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Reise zum guten Ton

Im sächsischen Vogtland entwickelte sich im sogenannten Musikwinkel über Jahrhunderte eine boomende Exportwirtschaft. Um 1900 wurden in dieser Gegend etwa 80 Prozent aller weltweit gespielten Orchesterinstrumente hergestellt. Das hat sich längst verändert, doch die Tradition besteht weiter.

Von Dieter Wulf |
    "Hinter dem Berg auf der anderen Seite in Richtung Süden da beginnt eigentlich schon die heutige Tschechische Republik, Tschechien oder früher Böhmen, es war im Prinzip das alte K&K Gebilde Österreich Ungarn."

    Erklärt mir Enrico Weller, am Stadtrand von Markneukirchen. Das Städtchen liegt im westlichsten Zipfel von Sachsen, nur wenige Kilometer von der ehemals innerdeutschen Grenze zu Bayern entfernt. Enrico Weller ist Musiklehrer hier am Gymnasium, und leitet das Stadtorchester. Und ist damit wohl der perfekte Stadtführer, denn alles hier hat seit Jahrhunderten mit Musik zu tun. Eine Tradition, die im 17. Jahrhunderts ganz in der Nähe im böhmischen Graslitz begann.

    "Dort in Graslitz hatte man seinerzeit einen recht prosperierenden Kupferbergbau und im Umfeld des Bergbaus das war ja doch ein sehr gewinn versprechendes wirtschaften hat sich halt auch ein Kunsthandwerk, hat sich der Instrumentenbau angesiedelt."

    Die Bergleute wie auch die ersten Geigenbauer, die sich dort angesiedelt hatten, waren Protestanten, die ursprünglich aus Sachsen gekommen waren.

    "Die waren nun im katholischen Böhmen, waren eine Zeit lang noch geduldet nach dem 30 jährigen Krieg aber dann wendete sich das Blatt und man stand vor der Wahl entweder ich wechsle die Konfession oder ich wechsle den Landesherrn und man war eben so stolz und fest im Glauben, dass man gesagt hat wir wechseln den Glauben nicht also bleiben wir beim protestantischen Glauben also gehen wir rüber nach Kursachsen."

    So kamen die ersten Instrumentenbauer über die Grenze nach Markneukirchen und gründeten 1677 eine Geigenbauerinnung. Nach und nach wurden dann auch andere Instrumente hergestellt.

    "Die Abnehmer solcher Instrumente das waren seinerzeit Kantoren, Hofmusiker, Stadtpfeifer, das war auch der Bierfiedler in irgend einer Schenke. Diese Leute die brauchten ja nicht nur Geigen. Es gab auch mal den Bedarf zunächst einen Geigenbogen zu haben, zunächst auch die Saiten auf die Geigen, also wurde in Markneukirchen angefangen Musiksaiten herzustellen, es wurde angefangen Geigenbogen herzustellen und alles das was zum damaligen Instrumentarium auch dazu gehörte, Flöte, Oboe, später Klarinette, oder Waldhorn Trompete Posaune das hat man nach und nach wenn man so will auch ins Sortiment genommen."

    Schon zur Zeit der Wiener Klassik konnte man hier in Markneukirchen ein komplettes Symphonieorchester mit Instrumenten ausstatten. Die Gegend hier im sächsischen Vogtland wurde zum Weltmarktführer im Instrumentenbau, meint Enrico Weller

    "Ich habe ne Statistik von 1874 das war kurz nach der Reichsgründung, da begann eigentlich dieser Aufschwung erst, da hat man in Markneukirchen allein 38.000 Geigen hergestellt und aus der gesamten Region kamen noch mal 120.000 Geigen hierher zu den Handelshäusern die von hier aus versandt wurden. Und diese Zahl wurde dann bis zum Beginn des ersten Weltkrieges noch mal nahezu verdoppelt, sodass man sagen kann pro Jahr eine Viertelmillion Streichinstrumente hier aus der Region."

    Um 1900 wurden hier in der Gegend mehr als die Hälfte aller auf der Welt gehandelten Musikinstrumente gefertigt, erklärt mir Frank Bilz ein paar Strassen weiter im Büro von Musicon Valley, einem Verein, der sich vor einigen Jahren gründete, um die Instrumentenbauer zu unterstützen. Derartige Massenproduktion gebe es heute hier natürlich längst nicht mehr, meint er. Noch immer aber werde alles, vom Akkordeon bis zur Zitter hier gefertigt.

    "Es sind derzeit 113 Unternehmen die es noch gibt vom ganz einfachen klassischen Vater Sohn Betrieb, wo die Mama sozusagen die Buchhaltung macht und die Instrumente verpackt, und ebenso aber auch industriell fertigende Unternehmen die also über 100 bis 250 Mitarbeiter haben, also das decken wir hier alles komplett ab."

    Im Flur des Gebäudes, wo heute unter anderem die Musikschule untergebracht ist, zeigt er mir voller stolz eine riesige Holzkiste.

