Vom Gerücht zur Verschwörungstheorie ist es ein logischer Schritt. Der als Liedersänger und Mitgründer des vom Staate DDR eher protegierten als unterdrückten Oktoberklubs wirkende Reinhold Andert verfolgt seit dem Verschwinden der DDR ein Ziel: die Zahl der Gerüchte energisch zu vermehren und ein paar besonders kuriose zu Theorien zu verknüpfen. Das vollbringt er in seinem neuen Buch konsequent.
"Nach dem Sturz. Gespräche mit Erich Honecker. Aufgezeichnet von Reinhold Andert" heißt das Werk. Erich Honecker kommt gelegentlich auch zu Wort. Mit ihm interviewte Andert kurz nach seinem Sturz ja schon ein Buch zusammen. Aus dem Manuskript strich der Vorsitzende Passagen heraus, die uns der vom Sänger zum Autor mutierte Resteverwerter nun präsentiert. Andert referiert, was ihm Honecker erzählt haben soll. Zum Beispiel über die Sowjetunion, von der sich die Oberen der DDR immer unterdrückt gefühlt haben.
Honecker wurde aber nicht nur von der führenden Bruderpartei gemaßregelt, auch vor seiner Frau Margot Honecker musste er sich in Acht nehmen. Sie ist sowieso am ganzen Starrsinn und der Machtwillkür in der DDR schuld. Das soll die Pointe des Buches sein. "Hinter dem Unglück der DDR steckte Margot Honecker. Jedes Mal, wenn ich die beiden zusammen erlebte, entstand der Verdacht, dass Margot Honecker in der DDR das eigentliche Sagen gehabt haben muss."
Das kollidiert mit den Beobachtungen zur Führungsmacht Sowjetunion an anderen Stellen. Überhaupt widersprechen sich Aussagen ständig. Andert lässt sich dadurch nicht beirren und palavert munter weiter. Steckt hinter allem doch die Frau Breshnews?
Reinhold Andert verfasste ein Buch, das zu keiner journalistischen Form findet und auch nicht finden will. Zwischen Traktat und Klatschgeschichte räsoniert er. Immer wieder den Zeigefinger erhebend, um kleine Schnellkurse in DDR-Geschichte einzuschieben. Fakten und Gerüchte werden unbekümmert gemixt. Der belehrende, besserwisserische Ton würde natürlich jeden Leser auf Dauer vergraulen. Andert möchte aber gelesen und gekauft werden, alle seine nach 1990 verfassten Bücher sind auf Wirksamkeit kalkuliert - wenn auch eher auf die schwindenden Massen der an der DDR-Machtausübung Beteiligten. Oder jene, die die Partei irgendwann nicht mehr mitmachen lassen wollte und die deshalb bis heute beleidigt sind. Wie der ehemalige Liedersänger Andert, der in den achtziger Jahren fast nicht mehr auftreten durfte.
Dieser Autor senkt also gelegentlich den Zeigefinger zu einer anzüglichen Geste und bietet Klatsch pur. Wenn er zum Beispiel von einem Verführungsversuch einer ehrgeizigen Frau im Schwimmbad vom Regierungsghetto Wandlitz zu berichten weiß. Das Objekt der Begierde - Erich Honecker - soll von solcher Annäherungsart (ein aufreizender Badeanzug) angewidert gewesen sein.
Dieser anzügliche realsozialistische Boulevard würde dem Band allein nicht die nötige Aufmerksamkeit und die benötigten Kader zuführen. Wie stellt er es an, dass die "Bunte", "Super-Illu" und die "Bild-Zeitung" gleichzeitig Vorabdrucke bringen und der MDR am Nachmittag eine halbe Stunde über Fernsehen das Veröffentlichungsereignis verkündigen lässt? Ein besonders unverschämtes Gerücht muss her. Ein passendes zu einem fälligen Jahrestag. Der 25. der Ausbürgerung Wolf Biermanns kam dem Autor da recht.
