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Reich und schön

Der Ruf der so genannten Kö in Düsseldorf als Straße der gutbetuchten Bürger ist ein wohlbekanntes Klischee. Vorurteil oder Realität? Die Einschätzung des exquisiten Boulevards hängt wohl vom persönlichen und insbesondere auch vom finanziellen Hintergrund ab. Aber nicht nur das heutige Erscheinungsbild, sondern auch die Vergangenheit der Königsallee ist eine Geschichte von Reichtum und Schönheit.

Von Astrid Weisser | 28.10.2007
    "Die Königsallee ist eine der schönsten Straßen der Welt! Sie ist wunderbar zum einkaufen geeignet, die Preise sind auch in Ordnung. Vorzugsweise besuche ich die Geschäfte Gucci, Prada, Burberry und Cartier, denn dort gibt es die schönsten Sachen! Es ist schön mit ein paar Freundinnen einfach im tollen Ambiente in den Läden ein Glas Champagner zu trinken und zu Shoppen!"

    "Für mich als Otto - Normalverbraucher war es sehr schwer, einen netten Einkaufsbummel zu machen. Überall Nobel-Boutiquen und teure Restaurants. Ich hatte mir von meinem Ausflug in die Metropole wesentlich mehr erhofft. Was mich noch völlig fertig macht in Düsseldorf ist die Straßenführung. Die ist wirklich zum Verzweifeln."

    "Mit dem Auto bogen wir auf die Kö um dort einen Parkplatz zu finden, was sehr schwer ist. Wir fuhren die Straße entlang und überall neben uns fast nur Porsche, Mercedes, Bentley und BMW, ab und zu auch ein paar normale Autos. Man kann die Kö nur im Schritttempo runterfahren da jeder einen Parkplatz sucht und sich Stau bildet. So kann man während der Suche nach dem Parkplatz super die Leute auf der Straße beobachten. Überall Frauen im Pelzmantel mit ihren Männern, viele kleine Schoßhunde und ein Luxusladen neben dem anderen."

    Nur wenige Orte dieser Welt vermögen derart gegensätzliche Urteile zu provozieren. Das zeigen die Auszüge aus diversen Internetforen deutlich. Die berühmteste Einkaufs- und Modestraße der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalen lebt mit und vor allem durch die ihr entgegengebrachten Vorurteile.
    Einig ist man sich allerdings darin, dass die Königsallee - oder kurz die Kö - etwas Außergewöhnliches ist. In den Geschäften gibt es zum Beispiel einen Empfangstresen hinter dem sich schick gemachte Angestellte tummeln und dem kaufwilligen Kunden mit Fürsorge überschütten. Nicht selten wird die kostbare Ware von Türstehern mit schwarzen Anzügen und dunklen Sonnenbrillen vor flinken Fingern beschützt. Die Einkaufstüten sind klein, der Inhalt edel. Hier werden noch Pelze offen zur Schau gestellt; glitzernde Schmuckstücke und grelle Modeaccessoires gehören zum alltäglichen Bild. Die Kö ist ein Symbol für die schönen Dinge dieser Welt.

    "Man geht einfach gerne darauf, egal wir groß das Portemonnaie ist, sondern man erfreut sich an den schönen Dingen. Einmal an der Anlage, aber auch an den schönen Dingen die man sehen kann in den Fenstern, in den Geschäften. Natürlich auch an der Gastronomie, die hier ja auch zahlreich vorhanden ist, und an vielen anderen Dingen. Ich denke, man geht auf die Königsallee nicht unbedingt weil man muss sondern einfach weil man es gerne macht und weil man sich eben an den schönen Dingen erfreuen kann."

    Meint auch Claus Franzen, Inhaber des Porzellanhauses Franzen und Vorsitzender der Interessengemeinschaft Königsallee. Sein Geschäft weist eine lange Familientradition auf und ist eng mit der Königsallee verbunden. Für ihn ist es besonders die Vielseitigkeit, die die Kö zu etwas Besonderem macht.

    "Natürlich hat die Kö in erster Linie den Ruf als Einkaufsstrasse, auch als Modestrasse, was sicherlich auch richtig ist, aber wenn man mal ein bisschen genauer schaut, sieht man die Vielfalt des Dienstleistungsangebotes, die auch darüber hinausgeht. Wir haben viel Gastronomie und sehr gute Gastronomie, wir haben Nachtclubs, wir haben Fitnessclubs, wir haben eine Menge an Ärzten, an anderen Dienstleistern, Anwälten, was auch immer, die auch sehr gerne hier sind. Also wir haben schon ein sehr breites Dienstleistungsangebot."