    "Die hat auf ´nem Sperrmüllhaufen vor ´nem halben Jahr in ´ner Seitenstraße gelegen und da hab ich ne Vollbremsung in meinem Bus gemacht und hab die alleine dann reingezerrt. Hab geahnt was ich da hab aber irgendwann hat es mir jemand gesagt schau mal das ist ja ne Fortschickerkiste."

    Fortschicker, so hießen damals die Händler, die die Instrumente hier in der Gegend aufkauften und mit solchen Kisten in die ganze Welt verschifften.

    "Die haben die dann mit extremen aber wirklich extremen Gewinnspannen weiterverkauft in alle Welt. Und dieses weiterverkaufen hieß man musste die verpacken und fortschicken und dann hat man die zum Beispiel die Geigen in eine riesengroße Kiste, hat die ordentlich verpackt und dann sind die auf den Ozeandampfer in die USA gegangen. Und hier ist sogar noch ein Zeichen dran wenn wir es finden steht da New York dran das ist zwischen New York und Markneukirchen ist diese Kiste hin und her gereist und immer wieder dann zurück. Und die ist mit Eichenholz beschlagen ringsrum und Metallbeschlägen und hat unten auch ´nen Metallboden das die auf dem Schiff ordentlich stehen konnte und sicher war."

    Diese Fortschicker, die Händler von damals müssen jedenfalls sehr viel Geld verdient haben, wenn man sich die prachtvollen Villen in der Stadt ansieht, die heute noch von diesem Reichtum erzählen. Eine davon besuche ich, zusammen mit einer Gruppe von Musikern.

    "Ganz früher war es ein sogenanntes Fortschickerhaus heute würde man sagen das ist ein Großhändler, die haben Instrumente gesammelt von allen möglichen Herstellern hier in der Umgebung und haben sie dann fortgeschickt in alle Welt."

    Erklärt Mathias Müller. Wir stehen in der großen Eingangshalle der Villa. Heute fertigt hier die Firma Mönnig und Adler hochwertige Holzblasinstrumente wie Oboen oder Klarinetten. Vertreter der deutschen Bläserjugend, der Jugendvereinigung des deutschen Musikverbandes, haben sich für eine Führung angemeldet.

    "Wir fangen an im Holzlager, schauen uns das Holzlager an gehen dann in die Vorproduktion, schauen uns dann die Ansetzerei an und zum Schluss gehen wir bei den Fertigmachern noch mal rein."

    Ein paar Schritte neben der Villa liegt in einer kleinen Halle, der größte Schatz der Firma. Bis zu Decke stapeln sich wertvolle Hölzer.

    "Wir verzichten bei unserem Holz komplett auf technische Holztrocknung das heißt es ist reine natürliche Trocknung deswegen ist es hier auch relativ frisch also im Sommer warm im Winter kalt und das immer im Wechsel. Die verwendeten Hölzer bei uns sind für Fagotte Bergahorn, bosnischer Bergahorn und für Klarinetten, Oboen, englisch Hörner, Gernadill."

    Dann geht es wieder zurück ins Haus, wo wir uns Schritt für Schritt erklären lassen, wie aus den Hölzern Instrumente werden.

    "Das Holz wird dann mit so ´ner Klammer eingespannt und wird dann so lange hier rein geschoben also in diesen Räumer bis eben diese Räumung raus kommt. So sieht dann aus, wenn er gedreht ist und das ist das Stadium mit der fertigen Bohrung."

    Eine Weile wird noch gefachsimpelt. Dann erwartet uns ein paar Strassen weiter der Instrumentenmacher Sascha Weber bei der Blech- und Signalinstrumente GmbH.

    "Wir stellen hier Metallblasinstrumente von der Piccolo Trompete bis zu Tuba her. Und es wird alles per Handarbeit hier bei uns betrieben. Also wir kaufen die Instrumente die hier aus der Firma kommen und stammen nicht Fernost ein."

    Vor zehn Jahren hatte der Tourismusverband hier im Vogtland die Idee für Touristen Führungen durch Werkstätten der Instrumentenbauer anzubieten. Doch sich immer wieder durch Busgruppen bei der Arbeit unterbrechen lassen, die manchmal ein Saxofon nicht von einer Tuba unterscheiden können, das konnte nicht funktionieren und wurde bald wieder eingestellt. Stattdessen hat der Verein Musicon Valley sich jetzt etwas anderes überlegt: Spezialangebote nur für Musiker. Reisen zu den Ursprüngen ihrer Instrumente. Und das klappt ganz hervorragend meint Frank Bilz.

    "Das ist dann eine tolle Situation für die Instrumentenbauer, wenn Blechbläser in ne Blechblaswerkstatt kommen und die haben sich nicht nur ne Stunde was zu sagen sondern drei Stunden was zu sagen. Das ist dann ein Austausch, da entstehen sehr persönliche Verbindungen."