Wie lautet nun das Gerücht? Wolf Biermann habe seine Ausbürgerung mit Margot Honecker geplant und mit ihr gemeinsam inszeniert. Andert mutmaßt noch weiter. Er behauptet regelmäßige Privatkonzerte von Biermann bei der Volksbildungsministerin. Zitat: "Bei diesen Privatkonzerten mussten die Sekretärinnen immer aus dem Vorzimmer verschwinden, erzählten sie später."
Auf weiter gerüchtestimulierende Details bezüglich einer intimen Beziehung verzichtet Andert lieber doch. Auch wenn er die Attraktivität Margot Honeckers immer wieder betont. Ersparen wir uns eine psychoanalytische Betrachtung des Autors an diesem Punkt. Gerade weil Wolf Biermann an Frauen durchaus interessiert war, ist die Vorstellung Biermann/Honecker ohnehin lächerlich. Andert entwirft das Szenario einer innigen persönlichen Beziehung zwischen den beiden. Sie hätten in Hamburg während des Krieges zusammen gelebt. Schon das ist falsch. Wolf Biermann dazu kürzlich: "Meine Oma Meume hat Margot Honecker während der Nazizeit geholfen. Leider habe ich nie erfahren, wie das konkret war. Sie kannten sich über Honeckers Vater, einen Rotfront-Häuptling aus Halle. Mein Großvater und er waren ein Herz und ein Parteiabzeichen. Ernst Thälmann ging bei uns aus und ein."
Das ist der von anderen bestätigte politische Hintergrund. Andert bastelt eine wirre Geschichte daraus, die er mit angeblich von Margot Honecker aus dem ersten Buchmanuskript herausgestrichenen Passagen zu bestätigen können meint. Zitate liefert er nicht. Dabei entlarvt Andert bei anderer Gelegenheit das Verdrängungsbedürfnis und die direkten Lügen einer Margot Honecker. Hier soll sie als glaubhafte Zeitzeugin herhalten.
Ein Zitat entblößt die Andertschen Enthüllungsqualitäten: "1958 wurde sie stellvertretende und ab 1963 Ministerin. ... Als Ministerin ... Margot Honecker hatte sie nun den nötigen Einfluss, ihren kleinen Bruder Wolf Biermann aus Hamburg in die DDR zu holen. ... Sie besorgte Wolf Biermann in der DDR einen Internatsplatz und stattete ihn mit dem Nötigsten aus."
Es ist bezeichnend, dass weder dem Verlag noch den vorab veröffentlichenden Medien auffiel, dass Biermann genau zehn Jahre zuvor in die DDR übersiedelte. 1962 begannen dagegen seine direkten politischen Probleme, die 1965 zum Verbot führen sollten. Selbst die Stasi-Überwachung wird zum Beleg der Biermann-Verschwörung: "Es standen immer zwei auffällig gekleidete Stasi-Leute in der Nähe seiner Wohnung in einem Hauseingang. Sie hatten dort nichts anderes zu tun, als für westliche Kameramänner und Fotografen zu posieren. Biermann wohnte in einem großen Mietshaus, es war ohnehin unmöglich, sich jeden Besucher zu notieren."
Es war möglich und wurde vollbracht. Und nicht nur in diesem großen Mietshaus.
Andert zeigt hier vollendete Kenntnislosigkeit über die Art und Funktionsweise von DDR-Überwachung. Es gehört zu den ungewollten Pointen dieses Buches, dass Andert selbst die Ignoranz und jene aus Verdrängungswillen stammende Dummheit vorführt, die er bei anderer Gelegenheit Margot Honecker und (seltener) Erich Honecker vorwirft. Letzterer soll Andert auf einem ihrer Spaziergänge 1990 gesagt haben: "Würde er mich vor zehn Jahren gekannt haben, hätte er mich zu seinem Nachfolger gemacht." Da gruselt es den Leser dann doch in diesem so missglückten wie erhellenden Buch. Doch der Sozialismus mit Andertschem Antlitz blieb uns immerhin erspart.
