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Reihe: Fachkräfte auf der Wanderschaft
Als Frau auf der Walz

Sie tragen schwarze Schlaghosen, schwarze Cordjackets, einen Hut und meist nur ein kleines Bündel Sachen: Handwerker auf der Walz. Drei Jahre dauert das Abenteuer, in das sich auch immer mehr Frauen stürzen. Eine von ihnen ist die Tischlermeisterin Johanna Röh.

Von Susanne Lettenbauer | 12.09.2019
Tischlerin Johanna Röh auf der Walz
Tischlerin Johanna Röh auf der Walz (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
"Ich bin Johanna Röh. Ich war natürlich eine Zeitlang in Europa unterwegs, aber dann in Nordamerika, in Neuseeland und in Japan ein Jahr lang. "
Sie wirkt selbstbewusst, sehr offen und gern zu einem Scherz bereit - die dunkelhaarige junge Tischlermeisterin Johanna Röh aus Osnabrück steht an diesem Tag vor ihrem selbstgebauten Rucksack aus Holz. Rucksack ist eigentlich zuviel gesagt zu dem kleinen Bündel, mit dem sie vier Jahre lang weltweit unterwegs war:
"Wir tragen ja nicht diese Rucksäcke, sondern wir wickeln das alles in diese Tücher ein und was wir tragen können, das nehmen wir mit. Denn alles was man mitnimmt, ist ja ein Luxus, den man dann halt tragen muss und wo man sich überlegt, ob man das braucht."
Reduktion auf das Nötigste
Tatsächlich brauche man nur Kleidung, sagt sie, das Werkzeug für die Arbeit erhalte man in den Tischler-Werkstätten. Reduktion auf das Nötigste, das gehört zur Tradition der Walz. Eine enorme Umstellung im Vergleich zum normalen deutschen Alltag. Den verlasse man traditionell, indem Frau über das Heimatortsschild gehoben wird, dann gehe es auf die Walz, ohne Geld und auch sonst ganz spartanisch:
"Wir telefonieren nicht, wir reisen ohne Handy, das heißt telefonieren geht nicht, man muss anklopfen. Man wird aber auch viel weitergereicht, dadurch, dass man auch viel als Anhalter unterwegs ist, bekommt man sowieso schon einen Bezug zu Leuten, die lokal irgendwo sesshaft sind und einen auch weiterreichen können."
Freemover, wie man Handwerker auf der Walz nennt, die nicht explizit ein Auslandspraktikum absolvieren oder mit dem Erasmus Plus-Programm unterwegs sind, müssen einen Tag länger als die Ausbildung dauerte, unterwegs sein, so will es die Tradition. Also drei Jahre und einen Tag.
Soziale Netzwerke? Das Posten von Fotos, mal eben WhatsAppen oder mit Kollegen telefonieren? Auf der Walz ein No-go: "Also, im Prinzip werden die Leute erst auf einen aufmerksam, wenn man vor ihnen steht."
Auf der Walz lernt man enorm viel
Johanna lernte in Kanada, dass der Umgang mit Holz sehr viel verspielter sein kann als im genormten Deutschland. In Japan faszinierte sie das Schleifen von Werkzeugen und blieb deshalb gleich ein Jahr:
"Also, was ganz besonders ist, dass sie besonders gut schärfen können und das auch viel üben, gerade im Alltag. Das ist bei uns fast gar nicht mehr der Fall. Natürlich ist es Teil vom Berufsschulunterricht und wird mal zwischendurch gemacht, aber es ist trotzdem eine ganz andere Klasse, die die da haben, auch einen super guten Stahl, und nochmal eine andere Form, die Hobel einzustellen. Damit kann man viel präziser arbeiten."
Während es in Europa durch den Dachverband der Wandergesellen C.C.E.G. recht einfach ist, während der Walz in unterschiedlichen Ländern zu arbeiten, benötigt man außerhalb Europas immer eine Arbeitserlaubnis. Ausnahme Australien: Mit dem offiziellen Wanderbuch der C.C.E.G., in dem die einzelnen Walzstationen von den Gastgebern bestätigt werden, erhält Mann beziehungsweise Frau Down Under problemlos eine einjährige Work-and-travel-Arbeitserlaubnis.
Vorurteile gibt es überall
Als Frau auf der Walz – eine spannende Erfahrung, wenn es nicht die Vorurteile männlicher Handwerker gegenüber den weiblichen Kolleginnen gäbe:
"Was ich super spannend fand, ist, dass jedes Land verschiedene Vorurteile gegenüber Frauen hat, gegen die man anschwimmen muss."
In Neuseeland zum Beispiel glaube man, dass Frauen weniger technisches Verständnis hätten, dafür aber auch die harte Arbeit erledigen können. In Kanada dagegen traut man Frauen nicht zu, schwer heben zu können, bescheinige ihnen dafür technisches Verständnis und Feinmotorik. Und in Japan würden Frauen als emotional zu instabil eingeschätzt, um einen Job wirklich langfristig durchzustehen, erzählt Johanna Röh.

"Am Ende ist es relativ, es geht ja darum, was man kann und entwickeln kann. Also, es wäre schöner, wenn man da etwas offener wird, wenn alle Menschen etwas offener mit sich selbst und anderen umgehen."
Das Gerlernte in der eigenen Werkstatt verwirklichen
Die unterschiedlichen Erfahrungen der vier Jahre auf der Walz kann die Tischlermeisterin jetzt in ihrer eigenen Werkstatt bestens gebrauchen. Ob asiatisch angehauchte Möbel, nordisches Design oder verspielte Treppenaufgänge – ohne ihre Zeit als Tippelschwester wäre das so wahrscheinlich nicht möglich.