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Reisejournalismus unter Corona
Keine Reisen, keine Reiseberichte

Trotz Corona sind Urlaubsreisen wieder möglich - wenn auch eingeschränkt. Das hat nicht nur für die Tourismusbranche Konsequenzen, sondern auch für professionelle Reisejournalistinnen und -journalisten. Dabei hatte die Branche schon vor der Corona-Pandemie Schwierigkeiten.

Von Annika Schneider | 27.07.2020
Ryanair-Flugzeug Boeing B737-800 auf dem Rollfeld des Flughafens Frankfurt Hahn
Eine ungenutzte Flugzeug-Treppe auf dem Rollfeld eines Flughafens. (imago/Aviation-Stock)
"Grüß di in Montafon! Herzlich willkommen in Montafon. Ich bin der Michael, ich bin Marketingleiter bei Montafon-Tourismus und ich darf euch heute ganz herzlich zum Live-Presseeinstieg bei uns in Montafon begrüßen," so klingt eine Video-Begrüßung vor imposanter Bergkulisse. Ende Mai konnten Reisejournalistinnen und -journalisten dank Live-Übertragung virtuell nach Österreich reisen.
Es ist ein improvisierter Ersatz für die sonst üblichen Pressetrips, zu denen Reiseveranstalter einladen, damit über ihr Angebot berichtet wird. Inzwischen laufen die echten Recherchereisen langsam wieder an, aber die Corona-Krise hat die Branche gebeutelt.
Sommerausgabe ausgefallen
Jennifer Latuperisa-Andresen ist Chefredakteurin des Magazins "Reisen exclusiv", das alle drei Monate mit rund 95.000 Stück Auflage erscheint. Das Märzheft blieb dieses Jahr größtenteils unverkauft in den Kiosken liegen, die Juniausgabe fiel ganz aus.
"Wir haben mit unserer Reisesparte seit Februar oder eigentlich seit Anfang des Jahres keinen Pfennig Geld verdient. Wenn es natürlich einer Destination schlecht geht, einer Hotelkette schlecht geht, sind wir am Ende der Nahrungskette. Wir müssen halt die Durststrecke durchhalten und mal gucken, was man für interessante Geschichten in der Nähe findet und nicht nur über Paris und Amsterdam schreibt."
Die Chefredakteurin hat deswegen in einen neuen Blog über Deutschland investiert. Auch Reisejournalistin Meike Nordmeyer ist vergleichsweise gut durch die Krise gekommen – dank einer Teilzeitstelle in der Öffentlichkeitsarbeit. In normalen Jahren verreist sie bis zu 15 Mal und berichtet vor allem über Kultur und Kulinarik. Mit Dauerurlaub habe ihr Job aber nichts zu tun, stellt die Wuppertalerin klar:
"Es ist natürlich schön, viel auf Reisen zu gehen. Aber das eine ist, dass diese Reisen keine Erholung sind, sondern sehr anstrengend, weil es ein ganz dichtes Programm ist. Man sitzt höchstens mal eine Viertelstunde an einem schönen Strand und fotografiert ihn kurz. Und dann geht es wieder weiter. Das hat also mit Erholung nicht viel zu tun. Es ist gar nicht so einfach, mit dem Reisejournalismus immer viel Geld zu verdienen. Allein von der Reise zu leben, vom Reisejournalismus, gelingt gar nicht mehr vielen Leuten."
Reiseblogger. Zwischen Journalismus und PR:
Reiseblogger locken mit Live-Berichten über ihre Touren Millionen Leser auf ihre Seiten. Tourismusverbände versuchen, die Beiträge mit Geld zu beeinflussen - wie unabhängig sind Reiseblogger dann noch?
Reisefinanzierung schon vor Corona schwierig
Viele Berichte sind nur möglich, weil die Veranstalter die Reisekosten übernehmen. Kaum eine Redaktion hat dafür noch einen Etat. Stattdessen suchen sich Journalisten in der Regel Hotels oder Tourismusbüros, die ihre Reisen sponsoren – entweder als Einzel- oder als Gruppenreise. Für sie ist es eine ständige Gratwanderung, trotz ihrer Abhängigkeit von Sponsorengeldern unabhängig zu berichten, erklärt Meike Nordmeyer:
"Da muss man verantwortungsvoll mit umgehen. Wichtig ist vor allem, finde ich, dass man im Vorhinein schon genau schaut, ob die Reise auch interessant sein wird, ob die auch ausgewogen sein wird. Denn wenn man eingeladen wird und dann schreibt man nichts, ist das natürlich schwierig. Und man muss auch immer klarmachen, dass man jetzt nicht über jeden Programmpunkt zwingend schreibt, sondern das ist ein Angebot an die Journalisten. Und daraus wird man eine Geschichte entwickeln, und das hat dann auch den Vorteil, wenn dann ein Programmpunkt mal nicht so gut ist, nicht überzeugend ist, dass man ihn auch einfach dann nicht bespricht, weil es einfach keine Empfehlung ist."
Schließlich geht es beim Reisejournalismus vor allem darum Tipps und Inspiration zu liefern. Hinzu kommt: Im Netz gibt es längst jede Menge kostenlose Konkurrenz.
Reiseblogs als Konkurrenz
"Mann, ist das hell heute. Liebe Freunde, ich grüße euch zum zweiten Teil "Von Unterwegs" aus dem Libanon…," in Videos und Blogtexten liefern Reisende aus aller Welt Tipps, außerdem helfen unzählige Bewertungsportale dabei, das richtige Reiseziel und Hotel zu finden.
"Über das Internet hat sich eine völlig neue Welt im Reisejournalismus aufgetan im Sinne von Reisebloggern, die zum Teil das als Hobby machen, zum Teil aber auch sehr professionell sind. Und da ist für die Leute, die im klassischen Reisejournalismus arbeiten, eine gewaltige Konkurrenz dazu gekommen," sagt Richard Hofer, er ist beim WDR seit vielen Jahren verantwortlich für die Reisesendung "Wunderschön".
"Reise exclusiv"-Chefin Jennifer Latuperisa-Andresen sieht das eher als Bereicherung: "Klar sind Influencer und Blogger eigentlich auch Konkurrenz, aber ich finde, das macht es auch bunter. Wir sind ja auch auf Instagram. Wo ist der große Unterschied? Also grundsätzlich habe ich da nichts gegen, und ich glaube, dass sich das eigentlich befruchtet gegenseitig."
Auch Meike Nordmeyer findet, dass die Grenzen zwischen Reisejournalismus und Reiseblogs längst verschwimmen. Sie schreibt selbst seit acht Jahren für ihren eigenen Blog – ein regelmäßiges Einkommen bringt ihr das aber nicht.