Reinhold Andert: Nach dem Sturz. Faber & Faber, Leipzig. 208 Seiten, DM 29,--
"Nach dem Sturz. Gespräche mit Erich Honecker. Aufgezeichnet von Reinhold Andert" heißt das Werk. Erich Honecker kommt gelegentlich auch zu Wort. Mit ihm interviewte Andert kurz nach seinem Sturz ja schon ein Buch zusammen. Aus dem Manuskript strich der Vorsitzende Passagen heraus, die uns der vom Sänger zum Autor mutierte Resteverwerter nun präsentiert. Andert referiert, was ihm Honecker erzählt haben soll. Zum Beispiel über die Sowjetunion, von der sich die Oberen der DDR immer unterdrückt gefühlt haben.
Honecker wurde aber nicht nur von der führenden Bruderpartei gemaßregelt, auch vor seiner Frau Margot Honecker musste er sich in Acht nehmen. Sie ist sowieso am ganzen Starrsinn und der Machtwillkür in der DDR schuld. Das soll die Pointe des Buches sein. "Hinter dem Unglück der DDR steckte Margot Honecker. Jedes Mal, wenn ich die beiden zusammen erlebte, entstand der Verdacht, dass Margot Honecker in der DDR das eigentliche Sagen gehabt haben muss."
Das kollidiert mit den Beobachtungen zur Führungsmacht Sowjetunion an anderen Stellen. Überhaupt widersprechen sich Aussagen ständig. Andert lässt sich dadurch nicht beirren und palavert munter weiter. Steckt hinter allem doch die Frau Breshnews?
Reinhold Andert verfasste ein Buch, das zu keiner journalistischen Form findet und auch nicht finden will. Zwischen Traktat und Klatschgeschichte räsoniert er. Immer wieder den Zeigefinger erhebend, um kleine Schnellkurse in DDR-Geschichte einzuschieben. Fakten und Gerüchte werden unbekümmert gemixt. Der belehrende, besserwisserische Ton würde natürlich jeden Leser auf Dauer vergraulen. Andert möchte aber gelesen und gekauft werden, alle seine nach 1990 verfassten Bücher sind auf Wirksamkeit kalkuliert - wenn auch eher auf die schwindenden Massen der an der DDR-Machtausübung Beteiligten. Oder jene, die die Partei irgendwann nicht mehr mitmachen lassen wollte und die deshalb bis heute beleidigt sind. Wie der ehemalige Liedersänger Andert, der in den achtziger Jahren fast nicht mehr auftreten durfte.
Dieser Autor senkt also gelegentlich den Zeigefinger zu einer anzüglichen Geste und bietet Klatsch pur. Wenn er zum Beispiel von einem Verführungsversuch einer ehrgeizigen Frau im Schwimmbad vom Regierungsghetto Wandlitz zu berichten weiß. Das Objekt der Begierde - Erich Honecker - soll von solcher Annäherungsart (ein aufreizender Badeanzug) angewidert gewesen sein.
Dieser anzügliche realsozialistische Boulevard würde dem Band allein nicht die nötige Aufmerksamkeit und die benötigten Kader zuführen. Wie stellt er es an, dass die "Bunte", "Super-Illu" und die "Bild-Zeitung" gleichzeitig Vorabdrucke bringen und der MDR am Nachmittag eine halbe Stunde über Fernsehen das Veröffentlichungsereignis verkündigen lässt? Ein besonders unverschämtes Gerücht muss her. Ein passendes zu einem fälligen Jahrestag. Der 25. der Ausbürgerung Wolf Biermanns kam dem Autor da recht.
