Freitag, 29. März 2024

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Reihe: Kunst draußen
Litfaßsäule statt Galerie

In Coronazeiten wird der öffentliche Raum plötzlich zur Ausstellungsfläche. Kunst wird für alle sichtbar und erlebbar. Lange vergessene Werke werden neu betrachtet und junge Künstlerinnen und Künstler zeigen ihre Arbeiten statt auf Instagram auf jahrhundertealten Litfaßsäulen.

Von Anja Reinhardt | 02.02.2021
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Mehrere Hundert Millionen Bilder entstehen pro Tag im Netz. Hochgeladen werden sie zum Beispiel auf Plattformen wie Instagram, die mehr als eine Milliarde Nutzer hat: Bilder der Selbstdarstellung, Bilder von Landschaften, von Städten, aus dem Alltag. Die Beziehung zwischen Bild und Publikum hat sich in den letzten zwanzig Jahren wahrscheinlich so grundlegend geändert wie nie zuvor. Die Frage, mit welchen Bildern man überhaupt mehr als die übliche Aufmerksamkeit einer Klicksekunde bekommt, ist nicht so einfach zu beantworten. Zumal sich in der Pandemie fast alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens ins Netz verlagert haben.
"Was im Wesentlichen momentan alle bewegt, ist, dass sich das reale Leben in den digitalen Raum verschoben hat. Wir sitzen permanent vor einem quadratischen Bildschirm und sprechen mit einem digitalen Gegenüber. Und was dabei aber interessant ist: Dass das Internet auch ein öffentlicher Raum ist. Und das hat mich eigentlich von Beginn an interessiert. Wie kann man das Mediale öffentlich auch auf Plakaten darstellen, die im Stadtraum wiederum zu sehen sind?"
Während in Italien, Polen, Spanien die Museen zum Teil wieder geöffnet sind, bleiben sie in Deutschland nach wie vor geschlossen. Kunst kann man aber auch draußen, an der frischen Luft und ziemlich ungefährdet ansehen. Überall in Deutschland gibt es großartige oder zumindest bemerkenswerte Arbeiten, die vielleicht schon gar nicht mehr groß auffallen. Deshalb machen wir mit der losen Reihe "Kunst draußen" gelegentlich darauf aufmerksam – und erzählen die Geschichte hinter den Werken.

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Weiße Plakate vor grauem Beton

Rozbeh Asmani ist Inhaber des Lehrstuhls Neue Medien & angewandte Grafik am Caspar-David-Friedrich-Institut der Universität Greifswald. Zusammen mit seinen Studierenden hat er eine Plakataktion in Düsseldorf gestartet, die seit Ende Januar im Stadtraum der Landeshauptstadt auf Litfaßsäulen zu sehen ist: "Public Art - Litfaßsäule als Massenmedium". Dort, wo sonst Konzerte oder neue Alben angekündigt werden, ist zurzeit alles weiß; die einzelnen Plakate der Studierenden kleben dort fast wie in einem White Cube. Nur das Publikum ist ein anderes, eben ein zufälliges. Julian Quentin, der zusammen mit C. Knak Tschaikowskaja eine Fotografie mit einer tanzenden Transgender-Person vor grauem Beton zeigt, versteht das als Möglichkeit.
"Wenn man in so klassischen Ausstellungsräumen ausstellt, hat man oft ein Publikum, das schon sehr woke ist und sich sowieso schon mit ganz vielen Dingen beschäftigt hat. Und dass, wenn man im öffentlichen Raum ausstellt, dass man dann noch mal ein ganz anderes Clash-Potential vorfindet. Man wird damit konfrontiert, ganz egal, wie man die Welt gerade anschaut."
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Zerstörte Werke

Das Clash-Potential haben die Fragen, die vor allem zwischen den Generationen Verwerfungen aufzeigen: Klima, Ernährung, Gender. Letzteres haben Quentin und Tschaikowskaja zum Thema gemacht, ihre Fotografien waren vorher schon in einer Kölner Unterführung zu sehen - und wurden dort zerstört.
"Aber das zeigt ja auch, dass das eine Person ist, die sich sonst nie mit dem Thema auseinandergesetzt hätte. Wenn wir es geschafft haben, diese Person so sehr aufzustacheln und so einen krassen Prozess anzuregen, dass sie diese 9 Quadratmeter großen Plakate abgerissen hat, was ja richtig viel Arbeit ist, dann hoffen wir, dass damit irgendwas passiert sein könnte."

Digitaler Blickfang im öffentlichen Raum

Die Plakataktion ist doppeldeutig auf gleich mehreren Ebenen. Die 150 Jahre alte Litfaßsäule, als Werbemedium eigentlich eine Antiquität, wird im entvölkerten Corona-Stadtraum als Blickfang reaktiviert. Die Motive der Bilder wiederum wirken mitunter wie abfotografiert, sind aber komplett digital entstanden. Wie im Fall von Paula Finsterbuschs Arbeiten "Cliffhanger", die gummiartiges, gefaltetes Material in rosa oder schwebende Abgußtorsi in durchscheinenden Bonbonfarben zeigen.
"Gerade mit der Photogrammetrie: Das sind Aufnahmen von mir gewesen, und die habe ich eben digital bearbeitet, so dass daraus wieder eine druckbare Datei wurde, ohne mich selbst überhaupt anzufassen. Also: Ich habe ein Abbild von mir, ohne mich bewegt haben zu müssen oder irgendetwas getan haben müssen. Je länger ich mich damit beschäftige, desto klarer wird, dass die Grenzen immer mehr verschwimmen zwischen dem, was Natur ist und zwischen dem, was Technik ist."
Unser Verhältnis zur Natur ist zurzeit vor allem durch die Pandemie, aber auch schon vorher durch Klimawandel, Artensterben oder Massentierhaltung und Technikfortschritt grundlegend erschüttert. Die Plakatkunst hat sich schon immer spielerisch auf der Schwelle zwischen Werbung, Design und politischer Botschaft bewegt. Dass der öffentliche Raum zurzeit derart entschleunigt ist, dürfte die Aufmerksamkeit für dieses eher schnelle Medium deutlich erhöhen.