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Reihe: 20 Themen - 20 Köpfe
"Publikationen in der Wissenschaft sollen frei verfügbar sein"

Open Access, also den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Aufsätzen, hält Frank Scholze vom KIT Karlsruhe für eine gute Sache. Die Kosten für das Publizieren müssten Teil der Forschungskosten sein, sagte er im Dlf. Doch massive wirtschaftliche Interessen im Publikationssystem behinderten diese Idee.

Gastmoderator Günter Ziegler im Gespräch mit Frank Scholze | 12.04.2018
    Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz.
    Bibliotheken wie diese in Görlitz bekommen Konkurrenz durch Datenbanken im Internet (imago/imagebroker)
    Günter Ziegler: Wir machen Forschung, das ist kompliziert. Wir schreiben auf, wir setzen eigentlich selber - das ist inzwischen Standard in der Wissenschaft. Dann wird der Aufsatz bei einem Verlag, also bei der Zeitschrift, eingereicht. Er wird begutachtet, es geht über mehrere Runden, vielleicht auch verbessert und korrigiert, und am Ende angenommen. Und dann wird der Aufsatz veröffentlicht. Das heißt, der Verlag setzt sein Logo drauf, es wird endformatiert und der Aufsatz landet auf der Webseite und der Datenbank des Verlages. Aber frei zugänglich ist er dann eben nicht, sondern wer an die Aufsätze rankommen will, muss bezahlen. Entweder 45 Euro für den einzelnen Aufsatz oder die Zeitschrift abonnieren oder gleich ein ganzes Bündel Zeitschriften vom Verlag kaufen.
    Aufsätze sind wichtig für die Forschung, das ist die Währung der Wissenschaft. Die Reputation eines Wissenschaftlers hängt davon ab, dass die Aufsätze da sind und in guten Zeitschriften publiziert sind, sind also wichtig für uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die sind auch wichtig für die Verlage, weil die sehr, sehr viel Geld damit verdienen.
    Der Anspruch müsste in den modernen Zeiten eigentlich Open Access sein. Open Access heißt offener Zugang. Das heißt, wir reden über steuerfinanzierte Forschung. Mein Gehalt zahlt ja auch der Steuerzahler. Also hat der Steuerzahler eigentlich auch Recht, umsonst an die Ergebnisse meiner Forschung ranzukommen. Die Idee ist alt, ist unter anderem in der Berliner Erklärung von 2003 propagiert worden, dass steuerfinanzierte Forschung am Ende frei zugänglich sein muss. Die Idee ist wunderbar. Die ist auch richtig. Aber sie ist bisher nicht so richtig vorangekommen. Für uns hat Thomas Wagner an der Uni Konstanz rumgefragt, was denn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von dem Open-Access-Zugang halten.
    Mein Name ist Wolfgang Spohn, und ich bin seit 1996 Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Konstanz. Publizieren ist das A und O des wissenschaftlichen Geschäfts. Sowohl für den Berufungserfolg wie auch für die weitere Anerkennung zählt eigentlich nur, wie hoch anerkannt diese Schriften sind. Die höherwertigen Aufsätze sind Fachzeitschriften. Also Open Access, gut, das ist erstens ein sehr wünschenswerter Zustand. Da gibt es verschiedene Wege zu dem Open Access. Die großen Verlage, wenn ich jetzt einen Aufsatz bei einer Zeitschrift einreiche, der wird dort akzeptiert, dann fragen die mich: Soll der Open Access oder soll der regulär veröffentlicht werden? Wenn er Open Access veröffentlicht wird, dann verlangen die eine Gebühr. Ich muss meinen Aufsatz sozusagen freikaufen. Und die Gebühr ist erheblich. Die kostet um die 2.000 Euro.

