"Crude oil" lautet die englische Bezeichnung für Rohöl. Roh und brutal ist auch die Welt, in der Erdöl gefördert und gehandelt wird. Deshalb treffe "Crude World" – "Rohe Welt" - als englischer Originaltitel für sein Buch genau den Punkt, findet Autor Peter Maass:
"'Crude World' erschien mir eine gute Idee, um den Lesern zu vermitteln, dass unsere Welt vom Öl dominiert wird und es wirklich roh zugeht, wenn man die ökologischen, politischen und wirtschaftlichen Schäden betrachtet, die Erdöl verursacht."
Peter Maass berichtete viele Jahre für die Washington Post aus dem Ausland. Heute schreibt er für das New York Times Magazine. In seinem Buch, das auf Deutsch weit weniger feinsinnig mit "Öl – das blutige Geschäft" betitelt ist, nimmt er den Leser mit auf eine Reise in die Welt des Erdöls. Rund um den Erdball, häufig an Orte, an denen Journalisten nur selten willkommen sind. Es geht nach Saudi-Arabien und nach Texas, in den Regenwald Ecuadors, nach Äquatorialguinea und Russland, nach Bagdad und Caracas - und ins Niger-Delta, wo Shell seit über 40 Jahren in Nigeria Öl fördert und Ursache, Teil und manchmal auch Opfer eines Bürgerkriegs ist.
"Ohne das Öl könnte es hier aussehen wie in den Everglades von Florida – ein verwunschenes Labyrinth von Wasseradern mit Mangrovensümpfen und einer reichen Tierwelt. Aber hier herrscht Krieg zwischen der Regierung und lokalen Gruppen, die etwas vom Reichtum aus dem Öl abhaben wollen. Ich war im Kanu unterwegs - überall liegt ein schmieriger Film auf dem Wasser, weil das Öl ausgelaufen ist."
Im Niger-Delta sind nicht nur Wasser, Felder und Luft durch lecke Ölpipelines, Chemikalien und andere Nebenprodukte der Ölförderung vergiftet. Auch dem Zusammenleben des nigerianischen Volkes hat der Ölreichtum nicht gut getan. Der Bürgerkrieg von Biafra in den 60er-Jahren, mehrere Militärputsche, Diktatur und Korruption: In Nigeria herrscht bis heute große Armut - auch die reformorientierte demokratische Zentralregierung bekommt das Land kaum in den Griff. Mittendrin haben sich die Dependancen der großen Ölkonzerne angesiedelt als lebten sie auf einem anderen Planeten:
"Innerhalb der Anlagen der Ölunternehmen gibt es Strom, Klimaanlagen, Computer, Cafeterias, es ist alles sehr modern. Die Dörfer auf der anderen Seite des Flussufers haben nichts, keinen Strom, keine Gesundheitsversorgung, keine Schulen, die Menschen leben in Wellblechhütten. Aber nachts ist es dort trotz des fehlenden Stroms nicht dunkel, weil auf der anderen Seite des Flusses riesige Fackeln brennen, mit denen das Gas abgebrannt wird, das bei der Ölförderung entsteht."
Öl, diese Erkenntnis hat Maass bei seinen Reisen gewonnen, ist "ein gewaltförderndes Rauschmittel für das Volk, das auf dem ölhaltigen Boden [lebt] wie auch für die Ausländer, die es begehren". Maass geht in seinem Buch tief in die Historie der Ölförderung zurück. Er interviewte Manager aus der Privatwirtschaft und von Staatskonzernen, sprach mit Regierungsvertretern und Umweltschützern. Und mit denen, die für die schmutzigen Tätigkeiten in den Geschäftsbeziehungen zuständig sind. Denn für Korruption scheint die Ölbranche anfälliger zu sein als andere Wirtschaftszweige:
"In der Erdölindustrie kommt es nicht darauf an, ein gutes Auto herzustellen, das die Kunden überzeugt, sondern darauf, sich die Förderlizenzen zu sichern, die die Regierungen vergeben. Es geht um sehr viel Geld und es herrscht ein enormer Druck, den Zuschlag zu ergattern. So etwas lässt sich beschleunigen, indem man versucht, Leute zu bestechen."
Erdöl steht zudem für sehr viel Macht, eine Macht, der auch die Justiz häufig nicht viel entgegenzusetzen weiß, schreibt Peter Maass:
"Ölkonzerne können es sich leisten, endlos in Revision zu gehen. Im Jahr 1994 drohte Exxon wegen der Havarie der Exxon Valdez von einem Geschworenengericht in Alaska zu einer Schadensersatzzahlung von fünf Milliarden Dollar verurteilt zu werden. Durch Berufungen wurde die Zahlung bis 2008 ausgesetzt und dann entschied der Oberste Gerichtshof, Exxon müsse ungefähr 500 Millionen Dollar zahlen. Inzwischen war aber fast jeder fünfte Kläger, der von der Ölkatastrophe betroffen war, bereits verstorben."
