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Regierungskrise in Nepal

Nach zehn Jahren Bürgerkrieg wurde die Monarchie in Nepal gestürzt und im vergangenen Jahr gewannen die Maoisten die ersten demokratischen Wahlen. Die nepalesische Armee und die maoistischen Volksbefreiungsarmee (PLA), die sich im Bürgerkrieg bekämpften, sollen nun reformiert und integriert werden. Doch das Projekt stockt. Und der Rücktritt des Premierministers stürzt das Land in eine Regierungskrise.

Von Sabina Matthay |
    Kein bisschen misstrauisch gucken die Wachen am Lagertor der Dritten Division der PLA, nicht mal richtig neugierig sind sie in ihren gestärkten Kampfanzügen und blitzblanken Kampfstiefeln.

    Das Metallgatter ist frisch gestrichen und mit Blumen geschmückt, am Rahmen prangt das Logo der maoistischen Volksbefreiungsarmee: zwei gekreuzte Kalaschnikows vor schneebedeckten Gipfeln des Himalaya.

    Doch schneller Einlass bedeutet nicht, dass Besucher an diesem Tag jedem im Lager willkommen sind: Divisionskommandeur Bibit hat zu tun, teilt der Presseoffizier mit - die politische Lage ändert sich grade. So wagen wir ein paar Schritte durch Lager.

    Am Speisesaal dröhnt ein Generator, Unterkünfte sind von Blumenbeeten umrahmt, über dem Einlass zum gepflegten Sportplatz feiert ein Spruchband den "Marxismus-Leninismus-Maoismus und Prachandas Pfad" - Prachanda ist der maoistische Regierungschef, der die Rebellen im Bürgerkrieg befehligte. Im Gemeinschaftsraum der Division läuft der Fernseher, in Kürze wird eine Ansprache des Premierministers und Maoistenführers erwartet.

    Am Tag zuvor ist Nepals Regierungskoalition zerbrochen - im Kern an der Frage, ob und wie die einstigen Guerillas in die Armee des Landes eingegliedert werden sollen.

    Deshalb haben wir die beschwerliche Reise in die Ebene an der Grenze zu Indien unternommen. Nur 200 Kilometer von der Hauptstadt Kathmandu entfernt, aber viele Stunden Fahrt über schlechte Straßen - zwei Reifenwechsel werden auf der Reise nötig sein.

    Doch zunächst treffen wir Asta: 25 Jahre alt ist die stellvertretende Bataillonskommandeurin, die kleine Gestalt aufrecht und unnahbar. In grün-schwarz gefleckter Uniform sitzt sie vor uns, die Ärmel mehrfach umgekrempelt, die weite Hose fest gegürtet - Asta nimmt, was die Kleiderkammer ausgibt, Zivilkleidung hat sie seit Jahren nicht mehr getragen. Die Uniform mit dem Schulterstück, das sie als PLA-Kämpferin ausweist, verleihe ihr Würde, sagt die zierliche Frau.

    Asta stammt aus dieser ländlichen Gegend, ihre ganze Familie ist bei den Maoisten. Sie selbst war als Studentin in der Jugendorganisation. Vor vier Jahren, nach dem Tod ihres Freundes im Bürgerkrieg, trat sie in die PLA ein. Vom Kampf gegen die feudalen Institutionen und die Monarchie in Nepal, vom Einsatz für die einfachen Leute und deren Rechte ist Asta heute mehr denn je überzeugt.

    Durch und durch überzeugt gibt sich auch Samrashana, ihres Zeichens Zugführerin: Mit 16, als Schülerin der zehnten Klasse beschloss sie, auf Seiten der Maoisten im Bürgerkrieg zu kämpfen - ein Krieg, in dem Armee und Rebellen einander erbarmungslos bekämpften. 13.000 Menschen sollen ihm zum Opfer gefallen sein.

    Seit drei Jahren herrscht Frieden in Nepal. Nun harrt Samrashana im Lager bei Chitwan mit rund 4000 ehemaligen Kämpfern der Eingliederung: in die Zivilgesellschaft oder in die Sicherheitskräfte Nepals. Die Armee ist das Ziel der schmalen Frau. Doch eine reformierte Armee soll es sein. In der will sie sich für die Entwicklung Nepals einsetzen.

    Das wollen angeblich auch alle anderen rund 19.000 Ex-Guerillas der PLA, die auf sieben Lager in ganz Nepal verteilt sind. Doch die Armee hält viele für nicht fit genug, nach Ansicht des Generalstabschefs sind die Maoisten zu stark indoktriniert, haben sie nicht die richtige Einstellung. So warten die Kämpfer in den Lagern.

    Die Integration sollte schneller vorangehen, sagt der Presseoffizier. Die Leute würden langsam ungeduldig, verrät er uns später. Er fürchte, dass manche in den Terrorismus abgleiten könnten. Doch noch halte die Ex-Guerilla sich an das Friedensabkommen.

    Auch die ehemaligen PLA-Kämpfer im Lager bei Chitwan werden von der UNO überwacht, rund 700 Waffen aller Art sind dort ebenfalls unter Verschluss. Doch auf dem stacheldrahtumzäunten Gelände der Mission sind an diesem Tag nur Wachen, sagt uns Samrashana, keine "Monitore" der UNO. Zuvor hat sie uns den Übungsplatz im Wald gezeigt: ein paar Betonklötze, Turngeräte, eine Holzhütte, auf dem die Kämpfer täglich trainieren - mit nachgebildeten Waffen aus Holz.

    Der Waffenstillstand heißt nicht, dass wir untätig sind, sagt Asta. Wir treiben Sport, täglich gibt es Übungen, politische Schulungen. Wir bleiben eine revolutionäre Front, die ihr Ziel noch nicht erreicht hat. Sie kann sich ein Leben als Zivilistin nicht mehr vorstellen. Samrashana dagegen will die Rückkehr ins zivile Leben nicht ausschließen. Sie ist mit einem Genossen verheiratet, ebenfalls Kämpfer mit Fronterfahrung, doch ein echtes Eheleben führen die beiden nicht:

    Unterkünfte für Paare gibt es nicht, erzählt sie uns. In den Hütten herrscht Geschlechtertrennung. 25 Kämpfer sind auf 25 Quadratmetern untergebracht. Im Vergleich zu vielen Nepalis leben sie komfortabel. Die Regierung subventioniert das Lagerleben. Doch immer mal wieder verdingen die Kämpfer sich als Erntehelfer bei den Bauern der Gegend oder in einer Ziegelei.

    Kurz bevor wir das Lager verlassen, schallt aus den Fernsehern eine Neuigkeit: Premier Prachanda ist vom Amt zurückgetreten. Die Kämpfer nehmen es gelassen: Ein moralischer Sieg sei dieser Rücktritt, sagt der Presseoffizier, von Anfang an hätte die Opposition den Maoisten Steine in den Weg gelegt. Den Rückfall in den Bürgerkrieg sieht er nicht: Doch einen Krieg völlig ausschließen mag im Lager niemand.

    Während die Reform der Armee stockt, die Integration von Rebellen nicht vorankommt, haben die Ex-Guerillas ihre Organisation auf Vordermann gebracht. Solange die Zukunft der beiden Armeen in Nepal nicht geklärt ist, solange wird das Land keinen echten Frieden finden.