Donnerstag, 25. April 2024

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Regisseur Oliver FrIjic in München
Beleidigend, erschütternd – unerhört intensiv

In seinem Projekt "Balkan macht frei" setzt sich der junge bosnische Regisseur Oliver Frljic auf erschütternd intensive Art mit deutscher Politik und historischer Verantwortung auseinander. So krass, dass das Publikum beleidigt geht und sogar in das Geschehen auf der Bühne eingreift.

Von Rosemarie Bölts | 23.05.2015
    Das Gebäude vom Marstall spiegelt sich in den Glasscheiben vom Nachbargebäude am 28.02.2014 in München (Bayern).
    Altes Residenztheater München (picture alliance / dpa / Rene Ruprecht)
    Ein langer Holztisch, drei legere Herren in grauen Anzügen, die den Regisseur im langärmeligen, schwarzen T-Shirt inquisatorisch ins Gebet nehmen. Man will schließlich - auch im Kulturbetrieb - wissen, wen man sich da gerade einkauft. Im Hintergrund übergroß die deutsche Fahne, ziemlich befleckt. Eine klare Ansage:
    "Herr FrIjic, betrachten Sie Ihr Theater als politisch? - Ja. - In welcher Hinsicht? Was ist das Politische an Ihrem Theater? - Ich zeichne auf der Bühne eine Gesellschaft und zeige dann, dass sie nicht unveränderlich ist. - Sie wollen, dass der Zuschauer aufgerüttelt wird? - Ja. - Und wenn Sie dann mit Gewalt provozieren, ist Ihnen das recht? - Ja. - Auch in Deutschland? - Ja. Auch in Deutschland. - Weil Sie speziell etwas gegen dieses Land haben?
    Nein, Oliver Frljic hat nichts gegen Deutschland und auch nichts gegen die Deutschen. Aber er hat offensichtlich etwas gegen die Verlogenheit und Selbstgefälligkeit, die dieses Land, seine Politik und seine demokratisch geadelte Bevölkerung auszeichnet.
    (Dieses anything goes, wenn alles erklärbar ist und, wenn nicht wie die ungebetenen Flüchtlinge scharf ausgegrenzt, einfach in unendlicher Geschwätzigkeit eingemeindet wird, so dass jede Kritik erstickt. Das wie auch den Spruch des Münchner "Hoftheaterregisseurs" Jocza Savits aus dem 19. Jahrhundert: 'Sieh des Satz als Instrument an, und seinen Sinn als seine Verwendung!' nimmt der Bosnier Frljic, buchstäblich in seine atemlose Suada auf.)
    Das wird zwar im Programmheft als individuelle Identitätskrise des Balkan-traumatisierten Regisseurs verniedlicht, ist aber doch ein politischer Parcours der ungewohnt verstörenden Art. Sieben Szenen sind es, ebenso drastisch wie subtil inszeniert, teils mit Partisanengesang und Knobelbecher-skandierendem "Deutschland"-Gegröle unterlegt. Und so legt Oliver Frljic los, zornig, böse, wütend. Knallt - Kopfschuss! - die Kultfiguren der deutschen Kultur ab - Brecht, Jelinek, Fassbinder, Adorno. Macht nicht Halt vor den Regie-Ikonen Pollesch, "der Theaterschwuchtel" Castorf, Kusej, ausgerechnet Kusej, der Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, der ihm dieses Gastspiel ermöglicht hat. Der, im Zuschauerraum anwesend, guckt denn auch etwas betreten, schließlich wird er das hier vor seinem Geldgeber, dem bayerischen Kultusministerium, rechtfertigen müssen. Richtig, rücksichtslos schießt und wütet der Regisseur in Gestalt des jungen, fulminanten Franz Pätzold über die Marstall-Bühne, scheut nicht den Griff in die Geschichte des Deutschtums, von den "Germanen" über die Bücherverbrennung bis zur Vergasung der Juden und der Zukunftsvision einer Gesellschaft, "in der 40 Millionen Deutsche und 40 Millionen Türken zusammenleben", mit der zynischen Anmerkung, dass "wir es schaffen müssen, dass der Türke sich in Deutschland schämt, Türke zu sein". Und dann die direkte Publikumsbeschimpfung! Man konnte die Schnappatmung auf den Zuschauerbänken spüren, als Franz Pätzold vor ihnen hin- und herrannte und sie dabei anbrüllte, Verzweiflung und Tränen im Gesicht, und Pätzold zum existenziell bedrohten Frljic wurde, siebeneinhalb Minuten lang:
    "In spätestens zwei Jahren, das verspreche ich euch, wird es hier Krieg geben. Ihr lacht! Ihr glaubt es nicht! Wer seid Ihr! Ihr Deutschen, ihr kommt ins Theater, an einem Freitag abend, weil ihr nichts Besseres zu tun habt! Oder weil ihr denkt, wir wollen ein bisschen Kultur! Ihr wollt einfach nur glotzen! Ihr seid Gaffer! Ihr seid nichts weiter als dreckige Gaffer!"
    Eine Zumutung, die nicht alle Zuschauer aushielten. Die empört gingen, als sich in der nächsten Szene die quälende Zumutung steigerte, indem unter den Sprüchen der aufgeklärten Politikerkaste über unsere gemeinsame Wertegemeinschaft Eimerweise reales Waterboarding über den Schauspieler Pätzold gegossen wurde. Tatsächlich kamen zwei Frauen aus dem Publikum auf die Bühne und nahmen die Wassereimer weg. Das war nicht inszeniert, hinterließ trotzdem kein gutes Gefühl. Wie überhaupt ständig Assoziationen provoziert wurden. An die Troika in Griechenland. An die EU-Politik zwischen armen und reichen Ländern. An die NSU-Morde per Kopfschuss. An die saturierte "westliche" Gesellschaft, die ihre Geschichte nicht loswird. Das (Theater-)Blut blieb symbolisch die ganze Zeit in den Gesichtern kleben. Und die "gekaufte Braut" Bosnien, der Balkan, missbraucht, vergewaltigt im weißen Hochzeitskleid, wurde von den drei Anzug-Herren in die deutsche Fahne gewickelt zu Grabe getragen. Das tat richtig weh. Wie angekündigt: mit Gewalt provoziert. Was daran noch Theater ist? Genau das. Politisches Theater.