Ja sind wir im Wald hier, wo bleibt unser Altbier - man ertappt sich beim Mitsingen. Denn wir alle sind ehrliche Güllener bei einer Gemeindeversammlung kurz vor Karneval und stehen gerne auf, wenn uns der Bürgermeister auf der Bühne - seine Perücke erinnert deutlich an den Haarwuchs des Düsseldorfer Bürgermeisters Joachim Erwin - zum Singen der Düsseldorfer Lokalhymne animiert.
Nach und nach lösen sich aus den Zuschauermassen im Großen Haus einzelne Güllener, die freudig den Besuch ihrer alten Mitschülerin Claire Zachanassian erwarten. Zur Milliardärin ist die Luxusfrau mit den roten Milvalocken und dem Brillantenglitzer geworden, die einigen Düsseldorfer Damen im Publikum verblüffend ähnlich sieht. Sie könnte der hoch verschuldeten Stadt zu neuem Glanz verhelfen, kriecherisch und verlogen dient man sich ihr an.
Das Schauspielensemble selbst hat den Güllenern neue Texte geschrieben, die Kostümbildnerin hat sie zu Karikaturen des Publikums gemacht: es gibt in Güllen nun sensationsgierige Medienmanager und erfolglose Schauspielerinnen. Der Krämer Alfred ist ein dickbäuchiger Juwelier auf der Einkaufsmeile "Gü" geworden, Dürrenmatts Pfarrer verwandelt sich bei Volker Lösch zum Alt-68iger-Kunstprofessor. "Ich hab nicht mit Gudrun Ensslin geschlafen, um jetzt meinen alten Freund Alfred ans Messer zu liefern", ruft er aus, nachdem Claire Zachanassian auf ihrer großen weißen Jacht ihre Bedingungen verkündet.
Eine Milliarde für die Güllener, wenn sie Claires ehemaligen Liebhaber Alfred töten, der sie einst verriet, als sie ein Kind von ihm erwartete. Die Entrüstung ist groß, schließlich werden in Güllen die Werte des christlichen Abendlandes verteidigt. Doch während noch Claires Jacht politisch korrekt von Kunststudentinnen mit Gülle beworfen wird, haben sich schon die ersten Stadtbürger Schönheitsoperationen unterzogen, die sie noch weiter in die Schuldenfalle treiben.
Über weite Strecken erinnert Löschs Version von Dürrenmatts 1956 in Zürich aufgeführter berühmter Komödie "Der Besuch der Alten Dame" an eine karnevalistischen Kabarettsnummer. Eine schön auf die Spitze getriebene Karikatur der Stadt Düsseldorf. Unterhaltsames Volkstheater, eine fröhliche Publikumsbeschimpfung und -bespiegelung. Doch gleichzeitig führt Lösch vor, wie gruselig Worthülsen ihren Sinn verkehren können, je nachdem, zu welchem Zweck sie eingesetzt werden.
Trotz aller heuchlerischen Treuebekundungen gegenüber Alfred soll im Düsseldorfer Schauspielhauspublikum nun über die euphemistische "Claire Zachanassian-Stiftung" abgestimmt werden, skandiert von Dürrenmatts dem antiken Sophokles abgeguckten Chor:
"Heute ist ein Tag der Zukunft. Wir haben uns für diesen Weg entschieden. Es ist ein Weg der Tat. Es ist ein Weg der Freiheit. Die Werte des christlichen Abendlands... Wir konfrontieren uns mit immer neuen Herausforderungen... auf jeden einzelnen kommt es an! Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen! Mit starkem und unbeugsamen Willen. Und nach vorne schauen! Wir haben wieder eine Vision. Visionen können ungeahnte Kräfte kommunizieren. Wir glauben wieder an uns selber! Wir kommen wieder! Die besten Jahre liegen noch vor uns!"
Worte mit hohem Wiedererkennungswert. Und da sich unter uns Zuschauern niemand gegen die Stiftungsgründung erhebt, wird Alfred nun umgebracht. Auf einer Plastikfolie, damit sein Tod das neu erstrahlte Güllen nicht verschmutze.
Bis ins kleinste Regiedetail wird so die Güllener Doppelbödigkeit vorgeführt, Alfred an den Füßen aufgehängt und geschächtet wie ein Tier. Ein biblisches Bild, weitaus brutaler, als es Dürrenmatt je vorgesehen hatte, bei dem Alfred nur in einer Gasse aus Menschen verschwindet. Doch dies ist längst nicht mehr nur Güllen oder Düsseldorf, auch hat sich seit dem Jahr 1956 einiges zugespitzt. Unversehens wird die Lokalgroteske zur Weltparabel: Moral ist überall käuflich und wird überall mit den gleichen Worthülsen ausverkauft. Ein schmerzhaft unterhaltsamer Abend.