    Kaufen kann man auf der Düsseldorfer Kö beinahe alles - auch ein Stückchen heile Welt. Die Reichen und Schönen tummeln sich hier ebenso wie die neugierigen Touristen und die vielen Geschäftsleute. Ein buntes, exquisites Treiben vor einer herrlichen Kulisse. Hier verdichtet sich der Rhythmus einer Stadt zur Selbstdarstellung. Inszenierungen ganz ohne Drehbuch geschehen ständig. Die Kö ist wie eine Bühne auf der die flanierenden Menschen mal Publikum, mal Darsteller sind.

    Eben diese Kulisse ist es nach Meinung des Stadtarchivars Dr. Benedikt Mauer, die die Kö zu einem wirklichen Erlebnis werden lässt.

    "Die Kö ist von seinem Publikum her nicht allein das Reiche-Leute-Pflaster, wie man häufig vermutet. Auf der Kö sieht man alle, nicht nur diejenigen die dort einkaufen wollen, sondern auch diejenigen die einfach dort gucken wollen, die das Flair genießen möchten. Und bei einem Düsseldorf Besuch geht man einfach mal die Kö rauf und runter. Vielleicht nicht vom Anfang bis zum Ende, weil sie ist ja nun nicht gerade kurz, aber die Kö wird eigentlich von fast allen Düsseldorfern und sowieso von den Auswärtigen sehr stark frequentiert. Was ja auch die Besucherzahlen aussagen: Wenn man sich überlegt dass dort bis zu 100.000 Menschen täglich entlang flanieren - das hat nicht jede Straße in Deutschland. "

    Atmo 4: Fußgängerzone

    Das Natur- und Denkmalerlebnis lässt sich nicht leugnen. Trotzdem: Der Beigeschmack des präsentierten Wohlstandes bleibt. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die dichte Anwesenheit von Banken. Die Westseite des Boulevards wird von den beeindruckenden Gebäuden dominiert. Das dort verwahrte Geld kann dann auf der Ostseite ausgegeben werden; hier findet sich der Einzelhandel mit seinen exquisiten Boutiquen.

    Und selbst die Historie der Straße ist eine Geschichte von Reichtum und Schönheit.

    "Die Kö war von Beginn an, als die eigentliche Bebauung auch einsetzte, ein Wohngebiet des gehobenen Bürgertums und wurde dann später zur Einkaufsmeile des gehobenen Bürgertums. Sie hat schon immer eine gewisse Exklusivität gehabt. Das liegt ganz klar an ihrem Äußeren dass bis heute durch diesen Kanal geprägt wird. Das bringt eine gewisse Noblesse in die Königsallee. Es fahren zwar heute immer noch Autos drüber, es ist ja keine Fußgängerzone, aber sie hat durch die schattenspendenden Bäume und das Wasser in der Mitte was sehr beruhigendes, exquisites. Wenn man sich vorstellt, dass da nur eine Allee mit ein paar Baumreihen stünde, dann würde das noch lange nicht das Flair haben, das man heute noch verspürt."

    Die schönen Leute sind ebenso eine Sehenswürdigkeit wie der 580 Meter lange und 32 Meter breite Stadtgraben, in dem echtes Düssel-Wasser fließt. Die grüne Böschung wird von gewaltigen Kastanien und Platanen flankiert. Einladende Bänke warten darauf, müden Beinen eine Pause zu verschaffen. Hier duftet es nach Natur, nicht nach der großen weiten Welt. Die Hektik lässt sich mühelos abstreifen - nur die Enten und Schwäne schnattern aufgeregt um die Besucher herum.

    Dass Die Kö jemals etwas anderes war als eine prunkvolle Straße, ist kaum mehr vorstellbar. Benedikt Mauer erinnert sich an eine Geschichte, in der nicht der Kampf um das beste Schnäppchen und die neuste Mode, sondern wirkliche, blutige Kämpfe eine Rolle spielten.

    "In der Folge der so genannten Koalitionskriege wurden Frankreich im Frieden von Lunneville die linksrheinischen Gebiete zugesprochen; sie gehörten bis zum Wiener Kongreß zum französischen Staatsgebiet. Die Franzosen verlangten zudem erfolgreich die Schleifung der Festungsanlagen u.a. der rechtsrheinisch gelegenen Düsseldorfs. Die Sprengung der wichtigsten Festungsbereiche im Süden, Osten und Norden der Stadt dauerte von Mai bis Juni 1801. Übrig blieb ein Trümmergelände, dem ein neues Gesicht zu geben war."

