" Ich habe ja mit den Kindern noch Platt geredet. Aber heute reden ja die Leute direkt Hochdeutsch. "
" Obwohl die Dialektologie was ganz Altes ist im Deutschen, ist das, was wir machen, etwas ganz Neues. "
Joachim Herrgen ist Professor für Linguistik am Forschungsinstitut für deutsche Sprache an der Universität Marburg. Als stellvertretender Direktor leitet er den Deutschen Sprachatlas mit, die weltweit einzige Gesamterhebung einer Sprache.
" Was wir gegenwärtig so spannend finden an der aktuellen Sprachentwicklung ist, dass eben neue Formen regionalen Sprechens entstehen. Die alte Dialektologie war letztendlich immer auf den bodenständigen Dialekt des Bauern oder Arbeiters und der Bäuerin konzentriert und was sich so der Standardsprache angenährt hat, war für die alte Dialektologie kein rechter Gegenstand. Das war für diese Dialektologie ein Zerfallsprodukt. Und ich denke, diese Scheuklappen müssen wir heute ablegen und wir müssen die Formen des aktuellen, regionalen Sprechens, die junge Leute auch in Großstädten sprechen ernst nehmen und auch als wissenschaftlichen Gegenstand untersuchen. "
In Zeiten einer hohen Mobilität auch über Ländergrenzen hinweg werden immer weniger Dialekte gesprochen. man würde sich nicht verstehen, wenn wie früher in manchen Gegenden von Vorort zu Vorort bestimmte Worte verschieden ausgesprochen werden.
Gleichzeitig aber nutzen die wenigstens reines Hochdeutsch, schon gar nicht in informellen Situationen. Die Alltagssprache bleibt regional geprägt - auch wenn heute mit einer Regionalsprache größere Räume beschrieben werden als einst mit den Dialekten.
" Ich kann Ihnen z.B. sagen, dass Kollegen von uns die Kommunikation in Chatroom untersucht haben und da können sie feststellen, die grüßen sich dann nicht mit Guten Tag, sondern mit Moin als ein regionales Merkmal. D.h. da wird Regionalität verwendet, wir würden mal sagen, als Informalitätsmarker und das tun junge Leute, die letztendlich nie einen Basisortsdialekt gelernt haben und die überfragt wären, wie das früher die Dialektolgen gemacht haben, wie heißt den der fordere Teil des Erntewagens. "
Im Internet kann man auf der Homepage des digitalen Wenker-Atlas unter www.diwa.info nachvollziehen, wie die Deichsel und andere Begriffe in den verschiedensten deutschen Dialekten zwischen Kiel und Passau sowie zwischen Aachen und Görlitz benannt und ausgesprochen wurden.
" Der Marburger Bibliothekar Georg Wenke hat einen ersten Sprachatlas der Welt 1876 begonnen zu entwickeln. "
Auf den über 100 Jahre alten Karten sieht man die verschiedenen Dialekte auf das Gebiet des einstigen Deutschen Reiches verteilt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die schriftliche Beschreibung durch über 4000 Tonaufnahmen der Abfragesätze des Marburger Sprachwissenschaftlers ergänzt.
Durch das REDE- Forschungsprojekt werden die Marburger Sprachwissenschaftler in den nächsten zwei Jahrzehnten durch ganz Deutschland reisen und die gegenwärtige Art des Sprechens in ihren regionalen Besonderheiten erheben. Ihr Forschungsklientel: Polizisten aus den Notrufaufnahmestellen der verschiedenen Orte. Die sind es gewohnt, ins Mikrophon zu sprechen und aufzeichnet zu werden und sind nicht angehalten, Hochdeutsch zu sprechen.
" Wir fahren zu denen hin und nehmen sie in verschiedenen Gesprächssituationen auf. "
Birgitte Ochs ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt. Um vergleichbares, aussagekräftiges Material zu gewinnen suchen sie Männer einer Altersgruppe, die möglichst an dem Ort aufgewachsen sind, an dem sie heute noch leben. Dadurch wollen die Forscher die Regionalsprache mit ihren Besonderheiten in der Lautung, der Formenwahl, im Satzbau und auch der Wortwahl identifizieren.
