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Regisseur Ariel Ashbel
"Wir wollen dem Zuschauer mehr Freiheit lassen"

"Alle Weißen sehen für mich gleich aus" – so hieß die Theaterproduktion, mit der Ariel Ashbel vor zwei Jahren in Deutschland bekannt wurde. Der in Berlin lebende Israeli spielte dabei lustvoll mit Klischees. Das war witzig, aber nahm auch ziemlich treffsicher Vorurteile aufs Korn. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an Ashbels neues Stück: "The Empire Strikes Back – Das Imperium schlägt zurück" hat heute Abend im HAU3 in Berlin Premiere.

Von Oliver Franz | 30.06.2015
    Schauspieler in enganliegenden Overalls laufen in einer Landschaft aus schwarzen Holzsegmenten umher. Wer sie sind und wo sie sich befinden, bleibt
    unklar.
    "Jeder sieht in dem Stück etwas anderes – auch die Darsteller. Einige denken an konkrete Geschichten, andere nicht. Das finde ich großartig. Wir gehen in unserer Arbeit nicht vom Inhalt aus, sondern von der Form."
    Doch auch die Form ist nicht ganz klar. Erst wird gesungen, dann mit gymnastischen Bewegungen getanzt. Nachdem zwei Akteure Reden in einer Fantasiesprache gehalten haben, formiert sich die Gruppe zu einer Prozession.
    "Wir haben über große Imperien nachgedacht. Wie stellen sie sich dar? Da ist so eine Prozession eine wichtige Sache. Es geht darum, Reichtum zu zeigen und Stärke."
    Doch wer da seinen Reichtum präsentieren möchte, erfährt das Publikum nicht. Die Darstellung fällt ohnehin bescheiden aus. Eine dicke Diva wird auf einem Holzpodest in den Saal geschoben und entblößt, als sie herabklettert, ihr Hinterteil. Die anderen Akteure zeigen keine Reaktion. Kurz darauf schleppt ein Gorilla, eine Frau herbei, die High Heels trägt. Doch auch diese Szene läuft ins Leere.
    Der Regisseur Ariel Ashbel will, wie er sagt, nichts erzählen. Seine letzte Produktion, bei der er sich zielgenau mit Vorurteilen in der Gesellschaft auseinandersetzte, kommt ihm heute viel zu didaktisch vor...
    "Romm Lewkowicz, mein Partner, hat mitten in der Aufführung einen Vortrag gehalten, in dem er unser Konzept erklärte. Er hat darauf hingewiesen, dass wir mit Stereotypen arbeiten und Menschen, wie in einem Zoo präsentieren. Das fanden wir damals wichtig. Heute wollen wir den Zuschauern mehr Freiheit lassen. Wir zeigen einen schwarzen Raum und abstrakte Körper. Es geht nicht mehr um Menschen und ihre Identität, sondern um Dinge und die Reaktionen, die sie auslösen. Die Zuschauer sollen eine sinnliche Erfahrung machen, keine intellektuelle."
    Für die Sinnlichkeit ist die beleibte Diva zuständig, die ein durchsichtiges Negligé trägt. Sie legt sich hin und rollt über die Bühne. Dann tritt ein nackter Mann auf, der mit schwarzer Farbe besprüht wird. Vor 50 Jahren wäre das vielleicht als Action Painting Performance durchgegangen, aber heute? Ariel Ashbel will auf die Afro-Futuristen verweisen, eine sehr Künstlergruppe, die aus Musikern, Dichtern, Malern und Bildenden Künstlern besteht. Ein wichtiger Vertreter war der amerikanische Musiker und Philosoph Sun Ra, der in den 60er-Jahren den Weltraum als Ort der Befreiung für farbige Menschen beschrieb. Seine Texte werden in der Inszenierung gesungen und von einer fahrenden Lautsprecherbox in den Saal gequäkt.
    "Ich habe oft das Gefühl, dass das Theater sich zu sehr auf den Menschen konzentriert. Man kann auf der Bühne doch viel mehr tun, als Geschichten über Menschen zu erzählen. Wir können Bilder präsentieren, Klänge und Skulpturen, Dinge tun, die nicht gleich zu verstehen sind und viele verschiedene Bedeutungen haben."
    Über den Text, den die Lautsprecherbox rezitiert, kann man lange nachdenken. "Menschen der Erde", heißt es da, "ihr könnt uns nicht täuschen, indem ihr uns zustimmt. ... Wenn ihr eure Augen schließt, wird alles schön sein." Ariel Ashbel liebt den Text, weil er so widersprüchlich ist und sich der Interpretation entzieht – genau wie seine Inszenierung.
    "It's not about anything, it's dealing with materials."
    Die Aufführung hat kein Thema, sagt Ashbel, sondern beschäftigt sich mit Material. Ob man sie als Kunst begreift oder als riesigen Müllhaufen, bleibt dem Zuschauer überlassen.