Anders als der deutsche Buchtitel suggeriert, prügelt Maass nicht platt auf die Ölbranche ein. Der US-Journalist hat detailliert recherchiert und er belegt seine Aussagen mit nachvollziehbaren Quellennachweisen. Er erklärt, was die großen westlichen Ölkonzerne heute in die Tiefwasser des Golf von Mexiko treibt:
"Big Oil ist nicht mehr so big, wie es einmal war, wenn wir unter Big Oil die westlichen Konzerne verstehen, die in den 70er-Jahren noch das Gros der Weltreserven kontrollierten und besaßen. Heute haben sie nur noch Zugriff auf 15 Prozent des Öls, weil Erdöl in vielen Staaten nationalisiert wurde."
Zudem machen Unternehmen aus Malaysia, Indien, aber vor allem aus China den Konzernen Konkurrenz. Peter Maass mischt sich auch in die Diskussion um den Peak Oil ein, jenen heiß umstrittenen Scheitelpunkt der Ölförderung, von dessen Datierung es abhängt, wie lange die industrialisierte Welt noch Zugriff auf ihren wichtigsten Rohstoff hat:
"Die Ölindustrie hat ein Problem: Wenn sie sagen, wir sind am Peak, dann heißt das nichts anders als: 'Wir steigen aus, es gibt keine Expansion mehr' und das ist nicht die Nachricht, die man Aktionären mitteilen will. Wenn man wirklich wissen will, wie es um die Ölreserven steht, braucht man Leute, die außerhalb der Unternehmen stehen."
Maass schreibt unterhaltsam, wechselt zwischen Reportagen und sachlichen Beschreibungen. "Blut für Öl" – so einfach ist seine Gleichung nicht. Aber er fordert, Konsequenzen aus den sozialen und ökologischen Schäden der Erdölförderung zu ziehen. Mehr Transparenz in den Geschäften, die die Ölkonzerne mit den Regierungen machen. Und: Die Industriestaaten müssen sich vom Öltropf abnabeln:
"Für jeden US-Politiker ist es heikel, sich für höhere Steuern einzusetzen, erst recht auf Benzin. Aber auch ohne einen Eingriff der Regierung wird der Ölpreis in den nächsten Jahren steigen. Die Ölunternehmen haben immer gesagt, 'wir haben die Tiefwassertechnologie, wir können überall fördern, sogar in der Arktis'. Aber nach dem Unfall im Golf von Mexiko wird das nicht so laufen und damit wird auch das Ölangebot knapper. Und wenn der Ölpreis 150 US-Dollar erreicht, dann fangen auch die US-Amerikaner an, weniger Auto zu fahren."
Peter Maass: Öl, das blutige Geschäft. Die 351 Seiten aus dem Hause Droemer gibt es für 19 Euro 95, ISBN: 978-3426275290.
"'Crude World' erschien mir eine gute Idee, um den Lesern zu vermitteln, dass unsere Welt vom Öl dominiert wird und es wirklich roh zugeht, wenn man die ökologischen, politischen und wirtschaftlichen Schäden betrachtet, die Erdöl verursacht."
Peter Maass berichtete viele Jahre für die Washington Post aus dem Ausland. Heute schreibt er für das New York Times Magazine. In seinem Buch, das auf Deutsch weit weniger feinsinnig mit "Öl – das blutige Geschäft" betitelt ist, nimmt er den Leser mit auf eine Reise in die Welt des Erdöls. Rund um den Erdball, häufig an Orte, an denen Journalisten nur selten willkommen sind. Es geht nach Saudi-Arabien und nach Texas, in den Regenwald Ecuadors, nach Äquatorialguinea und Russland, nach Bagdad und Caracas - und ins Niger-Delta, wo Shell seit über 40 Jahren in Nigeria Öl fördert und Ursache, Teil und manchmal auch Opfer eines Bürgerkriegs ist.
"Ohne das Öl könnte es hier aussehen wie in den Everglades von Florida – ein verwunschenes Labyrinth von Wasseradern mit Mangrovensümpfen und einer reichen Tierwelt. Aber hier herrscht Krieg zwischen der Regierung und lokalen Gruppen, die etwas vom Reichtum aus dem Öl abhaben wollen. Ich war im Kanu unterwegs - überall liegt ein schmieriger Film auf dem Wasser, weil das Öl ausgelaufen ist."
Im Niger-Delta sind nicht nur Wasser, Felder und Luft durch lecke Ölpipelines, Chemikalien und andere Nebenprodukte der Ölförderung vergiftet. Auch dem Zusammenleben des nigerianischen Volkes hat der Ölreichtum nicht gut getan. Der Bürgerkrieg von Biafra in den 60er-Jahren, mehrere Militärputsche, Diktatur und Korruption: In Nigeria herrscht bis heute große Armut - auch die reformorientierte demokratische Zentralregierung bekommt das Land kaum in den Griff. Mittendrin haben sich die Dependancen der großen Ölkonzerne angesiedelt als lebten sie auf einem anderen Planeten:
"Innerhalb der Anlagen der Ölunternehmen gibt es Strom, Klimaanlagen, Computer, Cafeterias, es ist alles sehr modern. Die Dörfer auf der anderen Seite des Flussufers haben nichts, keinen Strom, keine Gesundheitsversorgung, keine Schulen, die Menschen leben in Wellblechhütten. Aber nachts ist es dort trotz des fehlenden Stroms nicht dunkel, weil auf der anderen Seite des Flusses riesige Fackeln brennen, mit denen das Gas abgebrannt wird, das bei der Ölförderung entsteht."
