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Regierung Orban distanziert sich zögerlich von Antisemiten

In Ungarn wird Antisemitismus offen zur Schau getragen. Ein Grund dafür ist auch die zögerliche Haltung des Regierungschefs Viktor Orban. Erst auf Druck der Opposition und aus dem Ausland nimmt er kritisch Stellung zu diskriminierenden Äußerungen.

Von Stephan Oszváth | 03.05.2013
    November 2012, in Kenderes, einem kleinen Pusztadorf im Osten Ungarns. Rechtsextreme gedenken des Zwischenkriegs-Herrschers Miklós Horthy. Allerlei rechtsextreme Garden sind aufmarschiert. Einer der Redner ist Loránt Hegedüs Junior, reformierter Geistlicher und glühender Antisemit.

    "Welche Autoren muss meine Tochter in der Schule zwingend kennenlernen ? Nádas, Spiró, Eszterházy und Kertész. Das sind jene Juden, die mit jedem Wort das Ungarntum mit Füßen treten. Das sind diese Juden, die es kaum abwarten können, bis sie sterben, um endlich Unsterbliche zu werden. Auch wir können es kaum erwarten. "

    Die Frau des Geistlichen sitzt für die rechtsextreme Partei Jobbik seit 2010 im Budapester Parlament. Zusammen mit 46 anderen. Einer von ihnen, Márton Gyöngyösi, forderte vor wenigen Wochen dort öffentlich "Judenlisten".

    "Jetzt ist die Zeit eine Liste der Juden anzufertigen: der hier lebenden, der in Regierung und Parlament. Da sie ein besonderes Sicherheitsrisiko darstellen."

    Es dauert Tage, bis sich Ministerpräsident Viktor Orbán damals distanziert. Er tut es, aber erst nach Appellen der Opposition. Und nach internationaler Empörung. Der Meinungsforscher Endre Hann erklärt die Strategie der Regierungspartei Fidesz so.

    "Fidesz macht das sehr geschickt. Die Regierungspartei nimmt Jobbik die Luft zum Atmen. Linken oder Liberalen missfällt das, dass Fidesz rechtsextreme Gedanken oder Herangehensweisen übernimmt,die inakzeptabel sind. Die Partei laviert da sehr geschickt, um immer mehr Wähler ganz rechts unter der Fidesz-Fahne zu versammeln."

    Doch das verändert das Klima in Ungarn. Rechtsextreme tragen ihre Ansichten und Vorurteile in die Mitte der Gesellschaft. Und immer wieder gibt es Zwischenfälle. Rechtsextreme Studenten forderten jüngst in Budapest: Juden raus aus der Universität. Entsprechende Aufkleber hingen an den Türen jüdischer Dozenten. Der Budapester Rabbiner Tamás Verö erzählt.

    "Es gibt Leute, die nicht mehr gerne zu Veranstaltungen außerhalb der Synagoge kommen. Sie meiden die Öffentlichkeit, nicht dass es zu Angriffen kommt. Das gibt es leider. Viele Leute kommen auch in die Synagoge, berichten von antisemitischen Beschimpfungen in der Straßenbahn oder im Bus. Gegen sie und andere."

    Das hat seit 1989 zugenommen, sagen Vertreter der jüdischen Gemeinden. Prominente Juden wie der Schriftsteller Àkos Kertész verlassen mittlerweile das Land. Künstler wie der Pianist András Schiff treten wegen der Angriffe in Ungarn nicht mehr auf. Die jüdische Gemeinde Wien berichtet über Zulauf aus Ungarn. Der Budapester Rabbiner Schlomo Köves bedauert das.

    "Das ist schlecht, wenn es in diese Richtung geht. Denn in Ungarn ist es nicht so, dass man wegen des Antisemitismus wegziehen müsste. Obwohl die Alltagssprache in dieser Hinsicht sehr verdorben ist. Immer offener werden antisemitische Hassreden gehalten, sogar im Parlament."

    Die Regierung zeichnete jüngst Antisemiten sogar mit dem wichtigsten Publizistik-Preis des Landes aus. Nun, im Vorfeld des Jüdischen Weltkongresses verbot Viktor Orbán hingegen eine Fahrt des antisemitischen Motorrad-Klubs Goj Motorosok zu Ehren Adolf Hitlers. Regierungschef Orbán wird auf dem Jüdischen Weltkongress sogar sprechen. Reine Schaufenster-Politik ? Die Wiener Historikerin Regina Fritz meint.

    "Es gibt auch auf konservativer Seite ein Bemühen, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, aber ich glaube, es ist mit Blick auf das Ausland, um sich außenpolitisch zu legitimieren."