    Ich bin George Walkden, ich bin Professor für englische Sprachwissenschaft und allgemeine Sprachwissenschaft an der Uni Konstanz. Ich trage im Moment ein tolles T-Shirt: "Ich liebe Open Access." Warum liebe ich Open Access? Weil es einfach nötig ist in der heutigen Gesellschaft. Ich finde, es muss sein, dass Projekte, die von öffentlichen Mitteln gefördert sind, dass die Ergebnisse öffentlich verfügbar sind.
    Ziegler: Mein Gesprächspartner ist jetzt der Bibliothekar Frank Scholze, der früher an der Universität Stuttgart war, dann zwei Jahre im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Stuttgart, und seit 2010 der Direktor der Bibliothek ist des KIT Karlsruhe, Karlsruhe Institute of Technology. Herr Scholze, zu der Idee des Open Access: Ist das eine gute Idee, wie verbreitet ist das, kommen wir da voran?
    Frank Scholze: Ja, ich glaube, dass es eine gute Idee ist. Da besteht breiter Konsens, das haben wir ja gerade auch in dem Einspieler gehört. In fast allen Wissenschaftsdisziplinen ist es inzwischen unumstritten. Es geht schneller, man erreicht ein besseres, größeres Publikum. Die Probleme, die angesprochen wurden, die kommen mit den Fragen der Qualitätssicherung und auch den Fragen, wie viel darf das alles kosten. Ich glaube, der Grundsatz ist: Es ist eine gute Sache, und es ist wissenschaftsadäquat.
    "Massive wirtschaftliche Interessen"
    Ziegler: Warum kommt es dann nicht so richtig voran? Open Access gibt’s jetzt in Konstanz, eben speziell die Situation, dass es da eine Verpflichtung von der Universität gibt, alles Open Access zur Verfügung zu stellen. Ansonsten ist die Open-Access-Bewegung ja sehr langsam vorangekommen.
    Scholze: Ja, ich glaube, das liegt daran, dass eben massive wirtschaftliche Interessen da sind. Die sind jetzt in den Fächern unterschiedlich, aber vor allem in den Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Medizin haben wir eben im wissenschaftlichen Publikationssystem die letzten 30 Jahre eine extreme Marktkonzentration beobachtet, sodass ungefähr die Hälfte des Marktes in der Hand von drei großen Konzernen ist, und dass hier ein extremer Preisdruck, eine extreme Preissteigerung da ist. In den letzten 30 Jahren ist es fünf Mal so schnell gewachsen wie der Verbraucherpreisindex, die Kosten für wissenschaftliche Zeitschriften. Das ist ein Faktor, der hier eine Rolle spielt, dass letztendlich massive wirtschaftliche Interessen da sind, die verteidigt werden, die gegen dieses Open-Access-Paradigma erstmal stehen. Weil man dort eben mit viel einfacheren Mitteln im Internet publiziert.
    Es wird zwar oft behauptet, durch das Open-Access-Publizieren könne man sich die Begutachtung kaufen. Aber das ist schlichtweg Unsinn, weil jede wissenschaftliche Zeitschrift, egal welches Geschäftsmodell sie hat, ist dran interessiert, wissenschaftliche Qualität zu produzieren, nur so kann sie nachhaltig am Markt auch existieren. Und die große Anzahl von Publikationen, die auch ständig steigt, ist letztendlich eher Ausdruck der Ausdifferenzierung der Wissenschaften,und weniger jetzt der Open-Access-Bewegung.
    Alle Publikationen sollen offen sein
    Ziegler: Ganz platt könnte man ja fragen, wenn wir es jetzt schaffen, alles ins Open Access zu kriegen, dann liegen die Veröffentlichungen alle im Internet, dann brauchen wir auch die Bibliothek nicht mehr.
    Scholze: Also, Bibliotheken sind Informations-Manager, Informations-Spezialisten. Sie haben nicht den Anspruch, sozusagen alles unter Kontrolle zu haben. Insofern haben wir hier am KIT auch nicht den Anspruch, alles in einem lokalen Repositorium zu speichern. Natürlich wollen wir als Institution wissen, was publizieren unsere Wissenschaftler? Das ist auch später für diese wirtschaftliche Diskussion wichtig, dass man weiß, welchen Wert haben diese Publikationen. Aber letztlich geht es uns darum, dass alle Publikationen offen sind, dass wir Wissenschaftler beraten, wie sie bestmöglich publizieren. Und das kann eben in unterschiedlichen Formen passieren.
    Was Herr Spohn im Einspieler sagte, dieses Freikaufen aus Subskriptions-Journalen, das ist zum Beispiel etwas, was wir am KIT und vielen anderen Universitäten überhaupt nicht unterstützen, weil wir der Meinung sind, das führt genau zu so einer Verzerrung. Nämlich zum doppelten Bezahlen, im Englischen "double dipping". Dass man einmal über die Subskriptionsgebühr diese Zeitschrift bezahlt, und dann noch einmal über diese Artikelgebühren. Also unsere Aufgabe ist letztendlich, auf solche Entwicklungen hinzuweisen und möglichst auch umzusteuern.
    "Kosten für das Publizieren sollen Teil der Forschungskosten sein"
    Ziegler: Ich meine, der Effekt ist eben auch, wenn es dann nicht Open Access publiziert wird, ist, dass Leute publizieren in Zeitschriften, wo die eigene Universitätsbibliothek dann keinen Zugang dazu kauft. Das heißt, wo ich dann sozusagen selber an meinen veröffentlichten Aufsatz nicht rankomme. Da ist dann ein Nebenthema die Frage, was ist mit so Sachen wie SciHub? Also diesem Piratenserver in der Ukraine, soweit wir wissen, wo ich eigentlich letztlich an jeden wissenschaftlichen Aufsatz rankomme, ohne zu zahlen. Ist das was, was jetzt Druck macht in Richtung auf Open Access?
    Scholze: Das ist auf jeden Fall was, was Druck erzeugt. Man kann sagen, das ist eine illegale Utopie. Nämlich letztendlich diese Utopie, dass alle Publikationen einfach und frei verfügbar sind. Aber diese Utopie ist eben auf einem illegalen Weg entstanden, indem dieser Content, diese wissenschaftlichen Zeitschriften im Wesentlichen von Verlagsplattformen illegal auf eine Plattform gebracht wurden und hier frei zur Verfügung stehen. Was wir wollen, ist letztendlich genau diese Utopie legalisieren. Das heißt wir wollen, dass alle Publikationen in der Wissenschaft auf verschiedenen Plattformen frei verfügbar sind, und dass die Autoren letztendlich zwar wissen, was der einzelne Artikel gekostet hat, aber dass das durch zentrale Strukturen bezahlt wird, so wie die Subskriptionen letztendlich auch, und dass die Kosten für das Publizieren Teil der Forschungskosten sind. Also mit Projekten und Ähnlichem schon auch abgerechnet werden.
    Ziegler: Wunderbar. Ich bedanke mich ganz herzlich bei dem Bibliotheksdirektor Frank Scholze für ein spannendes Gespräch.