Öl, diese Erkenntnis hat Maass bei seinen Reisen gewonnen, ist "ein gewaltförderndes Rauschmittel für das Volk, das auf dem ölhaltigen Boden [lebt] wie auch für die Ausländer, die es begehren". Maass geht in seinem Buch tief in die Historie der Ölförderung zurück. Er interviewte Manager aus der Privatwirtschaft und von Staatskonzernen, sprach mit Regierungsvertretern und Umweltschützern. Und mit denen, die für die schmutzigen Tätigkeiten in den Geschäftsbeziehungen zuständig sind. Denn für Korruption scheint die Ölbranche anfälliger zu sein als andere Wirtschaftszweige:
"In der Erdölindustrie kommt es nicht darauf an, ein gutes Auto herzustellen, das die Kunden überzeugt, sondern darauf, sich die Förderlizenzen zu sichern, die die Regierungen vergeben. Es geht um sehr viel Geld und es herrscht ein enormer Druck, den Zuschlag zu ergattern. So etwas lässt sich beschleunigen, indem man versucht, Leute zu bestechen."
Erdöl steht zudem für sehr viel Macht, eine Macht, der auch die Justiz häufig nicht viel entgegenzusetzen weiß, schreibt Peter Maass:
"Ölkonzerne können es sich leisten, endlos in Revision zu gehen. Im Jahr 1994 drohte Exxon wegen der Havarie der Exxon Valdez von einem Geschworenengericht in Alaska zu einer Schadensersatzzahlung von fünf Milliarden Dollar verurteilt zu werden. Durch Berufungen wurde die Zahlung bis 2008 ausgesetzt und dann entschied der Oberste Gerichtshof, Exxon müsse ungefähr 500 Millionen Dollar zahlen. Inzwischen war aber fast jeder fünfte Kläger, der von der Ölkatastrophe betroffen war, bereits verstorben."
Anders als der deutsche Buchtitel suggeriert, prügelt Maass nicht platt auf die Ölbranche ein. Der US-Journalist hat detailliert recherchiert und er belegt seine Aussagen mit nachvollziehbaren Quellennachweisen. Er erklärt, was die großen westlichen Ölkonzerne heute in die Tiefwasser des Golf von Mexiko treibt:
"Big Oil ist nicht mehr so big, wie es einmal war, wenn wir unter Big Oil die westlichen Konzerne verstehen, die in den 70er-Jahren noch das Gros der Weltreserven kontrollierten und besaßen. Heute haben sie nur noch Zugriff auf 15 Prozent des Öls, weil Erdöl in vielen Staaten nationalisiert wurde."
Zudem machen Unternehmen aus Malaysia, Indien, aber vor allem aus China den Konzernen Konkurrenz. Peter Maass mischt sich auch in die Diskussion um den Peak Oil ein, jenen heiß umstrittenen Scheitelpunkt der Ölförderung, von dessen Datierung es abhängt, wie lange die industrialisierte Welt noch Zugriff auf ihren wichtigsten Rohstoff hat:
"Die Ölindustrie hat ein Problem: Wenn sie sagen, wir sind am Peak, dann heißt das nichts anders als: 'Wir steigen aus, es gibt keine Expansion mehr' und das ist nicht die Nachricht, die man Aktionären mitteilen will. Wenn man wirklich wissen will, wie es um die Ölreserven steht, braucht man Leute, die außerhalb der Unternehmen stehen."
Maass schreibt unterhaltsam, wechselt zwischen Reportagen und sachlichen Beschreibungen. "Blut für Öl" – so einfach ist seine Gleichung nicht. Aber er fordert, Konsequenzen aus den sozialen und ökologischen Schäden der Erdölförderung zu ziehen. Mehr Transparenz in den Geschäften, die die Ölkonzerne mit den Regierungen machen. Und: Die Industriestaaten müssen sich vom Öltropf abnabeln:
"Für jeden US-Politiker ist es heikel, sich für höhere Steuern einzusetzen, erst recht auf Benzin. Aber auch ohne einen Eingriff der Regierung wird der Ölpreis in den nächsten Jahren steigen. Die Ölunternehmen haben immer gesagt, 'wir haben die Tiefwassertechnologie, wir können überall fördern, sogar in der Arktis'. Aber nach dem Unfall im Golf von Mexiko wird das nicht so laufen und damit wird auch das Ölangebot knapper. Und wenn der Ölpreis 150 US-Dollar erreicht, dann fangen auch die US-Amerikaner an, weniger Auto zu fahren."
Peter Maass: Öl, das blutige Geschäft. Die 351 Seiten aus dem Hause Droemer gibt es für 19 Euro 95, ISBN: 978-3426275290.