Wie lautet nun das Gerücht? Wolf Biermann habe seine Ausbürgerung mit Margot Honecker geplant und mit ihr gemeinsam inszeniert. Andert mutmaßt noch weiter. Er behauptet regelmäßige Privatkonzerte von Biermann bei der Volksbildungsministerin. Zitat: "Bei diesen Privatkonzerten mussten die Sekretärinnen immer aus dem Vorzimmer verschwinden, erzählten sie später."
Auf weiter gerüchtestimulierende Details bezüglich einer intimen Beziehung verzichtet Andert lieber doch. Auch wenn er die Attraktivität Margot Honeckers immer wieder betont. Ersparen wir uns eine psychoanalytische Betrachtung des Autors an diesem Punkt. Gerade weil Wolf Biermann an Frauen durchaus interessiert war, ist die Vorstellung Biermann/Honecker ohnehin lächerlich. Andert entwirft das Szenario einer innigen persönlichen Beziehung zwischen den beiden. Sie hätten in Hamburg während des Krieges zusammen gelebt. Schon das ist falsch. Wolf Biermann dazu kürzlich: "Meine Oma Meume hat Margot Honecker während der Nazizeit geholfen. Leider habe ich nie erfahren, wie das konkret war. Sie kannten sich über Honeckers Vater, einen Rotfront-Häuptling aus Halle. Mein Großvater und er waren ein Herz und ein Parteiabzeichen. Ernst Thälmann ging bei uns aus und ein."
Das ist der von anderen bestätigte politische Hintergrund. Andert bastelt eine wirre Geschichte daraus, die er mit angeblich von Margot Honecker aus dem ersten Buchmanuskript herausgestrichenen Passagen zu bestätigen können meint. Zitate liefert er nicht. Dabei entlarvt Andert bei anderer Gelegenheit das Verdrängungsbedürfnis und die direkten Lügen einer Margot Honecker. Hier soll sie als glaubhafte Zeitzeugin herhalten.
Ein Zitat entblößt die Andertschen Enthüllungsqualitäten: "1958 wurde sie stellvertretende und ab 1963 Ministerin. ... Als Ministerin ... Margot Honecker hatte sie nun den nötigen Einfluss, ihren kleinen Bruder Wolf Biermann aus Hamburg in die DDR zu holen. ... Sie besorgte Wolf Biermann in der DDR einen Internatsplatz und stattete ihn mit dem Nötigsten aus."
Es ist bezeichnend, dass weder dem Verlag noch den vorab veröffentlichenden Medien auffiel, dass Biermann genau zehn Jahre zuvor in die DDR übersiedelte. 1962 begannen dagegen seine direkten politischen Probleme, die 1965 zum Verbot führen sollten. Selbst die Stasi-Überwachung wird zum Beleg der Biermann-Verschwörung: "Es standen immer zwei auffällig gekleidete Stasi-Leute in der Nähe seiner Wohnung in einem Hauseingang. Sie hatten dort nichts anderes zu tun, als für westliche Kameramänner und Fotografen zu posieren. Biermann wohnte in einem großen Mietshaus, es war ohnehin unmöglich, sich jeden Besucher zu notieren."
Es war möglich und wurde vollbracht. Und nicht nur in diesem großen Mietshaus.
Andert zeigt hier vollendete Kenntnislosigkeit über die Art und Funktionsweise von DDR-Überwachung. Es gehört zu den ungewollten Pointen dieses Buches, dass Andert selbst die Ignoranz und jene aus Verdrängungswillen stammende Dummheit vorführt, die er bei anderer Gelegenheit Margot Honecker und (seltener) Erich Honecker vorwirft. Letzterer soll Andert auf einem ihrer Spaziergänge 1990 gesagt haben: "Würde er mich vor zehn Jahren gekannt haben, hätte er mich zu seinem Nachfolger gemacht." Da gruselt es den Leser dann doch in diesem so missglückten wie erhellenden Buch. Doch der Sozialismus mit Andertschem Antlitz blieb uns immerhin erspart.
Reinhold Andert: Nach dem Sturz. Faber & Faber, Leipzig. 208 Seiten, DM 29,--