Dienstag, 19. März 2024

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Reise auf den Dachboden
Entdeckungen im eigenen Zuhause

Das Corona-Virus schränkt unser Leben ein. Reisen geht gar nicht mehr. Selbst Freunde und Verwandte besuchen, sollte man lieber lassen. Irgendwie ist man auf das Leben in den eigenen vier Wänden beschränkt. Aber auch da lässt sich so manches entdecken und erleben.

Von Alfried Schmitz | 29.03.2020
Babywiege in einer Abstellkammer, Dachboden eines alten Bauernhauses
Babywiege in einer Abstellkammer, Dachboden eines alten Bauernhauses, cradle in garret of old farmhouse (dpa / Frank Hoermann / Sven Simon)
Corona liegt über dem Land. Wie zähflüssiges Blei fließt es in unser Leben, in unseren Alltag und lähmt alles irgendwie. Ungewohnte Stille breitet sich aus. Der Lärm wird weniger, kaum noch Autos, kaum noch Menschen auf der Straße. Auch in mir selbst spüre ich auf einmal eine Ruhe, die ich von mir nicht kenne. Manchmal ist der Job schon ganz schön stressig!
Ich schleiche durchs Haus, als dürfe ich eigentlich gar nicht hier sein. Es ist so, als würde ich die Schule schwänzen.
Ich schaue in den Garten, öffne die Türe und höre draußen im Garten Vögel zwitschern. Die scheinen von der Corona-Krise nichts mitzubekommen. Oder etwa doch? Spüren sie, dass etwas anders ist, als gewöhnlich? Mir scheinen Sie viel aktiver als sonst um diese Uhrzeit am späten Vormittag. Oder kommt mir das nur so vor, weil ich sie besser und bewusster wahrnehme? Schön klingt das jedenfalls. So unbeschwert.
Stufe um Stufe weg von Corona
Ich schließe die Türe und gehe vom Wohnzimmer in den Flur, die Treppe hoch. Dann noch weiter nach oben, Richtung Dachboden. Irgendetwas zieht mich dort hin.
Wann waren Sie das letzte Mal auf dem Dachboden? Ich, als ich den Weihnachtsschmuck wieder nach oben gebracht und in die Kisten verstaut habe, die da oben lagern.
Jetzt ist es so, als würde ich mich Schritt für Schritt, Stufe um Stufe von der Corona-Hysterie zwei Stockwerke unter mir entfernen. Die Stimmen aus dem Radio, das fast rund um die Uhr zur Information läuft, werden leiser. Hier oben bin ich nur noch bei mir.
Von Macron zum Bello Gallico
"Nous somme en guerre!" hat Macron gesagt. "Wir befinden uns im Krieg!". Für so schlimm hält er das mit Corona. Und wahrscheinlich hat er Recht. "Bella gerant alii, tu felix Austria nube" kommt mir komischerweise in den Sinn. "Lass andere Kriege führen, Du glückliches Österreich heirate!"
Auf einmal kreisen meine Gedanken unkontrolliert durch meine Jugend, durch meine Schulzeit. Geschichtsunterricht. Irgendwo zwischen Quinta und Untertertia bin ich gelandet. Warum auch immer. Vielleicht liegt es ja auch an den alten Schulbüchern, die hier oben lagern.
"333 bei Issos Keilerei", "753 – Rom schlüpft aus dem Ei". "Hic, haec, hoc – der Lehrer hat nen Stock, is, ea id, was will er denn damit…?", "Gallia est omnis devisa in partes tres…". Ja, auch Phrasen aus dem Lateinunterricht fallen mir hier oben auf einmal wieder ein. Allerdings keine arithmetischen Formeln. In Mathe war ich einfach zu schlecht.
Mit Fünf Freunden zurück in die Jugend
Ich gehe vor dem Bücherregal in die Hocke. Ja, da sind sie alle noch, meine Kinder- und Jugendbücher. Im Sommer werde ich, so Corona will, 62 Jahre. Also sind diese Schmöker allesamt so um die 50 Jahre alt.
"Kommt ein Löwe geflogen" von Max Kruse, "Kapitän Hornblower auf allen Meeren", "Meuterei auf der Bounty…und andere Abenteuer zur See", Mark Twains Huckleberry Finn" und natürlich auch jede Menge Enid Blyton: "Rätsel um den tiefen Keller", "Rätsel um die verbotene Höhle", "Insel der Abenteuer". Bei einem Buch bleibe ich hängen, beginne zu lesen und bin auf einmal mit "Fünf Freunden auf großer Fahrt" und drifte vollends davon. Raus aus dem Alltag, raus aus der Corona-Krise, rein in meine frühe Jugend.
Was für ein herrlicher Ausflug auf den Dachboden…