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Reise in das Zwischenreich des modernen Sports

Wie weit beim Fußball der Glaube an die Macht des Magischen geht, das hat Oliver G. Becker in seinem Buch "Voodoo im Strafraum" zusammengefasst. Und weil die Zauberei nicht das Einzige ist, was den afrikanischen Fußball einzigartig macht, hat Thilo Thielke ein Buch mit dem Titel "Traumfußball" geschrieben.

Von Moritz Küpper |
    Eine Garküche in Stadionnähe? Blutige Hühnerhälse und zerriebene Affenpfoten auf der Trainerbank? Oder ein Torwart, der mit einer Handgranate gezwungen wird, den Ball ins Tor zu lassen? Solche Bilder werden die Fernsehzuschauer von der Fußball-Weltmeisterschaft aus Südafrika nicht zu sehen bekommen - sie passen auch nicht in die polierte Welt des Fußball-Weltverbandes FIFA.

    Dennoch finden sich auch solche Geschichten im afrikanischen Fußball. Zwei Journalisten, beide intime Kenner des Kontinents, haben sie im Vorfeld der ersten Fußball-Weltmeisterschaft in Afrika aufgeschrieben - und ermöglichen dem Fußballfan so Einblicke abseits der großen Stadien.

    Der Dokumentarfilmer Oliver G. Becker fokussiert sich in seinem Buch "Voodoo im Strafraum" ganz auf das Thema Fußball und Magie:

    Milchig und trüb klebt der Mond zwischen schweren, bleigrauen Wolken am Himmel, als könne er sich dort unter der Last der feuchten Hitze kaum halten.
    In bildhafter Sprache - wenn auch bisweilen ein wenig überladen - beginnt Beckers Reise über den afrikanischen Kontinent. Immer auf der Suche nach bizarren Ritualen, nach Magie, nach Zauberern, die am Spielfeldrand sitzen und den Ball ins Tor lenken sollen: Statt tagsüber zu trainieren, schleichen sich Spieler nachts auf einen Friedhof, um sich bei Feuer und Rauch auf das nächste Spiel einzustimmen. Becker hat Afrika mehrfach bereist. Sein Dokumentarfilm "Kick the Lion" über Fußball und Magie in Afrika war Teil des offiziellen Kunst- und Kulturprogramms der Bundesregierung und des DFB zur WM 2006 in Deutschland. Persönlich traf er sogenannte "witchdoctors" und "juju men" - wie die Magier genannt werden - und empfand die Recherche als eine Reise in ein - Zitat - "Zwischenreich des modernen Sports".

    Den Ausflügen in die Welt des Voodoos ist ein Kapitel über die Geschichte des Fußballs in Afrika vorangestellt. Eine gute Entscheidung, da auf diese Weise die nachfolgenden Schilderungen - die aus westlicher Sicht bisweilen skurril und unglaublich anmuten - eingeordnet werden. Wie beispielsweise das Angebot eines Mannes namens Korabatasai, dessen Wirken in westafrikanischen Ländern gefragt ist:

    Man kann mit einer Ziege, genauer gesagt: dem Kopf einer Ziege, eine magische Zeremonie vor einem Spiel durchführen. Dazu wird der Kopf der geopferten Ziege zuerst in der Sonne getrocknet und später mit einer Zauberflüssigkeit behandelt. Woraus dieses Gebräu besteht und wie es gemacht wird, brauchst Du nicht zu wissen, ich jedenfalls sage es dir nicht. Du versteckst den behandelten Ziegenkopf vor dem Spiel in deinem Haus. Wenn du dann später im Spiel aufs Tor schießt, wird der Torhüter nicht glauben, dass es der Ball ist, der rasend schnell auf ihn zufliegt. Er wird nämlich den verzauberten Ziegenkopf auf sich zufliegen sehen und ausweichen! Wenn der Ball dann im Netz liegt, ist es ein blitzsauberes Tor.
    Der Glaube an die Wirksamkeit solcher Rituale ist in Afrika tief verankert - und wird dennoch kritisch hinterfragt. In dem Buch kommen beide Seiten zu Wort - es ist angenehm, mit welcher Präzision und Neutralität sich Becker dem Thema Magie nähert: Er nimmt eben jenen Glauben der Menschen an die Rituale ernst - und ermöglicht dem Leser so, sich ein eigenes Urteil, abseits der üblichen Klischees zu bilden. Die Magie ist aus dem afrikanischen Fußball kaum wegzudenken, steht für den Autor fest - als Beleg zitiert er einen erfahrenen Sportjournalisten aus Uganda:

