnen zu Hause immer weniger übrig bleibt. Und das ist das unmittelbare Ergebnis der Preistreiberei durch die Regierung. Wenn Sie allein nur mal sehen, wie die Energiepreise gestiegen sind, und zwar durch die Steuern und Abgaben, die darauf erhoben werden, dann ist doch jedem klar, dass die meisten Familien gerade in der bürgerlichen Mitte so nicht mehr zurecht kommen können.

    FDP fordert Verringerung des Mehrwertsteuersatzes auf Strom, Gas, Öl


    Jepsen-Föge: Würden Sie deshalb da bei Ihrem Vorschlag oder Ihrer Forderung bleiben, eine Verringerung des Mehrwertsteuersatzes auf Strom, Gas, Öl?

    Westerwelle: Unbedingt, denn wir haben ja einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für die sogenannten Bedürfnisse des täglichen Lebens, also für Nahrung beispielsweise. Und Heizung, Strom, Kochen, das ist genau so ein Bedürfnis des täglichen Lebens wie Essen und Trinken. Und ich kann überhaupt nicht verstehen, dass wir für Heizen und für Kochen 19 Prozent Mehrwertsteuer in Deutschland verlangen, während man für Trüffel und für Leberpastete nur 7 Prozent zahlen soll. Das ist doch von vorne bis hinten auch ordnungspolitisch nicht überzeugend. Die Bedürfnisse des täglichen Lebens brauchen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Und da muss er dann auch für Energie und für Heizen und Kochen angewendet werden. Und das wäre übrigens auch mal endlich eine wirklich wichtige Entlastung gerade der Mittelschicht, denn die leiden ja unter diesen explodierenden Preisen am allermeisten. Und zwei Drittel der Energiepreise sind mittlerweile vom Staat gemacht.

    Jepsen-Föge: Herr Westerwelle, der Konjunkturmotor läuft noch ganz gut in Deutschland, die Arbeitslosigkeit ist noch einmal deutlich zurück gegangen. Der Bundeswirtschaftsminister, der schon von Vollbeschäftigung spricht, die er für möglich hält - teilen Sie das, oder teilen Sie eher die Sorge mancher, die sagen, im Moment wird etwas verdeckt. Wenn dann der Konjunkturabschwung kommt, dann ist dieses Land darauf gar nicht vorbereitet.

    Westerwelle: Die Bundesregierung redet sich gelegentlich regelrecht betrunken, weil sie meint, sie hätte was mit der Weltkonjunktur der letzten drei Jahre zu tun. Da ist die Bundesregierung dran gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Die Strukturreformen hat sie deshalb unterlassen, zum Teil sogar rückabgewickelt. Und das wird uns in der Abschwungphase, die uns jetzt bevorsteht, ganz massiv auf die Füße fallen. Die Regierung hat die goldene Regel verletzt, dass man in guten Wachstumszeiten vorsorgen muss für schlechtere, wachstumsschwächere Perioden. Sie hat mit vollen Händen gelebt, geprasst, den Staat nicht reformiert, die Staatsausgaben nicht zurück geführt. Sie hat die Spendierhosen wieder angezogen, so, als gäbe es kein Morgen. Und das wird uns in einer Phase des Abschwungs dann sehr teuer zu stehen kommen. Ich glaube, wir können Vollbeschäftigung in Deutschland erreichen, aber nur mit echten Strukturreformen. Von Bürokratieabbau über ein niedrigeres Steuersystem bis hin zu moderner sozialer Sicherung hat die Regierung alles unterlassen, was notwendig wäre. Das Thema Arbeitsmarkt hat sie nicht einmal angefasst. Der Regierung geht es nur darum, einigermaßen über die Runden zu kommen, und die Regierung hält es schon für einen Erfolg, wenn sie nicht auseinander bricht. Das ist aber nicht ein Erfolg für Deutschland.

    Jepsen-Föge: Herr Westerwelle, zum Schluss: Die FDP war auch immer die Partei, die die Außenpolitik zu einem ihrer Schwerpunkte genommen hat. Immerhin waren Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben gerade die NATO-Konferenz hinter uns, wo es um die Erweiterung der NATO geht. Man hat den Eindruck, Deutschland ist - um diesen Begriff zu gebrauchen - von Freunden umzingelt. Müssen wir uns um die äußere Sicherheit gar nicht mehr sorgen?