" Da haben wir unsere Wenkersätze, die alte Sätze und die Sprechen wir in der Standardsprache vor und lassen die von den Polizisten in ihre Basissprache übersetzen. Und das ganze auch umgekehrt. Wir spielen ihnen die Aufnahmen alter Wenkersätze vor und lassen sie in ihr bestes Hochdeutsch übersetzen. "
Herrgen: " Und das ist für uns eine spannende Sache. Damit haben wir eine dialektalen Zustand mit einem Jahrhundert Abstand von jetzt ab zurück dokumentiert. Und wenn wir jetzt hingehen und in den letzten Jahren einen Sprachatlas mit einem ähnlichen Gegenstand erarbeitet haben, dann können wir die alte Karte und die neue überblende und können in der Veränderung des Kartenbildes die Veränderung der Territorien beobachten. Und das ist so etwas, was wir dynamische Sprachkarten nennen. Dass wir durch so etwas wie Zeitschnitte den Sprachwandel beobachten können. "
Diese Forschung hat für die forensischen Linguistik und Kriminalistik praktische Relevanz, denn Straftäter - beispielsweise Erpresser - werden häufig über ihre Stimme entdeckt. Auch automatische Spracherkennungsprogramme können in Zukunft optimiert werden, wenn regionalsprachliche Abweichungen beachtet sind. Doch bei aller Anwendungsorientierung: die Wissenschaftler betreiben vor allem Grundlagenforschung.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Jürgen Erich Schmidt entwickelte Joachim Herrgen eine Theorie der Sprachdynamik. Darin ist die Synchronisierung ein wichtiger Begriff.
" Wir sagen, was sie eigentlich tun, wenn sie mit jemanden sprechen: Sie erspüren sofort, was der andere für sprachliche Rezeptionsmöglichkeiten hat. Das nehme sie an, weil sie von ihm auch einen bestimmten Input hören und sie stellen das, was sie sprechen, auf seine Rezeptionsmöglichkeiten ein. Und das ist ein ständiger Austauschsprozess, den wir ständig neu justieren, wenn wir mit anderen Menschen sprechen und das ist ein permanenter, in jedwede Richtung gehender Synchronisierungsprozess. "
Kognitionswissenschaftlich ist es beschreibbar, wie sich dabei die deutsche Sprache wandelt. Diese Anpassungen - davon sind die Sprachwissenschaftler überzeugt - sind nachhaltiger als jene, wenn neue Wörter beispielsweise aus dem Englischen zu unserer Sprache hinzukommen.
" Das Deutsche hat zu allen Zeiten fremdsprachige Wörter aufgenommen. Das war mal das Latein. Es war mal das Französische. Jetzt ist es das Englische. Das sind Phänomene, die bleiben in den Sprachen ziemlich stark an der Oberfläche. Weshalb wir sagen, dass dieses regionalsprachliche Sprechen viel tiefer geht. Da entwickeln sich aus den alten Dialekten neue Formen des regionalen Sprechens. Da baut sich gewissermaßen eine ganze Kommunikationsstruktur um und wir haben vorhin gesprochen syntaktische Phänomene, über morphologische Phänomene, also über Formen und das geht sehr viel als dieser oberflächliche Wortschatzeinfluss durch eine aktuelle Entlehnung. "
" Ich würde sagen, ich differenziere nicht. Ich sage nur, jetzt rede ich ordentlich. Dass ich sage, ich bemühe mich, die Endungen jetzt zu sprechen und ch. "
" Jeder kennt das vermutlich, dass die Leute aus Frankfurt oder aus Köln nicht ich sagen, sondern isch, und nicht mich sondern misch und satt richtig ritisch. Das ch wird zu einem sch. In diesen Dialekten, wir nennen das Korrenalisierung, da würde jeder sagen, dieses rechtisch und retsch usw. das klingt doch wie alter Dialekt. Das sind alte dialektale Merkmale. Wir wissen aber ganz genau, dass es um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht da war. Das ist eine Sache, die ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und breitet sich auch heute noch aus, so dass heute größere Gebiete in der Mitte Deutschlands dieses Merkmal generell haben. Das ist, wenn sie die ganze Sprachgeschichte nehmen ein Lautwandel vor unseren Ohren, der sich momentan vollzieht und ein Lautwandel, der weg geht vom Hochdeutschen. Wir meinen ja immer, alles in der gesprochenen Sprache sei Annäherung an den Standard, Annäherung an das Hochdeutsch. Nein, es entstehen auch neue Merkmale, die sich weg entwickeln. "
" Obwohl die Dialektologie was ganz Altes ist im Deutschen, ist das, was wir machen, etwas ganz Neues. "
Joachim Herrgen ist Professor für Linguistik am Forschungsinstitut für deutsche Sprache an der Universität Marburg. Als stellvertretender Direktor leitet er den Deutschen Sprachatlas mit, die weltweit einzige Gesamterhebung einer Sprache.