    Dieses "neue Gesicht" sollte das einer Allee werden. Weniger die Schönheit als vielmehr die praktische Möglichkeit, die Eintreibung von Zöllen bei der Ein- und Ausfuhr zu gewährleisten, standen bei den Überlegungen im Mittelpunkt. Dies, so dachten sich die damaligen Bauherren, ginge am besten mit Hilfe einer breiten Straße und mit Wasser gefüllten Gräben. Drei Meister ihres Faches legten Hand an: Hofbaumeister Caspar Anton Huschberger, Gartenbaumeister Maximilian Friedrich Weyhe und Wasserbaumeister Wilhelm Gottlieb Bauer. Sie lenkten einen Arm der Düssel so um, dass der den Kanal speisende Neptunbrunnen sein Wasser aus dem Fluss bezieht, der der Stadt ihren Namen gab. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Seit 1994 ist die Kö sogar als Gesamtanlage in die Denkmalliste eingetragen.

    Die Kö verdankt ihren Namen einem weder sympathischen noch eleganten Zwischenfall. Aus der Kastanien- wurde als Entschuldigung die Königsallee, weil sich die Düsseldorfer - ja so kann man es sagen - daneben benommen haben. König Friedrich-Wilhelm IV besuchte 1848 seinen Vetter Prinz Friedrich von Preußen in Düsseldorf. Die Stimmung innerhalb der Stadt war nicht gerade preußenfreundlich; wir befinden uns schließlich im Jahr der so genannten 48er Revolution. Auf der Kastanienallee soll der König unter Gejohle zahlreicher Schaulustiger mit Pferdeäpfeln beworfen worden sein. Nach seiner Abreise kam es außerdem zu Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und der Bevölkerung, die vier Menschen das Leben kosteten. In historischen Augenzeugenberichten heißt es über diesen Zwischenfall:

    Mit Pfeifen und Brüllen wurde der König von einer großen Menge begrüßt, aus der Kastanienallee wurde er und der neben ihm sitzende Prinz Friedrich von einem Buben, der an den Wagen heran sprang, sogar mit Kot geworfen. [ ... ] Der Prinz erhob sich im Wagen und entfernte von dem Anzuge des Königs den darauf haftenden Schmutz. Der empörende Auftritt erregte bei jedem ordentlichen Menschen, selbst den republikanisch gesinnten, den gerechtesten Abscheu.

    Schon immer, so scheint es, scheiden sich die Geister an der Kö. Ein Schicksal, dass sich wohl alle Prunkstrassen dieser Welt teilen. Im hektischen Alltag verliert sich die Realität im schicken Zeitgeist der Moderne. Gegensätze und Widersprüche stellt die Kö auf charmante Weise zur Schau. Sie lehrt uns so, dass selbst die schönen Dinge dieser Welt eine Kehrseite haben.

    "Bei mir ist im Moment nur der Gegensatz. Ich versuch nur, oben zu bleiben, nicht unterzugehen, das ist alles. Die anderen Leute, die hier so verkehren, sag ich mal, das sind entweder die die davon träumen, sich das leisten zu können, die Sachen hier einzukaufen, und beim schönen Wetter ein bisschen rumschlendern, oder eben die Leute die es haben, die sich das leisten zu können hier einzukaufen. Die genießen halt das Flair und alles was hier rum ist. "

    Verloren und irgendwie nicht ins Gesamtbild passend steht der junger Mann auf der Kö und versucht, den vorbeieilenden Menschen eine Zeitung zu verkaufen. Er ist Obdachlos, seinen Namen möchte er nicht nennen.

    "Hier zum Beispiel, jeden den du hier siehst, hat nen Handy, also ist am Telefonieren hier, der hier langgeht, endlos. Und wenn das hier wieder wärmer wird, dann geht das hier los: Bauchfrei uns so, dann Präsentation eben."

    Auch Taxifahrer Benno kann das vornehme Treiben nicht beeindrucken. Täglich pendelt er mehrfach zwischen Kö, Flughafen und Bahnhof hin und her. Für ihn hat das alles nichts mit dem wirklichen Leben zu tun.

    "Die einen, die hier spazieren gehen, die gehen halt spazieren. Aber die anderen, das sind halt reiche Leute. Im Sommer sind ja hier die Terrassen aufgebaut, ja, dann sitzen die da und ist teuer, wenn man dann hier was bestellt, was zu trinken oder was zu essen. 14, 16 Euro für ein kleines Mittagessen und so Sachen. "

    Ja, die Königsallee könnte uns wohl viel erzählen, über das Leben der Reichen und Schönen, über ihre Ängste und ihre Freuden. Sie könnte berichten von den neidvollen Wünschen derjenigen, die etwas anderes sein wollen als sie sind. Von den Hungrigen, die den Wohlstand mit gierigem Blick betrachten. Doch all der Prunk lehrt uns nichts anderes, als dass wir schätzen sollten, wer und was wir sind.