    Westerwelle: Im Gegenteil, wir müssen uns sogar große Sorgen machen, denn es kommen auch wichtige und schwierige Herausforderungen in Europa auf uns zu. In der Außenpolitik vertritt die Bundesregierung einen Kurs der Kontinuität, den wir im Großen und Ganzen auch unterstützen. Sie unterlässt allerdings, klare Zeichen auch für das Thema Abrüstung zu setzen. Wir stehen, wenn wir in Deutschland nicht aufpassen, vor einer neuen Aufrüstungsspirale, wie wir sie aus der Zeit des kalten Krieges zuletzt kannten. Die Tatsache, dass die Amerikaner Raketen stationieren wollen, dass sie das in Tschechien und Polen tun möchten, ohne dass die umliegenden Länder, geschweige denn Europa oder die Nachbarländer wie Russland informiert oder konsultiert oder vielleicht sogar zur Zustimmung gebeten werden . . .

    Jepsen-Föge: Im Gegenteil, gegen großen Widerstand Russlands.

    Westerwelle: Genau, gegen große Widerstände. Und das ist ja auch nicht vernünftig, wenn Raketen hier stationiert werden, gewissermaßen unmittelbar vor unserer eigenen Haustür. Und dann beginnt unmittelbar vor unserer eigenen Haustür eine Aufrüstungsspirale, wie wir sie seit langen Jahren nicht mehr kannten. Die Verträge werden bereits gekündigt von russischer Seite. Das ist die Antwort auf den Alleingang der USA. Die USA, Präsident Bush, spricht von der Möglichkeit eines dritten Weltkrieges. Es antwortet Herr Putin mit diesem furchtbaren Wort von der grandiosen Aufrüstung. Ich habe den Eindruck, dass Deutschland in der Welt auf Abrüstung setzen muss. Das war immer das Markenzeichen liberaler Außenminister, von Walter Scheel, von Hans-Dietrich-Genscher, von Klaus Kinkel. Und das muss wieder das Markenzeichen deutscher Außenpolitik werden.

    Jepsen-Föge: Haben Sie da auch Hoffnung in die Präsidentenwechsel in den USA und in Russland?

    Westerwelle: Jedenfalls beginnt hier auch eine neue Orientierungsphase in den jeweiligen Regierungen und Regierungsapparaten. Und das ist zugleich immer auch eine Chance. Ich möchte, dass der russische Staatspräsident auch eine Chance hat, seine Politik zu machen, auch vielleicht seine eigenen gemäßigteren Ansichten durchsetzen zu können. Da kann mit Abrüstungssignalen der Westen helfen. Ich möchte umgekehrt auch, dass die klugen Überlegungen, wie sie ja bei der Mehrheit der Amerikaner derzeit stattfinden, nämlich auf eine Weltpolitik, die abgestimmt ist und nicht auf Alleingänge setzt, dass das unterstützt wird. Deutschland sollte vor allen Dingen auf Abrüstung setzen, sollte dafür sorgen, dass wir selbst in Deutschland auch mit gutem Beispiel voran gehen. Es wäre zum Beispiel ein großartiges Signal der Abrüstung, wenn die letzten Atomsprengköpfe, die immer noch in Deutschland gelagert werden als Überbleibsel aus der Zeit des kalten Krieges, abgezogen würden.

    Jepsen-Föge: Herr Westerwelle, allerletzte Frage: Sie bereiten sich als Partei- und Fraktionsvorsitzender derzeit schon auf die Bundestagswahl, auf den Wahlkampf 2009 vor. Was wird gleichsam Ihre wichtigste Botschaft sein?

    Westerwelle: Die wichtigste Botschaft ist, dass wir in Deutschland mehr Freiheit und weniger staatliche Bevormundung brauchen, weil nur dann, wenn sich Leistung für den Einzelnen lohnt, nur dann ist Wohlstand für alle möglich. Und deswegen werden unsere Schwerpunktthemen sein: Wirtschaftliche Vernunft, gute Bildungschancen mit den Chancen neuer Technologien und natürlich auch innere Liberalität. Die FDP war immer Garant dafür, dass das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit stimmt.