" Was wir gegenwärtig so spannend finden an der aktuellen Sprachentwicklung ist, dass eben neue Formen regionalen Sprechens entstehen. Die alte Dialektologie war letztendlich immer auf den bodenständigen Dialekt des Bauern oder Arbeiters und der Bäuerin konzentriert und was sich so der Standardsprache angenährt hat, war für die alte Dialektologie kein rechter Gegenstand. Das war für diese Dialektologie ein Zerfallsprodukt. Und ich denke, diese Scheuklappen müssen wir heute ablegen und wir müssen die Formen des aktuellen, regionalen Sprechens, die junge Leute auch in Großstädten sprechen ernst nehmen und auch als wissenschaftlichen Gegenstand untersuchen. "
In Zeiten einer hohen Mobilität auch über Ländergrenzen hinweg werden immer weniger Dialekte gesprochen. man würde sich nicht verstehen, wenn wie früher in manchen Gegenden von Vorort zu Vorort bestimmte Worte verschieden ausgesprochen werden.
Gleichzeitig aber nutzen die wenigstens reines Hochdeutsch, schon gar nicht in informellen Situationen. Die Alltagssprache bleibt regional geprägt - auch wenn heute mit einer Regionalsprache größere Räume beschrieben werden als einst mit den Dialekten.
" Ich kann Ihnen z.B. sagen, dass Kollegen von uns die Kommunikation in Chatroom untersucht haben und da können sie feststellen, die grüßen sich dann nicht mit Guten Tag, sondern mit Moin als ein regionales Merkmal. D.h. da wird Regionalität verwendet, wir würden mal sagen, als Informalitätsmarker und das tun junge Leute, die letztendlich nie einen Basisortsdialekt gelernt haben und die überfragt wären, wie das früher die Dialektolgen gemacht haben, wie heißt den der fordere Teil des Erntewagens. "
Im Internet kann man auf der Homepage des digitalen Wenker-Atlas unter www.diwa.info nachvollziehen, wie die Deichsel und andere Begriffe in den verschiedensten deutschen Dialekten zwischen Kiel und Passau sowie zwischen Aachen und Görlitz benannt und ausgesprochen wurden.
" Der Marburger Bibliothekar Georg Wenke hat einen ersten Sprachatlas der Welt 1876 begonnen zu entwickeln. "
Auf den über 100 Jahre alten Karten sieht man die verschiedenen Dialekte auf das Gebiet des einstigen Deutschen Reiches verteilt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die schriftliche Beschreibung durch über 4000 Tonaufnahmen der Abfragesätze des Marburger Sprachwissenschaftlers ergänzt.
Durch das REDE- Forschungsprojekt werden die Marburger Sprachwissenschaftler in den nächsten zwei Jahrzehnten durch ganz Deutschland reisen und die gegenwärtige Art des Sprechens in ihren regionalen Besonderheiten erheben. Ihr Forschungsklientel: Polizisten aus den Notrufaufnahmestellen der verschiedenen Orte. Die sind es gewohnt, ins Mikrophon zu sprechen und aufzeichnet zu werden und sind nicht angehalten, Hochdeutsch zu sprechen.
" Wir fahren zu denen hin und nehmen sie in verschiedenen Gesprächssituationen auf. "
Birgitte Ochs ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt. Um vergleichbares, aussagekräftiges Material zu gewinnen suchen sie Männer einer Altersgruppe, die möglichst an dem Ort aufgewachsen sind, an dem sie heute noch leben. Dadurch wollen die Forscher die Regionalsprache mit ihren Besonderheiten in der Lautung, der Formenwahl, im Satzbau und auch der Wortwahl identifizieren.
