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Reibender Regen

Durch aufsteigende warme Luft wird Wasser in den Himmel transportiert, das später wieder auf die Erde regnet. Da der Luftwiderstand die fallenden Tropfen abbremst, kostet Regen die Erde aber viel Energie - und damit auch Wind.

Von Volker Mrasek | 27.02.2012
    Ruhezeiten kennt sie nicht. In der Erdatmosphäre ist ständig Bewegung, weil die Sonne bodennahe Luftschichten erwärmt:

    "Warme Luft ist leichter und steigt auf, kalte sinkt ab. Dadurch wird kinetische Energie erzeugt."

    Olivier Pauluis kann auch sagen, was die Atmosphäre mit dieser Bewegungsenergie anfängt. Der belgische Mathematiker arbeitet an der New York University in den USA, im Zentrum für Atmosphären- und Ozeanforschung:

    "Diese kinetische Energie wird zum einen genutzt, um Wind zu erzeugen und die Luftzirkulation anzutreiben. Und zum anderen, um Wasser nach oben zu befördern, aus dem Regentropfen entstehen. Das ist es, was die Atmosphäre mit der Energie anstellt."

    Am Ende verliert sich die kinetische Energie wieder. Sie dissipiert, wie man auch sagt. Das geschieht durch Reibungskräfte auf molekularer Ebene, die die Energie in Wärme umwandeln. Stürme werden so allmählich abgeschwächt und lösen sich irgendwann in laue Lüftchen auf; außerdem wird Energie verbraucht, wenn Regen fällt und der Luftwiderstand die Tropfen stark abbremst.

    Durch Niederschläge gehen der Atmosphäre dabei erstaunlich große Mengen Bewegungsenergie verloren. Zu diesem Ergebnis kommt Olivier Pauluis in seiner neuen Studie. Zusammen mit einer US-Kollegin wertete er Messdaten eines Regenradars im Weltraum aus. An Bord eines US-Satelliten umkreiste es zehn Jahre lang die Erde und lieferte dabei globale, höhenaufgelöste Niederschlagsmuster. Daraus leitete Pauluis die Energieumsätze ab:

    "In bisherigen Studien ging es vor allem um die Dissipation von Energie durch Wind, wenn er sich abschwächt. In unserer Arbeit haben wir jetzt auch den Effekt durch den Niederschlag abgeschätzt, auf Basis der Satellitendaten. Wir kommen dabei auf einen Durchschnittswert von knapp zwei Watt pro Quadratmeter. Das liegt in der gleichen Größenordnung wie die Dissipation durch den Wind. Daraus kann man ableiten, dass die Atmosphäre offenbar genau so viel Energie für Niederschläge verbraucht wie für die Erzeugung von Wind."

    Ein solch hoher Wert für den Niederschlag sei erstaunlich. So kommentiert Dargan Frierson die Studie seiner Fachkollegen. Er ist Atmosphärenforscher an der Universität von Washington in Seattle:

    "Das Ergebnis ist deshalb so verblüffend, weil so wenig Regen und Eis in der Atmosphäre vorkommt. Selbst Wasserdampf macht nur rund ein Prozent der Gesamtmasse der Atmosphäre aus. Der Anteil von Niederschlag ist noch viel, viel geringer."

    Studienautor Pauluis erklärt das Phänomen damit, dass die Bremskraft durch Reibung bei einem kleinen Regentropfen viel wirkungsvoller sei als bei einer großräumigen Luftströmung. Das könne man auch an der äußerst niedrigen Fallgeschwindigkeit von Regentropfen ablesen. Sie liege gerade mal bei einigen Metern pro Sekunde.

    "Wenn es keinen Luftwiderstand und keine Reibung gäbe, dann würde ein Regentropfen mit einer viel größeren Geschwindigkeit von mehreren hundert Metern pro Sekunde fallen – also äußert schnell."

    Nach Klimasimulationen ist davon auszugehen, dass Niederschläge insgesamt zunehmen, wenn die globale Erwärmung weiter fortschreitet. Außerdem soll das Höhenniveau steigen, bei dem Wasserdampf zu Regentropfen kondensiert. Was bedeutet, dass sie dann auch tiefer fallen können, so dass der Atmosphäre noch mehr kinetische Energie durch regenbedingte Reibungseffekte verloren geht.

    In der neuen Studie wirft Olivier Pauluis die Frage auf, ob sich dadurch in Zukunft vielleicht Stürme abschwächen:

    "Wenn man sich Regen in seiner Wirkung wie eine Bremse für die Luftzirkulation vorstellt, dann könnte es sein, dass der Atmosphäre künftig weniger Energie für die Erzeugung von Winden zur Verfügung steht. Aber in unserer Studie ist das nur ein allgemeiner Effekt. Man kann daraus nicht ableiten, dass bestimmte regionale Wettersysteme schwächer werden."

    Damit meint der New Yorker Forscher zum Beispiel Hurrikanes. Es wäre zwar schön, wenn sie harmloser würden. Doch ob eine stärkere Energie-Dissipation durch Regen die Tropenstürme wirklich zügeln könne, sei ungewiss.

    Pauluis will der Sache aber noch genauer auf den Grund gehen. Es gibt nämlich weitere Beobachtungsdaten aus dem All. Der nächste US-Satellit mit einem Regen-Radar an Bord ist bereits im Orbit unterwegs.