    Tatsächlich hören die Blasmusiker mit Begeisterung zu, als Sascha Weber seinen Rundgang beginnt.

    "Wir stellen in der Vorproduktion unsere Schallstücke selbstständig her. Also das Messing wird geliefert als Blech, weiter nichts und dann sehen wir gleich die Schritte, wie wir dann zu dem Endprodukt Schallstück erst mal kommen."

    Immer weiter geht es durch die große Halle. Jetzt hält der Instrumentenbauer ein Metallstück in die Höhe. Noch aber ist nicht erkennbar, ob daraus mal eine Posaune, Trompete oder vielleicht ein Flügelhorn wird.

    "So ist das zusammen geklappte Schallstück im Ursprung zu sehen. Er hat hier hinten Hammer nen elektrischen Hammer und dann legt er sich den Schall aufs Knie und muss dann präzise das Material vorne eigentlich so ausschmieden in einer kreisenden Bewegung, dass es sich so verformt dass es erst rund wird und dass sich nach vorne hin eine Schweifung bildet."

    Am Ende der Führung bleibt dann noch etwas Zeit, um dann die fertigen Instrumente zum klingen zu bringen.

    Dieter Fehren, Jugendleiter im niedersächsischen Musikverband ist ganz begeistert von dem was er gesehen hat

    "Das war sehr interessant wie die aus dem Rohmaterial praktisch die Instrumente formen, die verschiedenen Werdehergänge, wie so was entsteht und auch mit dem polieren und was da für Gänge da drin sind."

    Zuhause leitet er eine Blaskapelle und gibt Musikunterricht. Wenn seine Schüler ihn in Zukunft fragen, ob es sich wirklich lohnt so viel Geld in ein handgefertigtes Instrument zu investieren, da könne er jetzt viel besser argumentieren.

    "Ich kann’s mit eigenen Worten beschreiben wies gemacht wird, als wenn ´s ich’s aus dem Lehrbuch ablese was wird gemacht. Und das wird dann viel besser angenommen Das muss man mal gesehen haben."

    "Schönen guten Tag sie möchten mal reinschauen, willkommen, Kommen sie rein in die gute Stube so sag ich immer."

    Barbara Hüttel öffnet die Haustür und schon stehe ich mitten in der Welt der mechanischen Musik. Seit Jahrzehnten führen sie und ihr Mann in ihrem Wohnhaus ein kleines Privatmuseum. Bei ihm habe alles mit dem Geigenbau angefangen erklärt mir Wolfgang Hüttel.

    "Ich persönlich stamme aus einer Geigenbauerfamilie und bin also schon als Kind in den Spänen unter den Beinen meines Großvaters herumgekrochen und habe von der Wiege auf gesehen wie man eine Geige baut."

    Nach einer Ausbildung zum Geigenbauer aber interessierten ihn mehr die Maschinen, die man für den Instrumentenbau brauchte. Und manche der Firmen hier in der Gegend begannen dann schon im 19. Jahrhundert auch mechanische Musikinstrumente zu bauen. Alleine im Nachbarort Klingenthal gab es sieben solcher Fabriken. Nach dem Krieg aber interessierte sich außer ihm niemand mehr dafür. Also ging er schon in den 60er-Jahren von Haus zu Haus, fragte nach solchen Instrumenten, wie diesem mechanischen Akkordeon.

    "Das ist ein kleiner schwarzer Kasten, das Innenleben ist eine Kurbelwelle aus Holz, die Bälge bedient um die Luft zum schöpfen zum spielen. Wenn in dieser Walze ein Stift kommt dann drückt der einfach das Ventil auf, wie das der Finger am Akkordeon tut und dann strebt der Ton durch die durchschlagende Zunge und das Ding ertönt."

    Ihre Sammlung umfasst heute Dutzende solcher Musikmaschinen, die ihre Melodien mit Hilfe von Walzen und Lochbändern, Saugluft und Vakuum präsentieren. Singende Metallvögel, Klingende Uhren, Spieldosen, Pianolas, Orchestrions und Kirmesorgeln. Gerade ist eine Reisegruppe aus Kleve gekommen und Barbara Hüttel führt mit Begeisterung und Schwung ihre Schätze vor.

    Hüttel´s Musikwerke Ausstellung, wie sie ihr kleines Museum nennen, immerhin das größte seiner Art in ganz Ostdeutschland, hat nie geschlossen. Ob Sonn- oder Feiertag, wenn man tagsüber klingelt, die Hüttels machen immer auf und dann ist Stimmung im klingenden Wohnzimmer.

    "Und die nächste Wahl das ist der Plattenspieler aus Uromas Zeiten 1900 gebaut bei Symphonion in Leipzig. Und da hören wir jetzt mal Wiener Blut von Johan Strass es darf getanzt werden, Damenwahl. Dann Weihnachten die Weihnachtsmelodien drauf dann sind sie am schönsten."