" Da haben wir unsere Wenkersätze, die alte Sätze und die Sprechen wir in der Standardsprache vor und lassen die von den Polizisten in ihre Basissprache übersetzen. Und das ganze auch umgekehrt. Wir spielen ihnen die Aufnahmen alter Wenkersätze vor und lassen sie in ihr bestes Hochdeutsch übersetzen. "
Herrgen: " Und das ist für uns eine spannende Sache. Damit haben wir eine dialektalen Zustand mit einem Jahrhundert Abstand von jetzt ab zurück dokumentiert. Und wenn wir jetzt hingehen und in den letzten Jahren einen Sprachatlas mit einem ähnlichen Gegenstand erarbeitet haben, dann können wir die alte Karte und die neue überblende und können in der Veränderung des Kartenbildes die Veränderung der Territorien beobachten. Und das ist so etwas, was wir dynamische Sprachkarten nennen. Dass wir durch so etwas wie Zeitschnitte den Sprachwandel beobachten können. "
Diese Forschung hat für die forensischen Linguistik und Kriminalistik praktische Relevanz, denn Straftäter - beispielsweise Erpresser - werden häufig über ihre Stimme entdeckt. Auch automatische Spracherkennungsprogramme können in Zukunft optimiert werden, wenn regionalsprachliche Abweichungen beachtet sind. Doch bei aller Anwendungsorientierung: die Wissenschaftler betreiben vor allem Grundlagenforschung.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Jürgen Erich Schmidt entwickelte Joachim Herrgen eine Theorie der Sprachdynamik. Darin ist die Synchronisierung ein wichtiger Begriff.
" Wir sagen, was sie eigentlich tun, wenn sie mit jemanden sprechen: Sie erspüren sofort, was der andere für sprachliche Rezeptionsmöglichkeiten hat. Das nehme sie an, weil sie von ihm auch einen bestimmten Input hören und sie stellen das, was sie sprechen, auf seine Rezeptionsmöglichkeiten ein. Und das ist ein ständiger Austauschsprozess, den wir ständig neu justieren, wenn wir mit anderen Menschen sprechen und das ist ein permanenter, in jedwede Richtung gehender Synchronisierungsprozess. "
Kognitionswissenschaftlich ist es beschreibbar, wie sich dabei die deutsche Sprache wandelt. Diese Anpassungen - davon sind die Sprachwissenschaftler überzeugt - sind nachhaltiger als jene, wenn neue Wörter beispielsweise aus dem Englischen zu unserer Sprache hinzukommen.
" Das Deutsche hat zu allen Zeiten fremdsprachige Wörter aufgenommen. Das war mal das Latein. Es war mal das Französische. Jetzt ist es das Englische. Das sind Phänomene, die bleiben in den Sprachen ziemlich stark an der Oberfläche. Weshalb wir sagen, dass dieses regionalsprachliche Sprechen viel tiefer geht. Da entwickeln sich aus den alten Dialekten neue Formen des regionalen Sprechens. Da baut sich gewissermaßen eine ganze Kommunikationsstruktur um und wir haben vorhin gesprochen syntaktische Phänomene, über morphologische Phänomene, also über Formen und das geht sehr viel als dieser oberflächliche Wortschatzeinfluss durch eine aktuelle Entlehnung. "
" Ich würde sagen, ich differenziere nicht. Ich sage nur, jetzt rede ich ordentlich. Dass ich sage, ich bemühe mich, die Endungen jetzt zu sprechen und ch. "
" Jeder kennt das vermutlich, dass die Leute aus Frankfurt oder aus Köln nicht ich sagen, sondern isch, und nicht mich sondern misch und satt richtig ritisch. Das ch wird zu einem sch. In diesen Dialekten, wir nennen das Korrenalisierung, da würde jeder sagen, dieses rechtisch und retsch usw. das klingt doch wie alter Dialekt. Das sind alte dialektale Merkmale. Wir wissen aber ganz genau, dass es um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht da war. Das ist eine Sache, die ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und breitet sich auch heute noch aus, so dass heute größere Gebiete in der Mitte Deutschlands dieses Merkmal generell haben. Das ist, wenn sie die ganze Sprachgeschichte nehmen ein Lautwandel vor unseren Ohren, der sich momentan vollzieht und ein Lautwandel, der weg geht vom Hochdeutschen. Wir meinen ja immer, alles in der gesprochenen Sprache sei Annäherung an den Standard, Annäherung an das Hochdeutsch. Nein, es entstehen auch neue Merkmale, die sich weg entwickeln. "