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Reihe Einheitscheck
Stramme Kommunisten in Leverkusen

Im tiefsten Westen der Republik residiert mit der Karl-Liebknecht-Schule die zentrale Lehranstalt der Deutschen Kommunistischen Partei. Der Standort Leverkusen beruht auf Zufall, aber auch Tradition.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 23.10.2014
    Ein Wahlplakat der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) mit der Abbildung von Karl Marx (l-r), Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) und der Aufschrift "Unsere Krisenberater".
    Die DKP ist die Nachfolgeorganisation der 1956 verbotenen KPD. (picture alliance/dpa/Arno Burgi )
    "So, dann können wir jetzt gleich weitermachen..."
    Etwas steif steht Schulleiter Jürgen Lloyd im Studierzimmer. Angespitzte Bleistifte und dicht bedruckte Kopien mit Aufsätzen von Marx und Lenin liegen auf den Arbeitstischen. Im Hufeisen sitzen drei Frauen und 14 Männer, zum Unterricht angereist aus ganz Deutschland, aus Ost und West. Der Schulleiter nuschelt.
    Nächstes Tipp wird sein, dass wir uns mit dem eben gelesenen Text von Lenin auseinandersetzen und dem marxistischen Staatsverständnis... ok!
    Die Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen: Ausgerechnet im tiefsten Westen der Republik residiert die zentrale Lehranstalt der Deutschen Kommunistischen Partei, kurz DKP.
    "Lerne das Einfachste! Für die, deren Zeit gekommen ist, ist es nie zu spät!"
    Standort mit morbiden Charme
    Der Standort Leverkusen beruht eher auf Zufall, aber natürlich auch auf Tradition: Der Lehrbetrieb findet statt in einem sogenannten Volkshaus, von Kommunisten erbaut in den Zwanzigerjahren. Drinnen wird gepaukt zwischen verstaubten Bücherregalen mit Wälzern zur Geschichte der SED. Es wirkt alles ein bisschen morbid. Der Niedergang des Sozialismus in Osteuropa sei ein Riesenverlust, findet Jürgen Lloyd:
    "Ja! Es ist so. Ich war 89 noch Mitglied in der SPD, aber auch dort war für uns die DDR, auch wenn wir vieles kritisiert haben, immer mit der Präsenz da, dass es etwas anderes gibt. (...)Und das ist weggefallen, und allein diese Tatsache wirkt desorganisierend, frustrierend, lähmend auf große Teile."
    Bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst trat die DKP gerade noch in sechs Wahlkreisen in Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg mit Direktkandidaten an und gewann 1.699 Stimmen – zu lesen ist das im Verfassungsschutzbericht, denn die DKP wird überwacht. Da hilft nur büffeln und weitermachen – Schulleiter Jürgen Lloyd hält es mit Bert Brecht:
    "Lass es Dich nicht verdrießen, fang an, Du musst alles wissen. Du musst die Führung übernehmen! Lerne, 60-Jährige! Du musst die Führung übernehmen...!"
    An diesem sonnigen Oktobertag steht wieder mal schwere Kost auf dem Programm: "Antimonopolistische Demokratie, die Dialektik von Reform und Revolution, und die Übergänge zum Sozialismus".
    "Ein bisschen vereinfacht dargestellt – worüber diskutieren Sie hier heute?"
    Jürgen Loyd: (lacht): Wenn's einfach wäre. Ich glaube, wir haben mit dem Titel hier einen Rekord getroffen, was die Länge des Titels angeht."
    Als Student bei der Antifa
    Jürgen Lloyd. 50 Jahre alt, freundlich, aber staubtrocken. Schwer zu glauben, dass dieser vollschlanke Mann mit Halbglatze und himmelblauen Hemd als junger Student mal bei der Antifa war. Heute ist Lloyd nicht nur Pauker und Bücherwurm, sondern er will immer noch, wenn schon nicht die Welt, so doch zumindest die Gesellschaft verändern.
    "Es geht natürlich um eine Praxis. Ein Schulbetrieb und eine Aneignung von Bildung, die uns nachher dann vielleicht als etwas klügere Dummschwätzer dastehen lässt, wäre nicht das Ziel. Sondern es geht darum, dass wir uns gemeinsam verständigen darüber, wie wir Politik machen können, mit was für einer strategischen Konzeption, das ist der Inhalt. Wir sprechen nicht die großen Massen im Augenblick an. Also unser Schwerpunkt kann eben nur Bildungsarbeit sein, das, was wir uns hier theoretisch erarbeiten, dass wir das auch wiedergeben. Und es dient mir dazu, die Realität dieses Deutschlands zu überprüfen, anhand der Klassiker."
    Die Beine gemütlich hochgelegt, sitzt Elke Schürmann in der Mittagspause mit Stift und einem Haufen Papier im Schulgarten. Die pensionierte Gesamtschullehrerin aus Hamburg war so frustriert über den Mauerfall, dass sie 1989 für eine Weile aus der DKP austrat...
    "...aber hab dann festgestellt, dass ich wirklich richtig gelegen hab mit dem Ziel, diese Gesellschaft abzuschaffen. Also mir ist das präsenter geworden denn je, und da hab ich mich wieder bei den Kommunisten eingefunden. Bei dem Text, den wir jetzt hier besprechen, hab ich Sätze gefunden von Karl Marx, die hätte man auf heute anwenden können, die Rolle der Banken! Oder was Lenin sagt."
    Ungerechte Verteilung von Macht und Geld
    Elke Schürmann will nichts verändern, sondern den Kapitalismus gleich ganz abschaffen. Die ungerechte Verteilung von Macht und Geld, die Umweltzerstörung, all das macht ihr zu schaffen. Und noch heute steht ihr das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, wenn sie an den Abend des 9. November 1989 zurückdenkt:
    "Also ich hab Schabowski gehört und war entsetzt, muss ich wirklich sagen! Wie kann man so zwei so gegensätzliche Systeme sich gegenseitig ausliefern. Eine Planwirtschaft muss kaputtgehen unter den Bedingungen. Alle sind losgefahren in die DDR – ich wohnte dicht an der Grenze, und ich war gelähmt, ich konnte das gar nicht."
    Das "autoritäre Gehabe" im Bildungswesen der DDR habe sie zwar gestört, doch vieles andere verteidigen Schürmann und die anderen Seminarteilnehmer: Die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen, die Mauertoten werden mit den ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer verglichen, und der Schießbefehl...
    "Ich denke, an der DDR-Grenze herrschte genau die gleiche Gesetzlichkeit wie an allen anderen Grenzen und wenn man sich also Mexiko anguckt, oder Israel, die jetzt eine Mauer bauen... also 'nen Schießbefehl seh ich überhaupt nicht."
    Der 3. Oktober, sagt Elke Schürmann dann noch, sei für sie weiß Gott kein Grund zum Feiern. Sie hätte zwar nicht in der DDR leben können oder wollen, weil sie wohl ständig angeeckt wäre, räumt die 71-Jährige ein, aber Willy Brandt habe trotzdem völlig falsch gelegen mit seinem Satz, dass da etwas zusammenwachse.
    "Na ja, für mich gehört das nicht zusammen, für mich gehört der Kapitalismus abgeschafft, aber der Zustand unserer Partei ist natürlich nicht gerade anfeuernd. Aber ich betrachte mich als Hüterin des Feuers, und unsere Aufgabe liegt darin, das auf die heutige Zeit umzuformen und anzuwenden."
    Aufs Leben bereitet die Karl-Liebknecht-Schule nicht gerade vor, aber an der Dialektik von Praxis und Theorie wird weiter eisern-feurig gearbeitet.