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Regierungskrise in Italien
Die Koalitionsgespräche stocken

Noch bis Mittwoch haben Demokraten und Fünf-Sterne-Bewegung in Italien Zeit für ihre Koalitionsverhandlungen. Letztere werden allerdings von einem gewaltigen Shitstorm überrollt. Es hagelt Kritik an der Annäherung mit den Demokraten. Vizepremier Luigi Di Maio, Chef der Fünf Sterne, wirkt zögerlich.

Von Jörg Seisselberg | 27.08.2019
Luigi di Maio, Italiens Vize-Regierungschef
Luigi Di Maio, Italiens Vize-Regierungschef, wirkt durch die Kritik der Anhänger verunsichert (Alberto PIZZOLI / AFP)
Die Unterstützung in den Sozialen Medien hat die Partei mit groß gemacht. Jetzt werden die Fünf-Sterne-Bewegung und speziell ihrer Spitzenmann Luigi Di Maio von einem Shitstorm ohne Beispiel durchgeschüttelt. Möglicherweise ein Grund, warum die Populisten kurz vor der entscheidenden Gesprächsrunde bei Staatspräsident Sergio Mattarella wackeln – und eine mögliche Online-Abstimmung unter ihren Anhängern wie eine dunkle Wolke über einer möglichen Koalition mit der Demokratischen Partei hängt. Vor allem die Facebook-Seite von Vizepremier Di Maio wird von Negativkommentaren geflutet. Ein Ciccio Melari schreibt dort:
"Ihr seid genau wie alle anderen geworden. Ändert euren Namen aus Respekt vor denen, die euch gewählt haben, weil sie euren Worten geglaubt haben."
Über 4.500 Likes von Di Maios Facebook-Fans bekommt dieser Kommentar. Fast 900 Mal zustimmend den Daumen nach oben gibt es für die Kritik Enrico Rizzis am Fünf-Sterne-Chef:
"Ganz Italien lacht über Dich. Mit der Demokratischen Partei, die Du Jahr für Jahr massakriert hast. Jetzt machst Du Vereinbarungen mit ihr, nur um Dein Amt nicht zu verlieren."
Di Maio lästerte in Vergangenheit über Demokraten
Luigi Di Maio gehört in der Tat zu den Politikern der Fünf-Sterne-Bewegung, die stets gerne und heftig über die Demokraten herzogen sind.
Mit dieser Demokratischen Partei habe er nichts zu tun, tönte der Vizepremier vor wenigen Monaten. Noch im Mai lehnte der Fünf-Sterne-Führer in der wichtigsten Polit-Talkshow Italiens Gespräche mit den Demokraten und ihrem Parteichef Nicola Zingaretti rundweg ab. Er sehe auch in der Sache keinerlei Dialogmöglichkeit mit der Demokratischen Partei, meinte Di Maio.
Die Erzählung der Fünf-Sterne-Bewegung über die Schwesterpartei der deutschen SPD lautete bislang: Zu sehr von gestern, Teil des alten Systems, verantwortlich für fast alles, was in Italien schiefläuft. In den fünf Jahren, in denen die Demokraten mit ihren Regierungen Renzi und Gentiloni Verantwortung trugen, waren dies die Botschaften, mit denen die Fünf-Sterne-Bewegung in den Sozialen Medien Unterstützung für sich mobilisierte.
Jetzt droht der Partei, dass sie den im Netz freigesetzten Geist nicht mehr in die Flasche bekommt. In der Fünf-Sterne-Bewegung geht die Angst um, von ihren Anhängern bei einem Online-Votum über einen Regierungsvertrag mit den Demokraten abgestraft zu werden. Dies sei der Hauptgrund, schreibt der Corriere della Sera, warum Di Maio in den Koalitionsverhandlungen seit ein paar Tagen so zögerlich erscheint.
Demokraten strecken weiter die Hand aus
Die Demokraten dagegen, trotz der auch in ihren Reihen vorhandenen Bedenken, strecken weiter die Hand aus Richtung Fünf-Sterne-Bewegung. Parteichef Zingaretti wirbt bei Di Maio und Co. um Gespräche zunächst über Inhalte:
"Man muss sich gegenseitig zuhören und miteinander reden – um dann am Ende eine gemeinsame Position zu finden."
Inhaltliche Schnittmengen zwischen beiden Parteien gibt es mehr als der Streit in den vergangenen Jahren vermuten lässt, gerade in der Sozial-, Wirtschafts- und Umweltpolitik. Beide wollen unter anderem einen Mindestlohn, Investitionen, um Arbeitsplätze zu schaffen, und eine Wende hin zu einer Green Economy.
Die inhaltliche Nähe spricht, vor der heute beginnenden neuen Konsultationsrunde beim Staatspräsidenten, für eine Last-Minute-Einigung. Vor allem nachdem die Demokraten signalisiert haben, sie könnten, wie von den Fünf Sternen gewünscht, Giuseppe Conte als neuen alten Ministerpräsidenten akzeptieren. Die Welle vorauseilender Wut aber, mit der die Fünf-Sterne-Bewegung in den Sozialen Medien konfrontiert ist, könnte noch zum Stolperstein werden.