Nach und nach lösen sich aus den Zuschauermassen im Großen Haus einzelne Güllener, die freudig den Besuch ihrer alten Mitschülerin Claire Zachanassian erwarten. Zur Milliardärin ist die Luxusfrau mit den roten Milvalocken und dem Brillantenglitzer geworden, die einigen Düsseldorfer Damen im Publikum verblüffend ähnlich sieht. Sie könnte der hoch verschuldeten Stadt zu neuem Glanz verhelfen, kriecherisch und verlogen dient man sich ihr an.
Das Schauspielensemble selbst hat den Güllenern neue Texte geschrieben, die Kostümbildnerin hat sie zu Karikaturen des Publikums gemacht: es gibt in Güllen nun sensationsgierige Medienmanager und erfolglose Schauspielerinnen. Der Krämer Alfred ist ein dickbäuchiger Juwelier auf der Einkaufsmeile "Gü" geworden, Dürrenmatts Pfarrer verwandelt sich bei Volker Lösch zum Alt-68iger-Kunstprofessor. "Ich hab nicht mit Gudrun Ensslin geschlafen, um jetzt meinen alten Freund Alfred ans Messer zu liefern", ruft er aus, nachdem Claire Zachanassian auf ihrer großen weißen Jacht ihre Bedingungen verkündet.
Eine Milliarde für die Güllener, wenn sie Claires ehemaligen Liebhaber Alfred töten, der sie einst verriet, als sie ein Kind von ihm erwartete. Die Entrüstung ist groß, schließlich werden in Güllen die Werte des christlichen Abendlandes verteidigt. Doch während noch Claires Jacht politisch korrekt von Kunststudentinnen mit Gülle beworfen wird, haben sich schon die ersten Stadtbürger Schönheitsoperationen unterzogen, die sie noch weiter in die Schuldenfalle treiben.
Über weite Strecken erinnert Löschs Version von Dürrenmatts 1956 in Zürich aufgeführter berühmter Komödie "Der Besuch der Alten Dame" an eine karnevalistischen Kabarettsnummer. Eine schön auf die Spitze getriebene Karikatur der Stadt Düsseldorf. Unterhaltsames Volkstheater, eine fröhliche Publikumsbeschimpfung und -bespiegelung. Doch gleichzeitig führt Lösch vor, wie gruselig Worthülsen ihren Sinn verkehren können, je nachdem, zu welchem Zweck sie eingesetzt werden.
Trotz aller heuchlerischen Treuebekundungen gegenüber Alfred soll im Düsseldorfer Schauspielhauspublikum nun über die euphemistische "Claire Zachanassian-Stiftung" abgestimmt werden, skandiert von Dürrenmatts dem antiken Sophokles abgeguckten Chor:
"Heute ist ein Tag der Zukunft. Wir haben uns für diesen Weg entschieden. Es ist ein Weg der Tat. Es ist ein Weg der Freiheit. Die Werte des christlichen Abendlands... Wir konfrontieren uns mit immer neuen Herausforderungen... auf jeden einzelnen kommt es an! Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen! Mit starkem und unbeugsamen Willen. Und nach vorne schauen! Wir haben wieder eine Vision. Visionen können ungeahnte Kräfte kommunizieren. Wir glauben wieder an uns selber! Wir kommen wieder! Die besten Jahre liegen noch vor uns!"
Worte mit hohem Wiedererkennungswert. Und da sich unter uns Zuschauern niemand gegen die Stiftungsgründung erhebt, wird Alfred nun umgebracht. Auf einer Plastikfolie, damit sein Tod das neu erstrahlte Güllen nicht verschmutze.
Bis ins kleinste Regiedetail wird so die Güllener Doppelbödigkeit vorgeführt, Alfred an den Füßen aufgehängt und geschächtet wie ein Tier. Ein biblisches Bild, weitaus brutaler, als es Dürrenmatt je vorgesehen hatte, bei dem Alfred nur in einer Gasse aus Menschen verschwindet. Doch dies ist längst nicht mehr nur Güllen oder Düsseldorf, auch hat sich seit dem Jahr 1956 einiges zugespitzt. Unversehens wird die Lokalgroteske zur Weltparabel: Moral ist überall käuflich und wird überall mit den gleichen Worthülsen ausverkauft. Ein schmerzhaft unterhaltsamer Abend.