    Du allein wirst zwar als Torschütze genannt, es waren aber auch andere Spieler deiner Mannschaft an diesem Tor beteiligt, und ohne die Unterstützung deiner Mannschaftskameraden und die durch Rituale gütig gestimmten Geister deiner Ahnen hättest du weder diesen noch einen anderen Treffer je erzielt.
    Auch der Spiegel-Journalist Thilo Thielke beschäftigt sich in seinem Buch "Traumfußball" mit der Magie im afrikanischen Fußball. Doch schlägt er in seiner durchaus kritischen Darstellung des Kontinents einen weiteren Bogen: Er beobachtet das Scheitern des ehemaligen Bundestrainers Berti Vogts bei der nigerianischen Nationalmannschaft, besucht Liberia während des Präsidentschaftswahlkampfes des ehemaligen Fußballstars George Weah und begleitet den Aufstieg eines kenianischen Fußballteams, das als Sozialprojekt gestartet war - und nun ein Profiklub ist.

    Der ehemalige Afrika-Korrespondent, der nun aus Bangkok berichtet, hat bereits eine viel beachtete Biografie des Fußballspielers Stan Libuda verfasst - und scheint somit prädestiniert für Fußballreportagen aus Afrika. "Traumfußball" ist keine Vermarktung alter Spiegel-Artikel, sondern vielmehr eine Erzählung mitunter skurriler Erlebnisse. Wie beispielsweise eine Geschichte aus dem Bürgerkrieg geplagten Somalia, die Mohiadin Hassan, Präsident des somalischen Fußballverbandes, wohl für immer in Erinnerung bleiben wird:

    Im Oktober 1992 hatten hier, wo wir jetzt stehen, die Mannschaften von Feynus und Anzaloti gegeneinander gespielt. Ein brisantes Duell: Hinter dem einen Team stand der Warlord Ali Mahdi und hinter dem anderen Aidid. Es stand unentschieden, das Spiel plätscherte so dahin. Irgendwann in der zweiten Halbzeit rannte plötzlich ein Spieler ganz allein auf den Keeper zu. Dem Stadion stockte der Atem. Dann erhob sich ein Zuschauer, der direkt hinter dem Tor saß, er schwenkte eine Eierhandgranate und rief: Wenn du den Ball hältst, bist du tot. Dem Tormann war sein Leben lieb, er ließ den Ball passieren, die Aidid-Leute gewannen 1:0, und Ali Mahdis Team stattete dem Conis-Stadion vorerst keine Besuche mehr ab.
    Neben lebendigen Schilderungen wie dieser zeichnet sich das hochwertige Buch auch durch die beeindruckenden Bilder aus, die ihm fast den Charakter eines Bildbandes verleihen: Denn Thielke hat nicht nur Beobachtungen niedergeschrieben, sondern auch Fotos gemacht. Fotos, die opulent und mitunter über mehrere Seiten die Bedeutung des Fußballs auf dem afrikanischen Kontinent besser illustrieren, als dies Worte jemals könnten.

    Oliver G. Becker: Voodoo im Strafraum. Das Buch ist bei Beck erschienen, für 9 Euro 90 gibt es 198 Seiten. Und der zweite besprochene Titel stammt aus der Feder von Thilo Thielke: Traumfußball: Afrikanische Fußballgeschichten. Aus dem Verlag "die Werkstatt", 224 Seiten kosten 24 Euro 90, ISBN: 978-3-895-33641-6.