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Regierungsstreit
Griechenland-Debatte belastet die Große Koalition

Der Umgang mit der griechischen Schuldenkrise sorgt nicht nur unter den Mitgliedsländern der Europäischen Union für Diskussionen: Die Kolitionspartner Union und SPD streiten um den richtigen Kurs - und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schlägt auch in der eigenen Partei immer mehr Widerspruch entgegen.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 20.07.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei der Haushaltsdebatte im Bundestag am 28. November 2014.
    Nicht immer einer Meinung in Sachen Griechenland: Bundeskanzlerin Angela Merkel (li.) und Wolfgang Schäuble (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    "Europa ist wie wir: Nicht immer einer Meinung, aber immer ein gemeinsamer Weg": Lange, dass die CDU derart kokett für ihre Europapolitik warb, auf einem Wahlplakat aus dem Jahr 1999. Finanzminister Wolfgang Schäuble zitiert im aktuellen Spiegel-Interview dieses Wahlplakat, als gebe es keine Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und der Kanzlerin: auf der einen Seite Schäubles Vorstoß für einen Grexit auf Zeit, auf der anderen Seite Angela Merkel, die mit den EU-Partnern ein neues, drittes Hilfspaket für Griechenland ausverhandelt hat. Und damit Ende der Diskussion – so klingt zumindest die Botschaft der Kanzlerin im gestrigen ARD-Sommerinterview: "Wir haben ein gemeinsames Ergebnis und der Finanzminister wird genauso wie ich jetzt diese Verhandlungen führen. Wir werden jetzt arbeiten – und zwar gemeinsam in der Koalition, aber auch gemeinsam in der Union, da muss sich keiner Sorgen machen. Wir haben genug andere Probleme."
    Eines davon ist das Klima in Merkels eigener Partei, der CDU. 65 Abgeordnete aus der Unionsfraktion verweigerten letzte Woche im Bundestag ihre Zustimmung zu Verhandlungen über neue Milliardensummen für Athen. Und Wolfgang Schäuble sinniert im Spiegel- Interview gar über Rücktritts-Gedanken. Sein Sprecher Martin Jäger sagte hingegen heute mittag in Berlin, der Finanzminister habe mit dem Interview keine tieferen Absichten verfolgt: "Der Minister verfolgt mit diesem Interview eine reine Informationsabsicht. Ich unterstelle, das war auch bei allen anderen Sommerinterviews so. Und der Zweck ist erfüllt."
    Schäuble spielt mit Rücktrittsgedanken
    Hintergrund von Schäubles indirekter Rücktrittsdrohung sind die offenkundig unterschiedlichen Sichtweisen in der Unionsführung. Anders als ihr Finanzminister hält Merkel nichts von einem befristeten Grexit und einem damit verbundenen Schuldenschnitt. Doch Schäuble warnt: Ein Finanzminister könne zu nichts gezwungen werden. Wenn doch, könne er beim Bundespräsidenten um seine Entlassung bitten. Die Kanzlerin reagiert schmallippig: "Ich kann nur sagen, bei mir war niemand und hat um eine Entlassung gebeten. Und ich habe auch keine Absicht, diese Diskussion weiterzuführen."
    Die aber hat Ralf Stegner. Der als angriffslustig bekannter Vize-Vorsitzende der SPD reagiert sauer auf die versteckten Rücktritts-Drohungen des CDU-Finanzministers: Sie seien genauso wenig zielführend wie Schäubles, Zitat, „fortwährender Flirt" mit einem Grexit, sagt Stegner heute in der Süddeutschen Zeitung. Und Parteichef Sigmar Gabriel wird noch deutlicher: "Herr Schäuble hat die SPD gegen sich aufgebracht – zumal er wusste, dass wir in der Sozialdemokratie nur für einen einzigen Fall bereit sind, über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Union zu reden: Wenn sie das selbst wollen."
    Kritik an Merkels Führungsstil
    Und Gabriels Vize Stegner sekundiert: Die Union verliere ihren europapolitischen Kompass. Dieser Vorwurf trifft die CDU nicht nur in ihrem Markenkern, sondern er zielt auch ab auf den Führungsstil von Angela Merkel. Mangelnde Führungskraft und ein Zickzack-Kurs in der Griechenland-Debatte werden wiederum auch dem SPD-Vorsitzenden von weiten Teilen seiner eigenen Basis vorgeworfen. Gabriel kontert: In einer Volkspartei gebe es nun einmal die unterschiedlichsten Auffassungen: "Eine stumme Partei ist eine dumme Partei. Der Streit in diesen Fragen, der dazu führt, dass eine Partei keine gemeinsame Linie in einer der wichtigsten Fragen Europas hat, wie man mit Griechenland umgeht, brauchen Sie bei uns nicht zu suchen, den gibt's bei uns nicht."
    Auch die Bundesregierung ist jetzt bemüht, die Misstöne in der Koalition abzustellen. Man wolle sich jetzt gemeinsam mit den Gläubigern auf die Verhandlungen zum dritten Hilfspaket konzentrieren, heißt es heute in Berlin. Erst danach wird der Bundestag voraussichtlich in einer Sondersitzung in einigen Wochen erneut über Milliardenzahlungen an Griechenland abstimmen.