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"Reisen Sie Ihrem Geld hinterher"

In Tschechien grassiert die politische Korruption - in den vergangenen Monaten sind etliche Fälle ans Tageslicht gekommen. Das erste tschechische Korruptionsreisebüro führt Touristen zu den Schauplätzen des Verbrechens - frei nach dem Motto: "Schauen Sie, wo Ihr Geld geblieben ist".

Von Kilian Kirchgeßner | 21.02.2012
    Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine normale Reisegruppe: Auf einem Platz in der Prager Altstadt drängen sich die Zuhörer um ihre Reiseleiterin, die stilgerecht einen Schirm in die Höhe hält:

    "Guten Tag, ich begrüße Sie im Namen des Reisebüros CorruptTour auf unserem Ausflug zu den drei Prager Rekorden. Es war für uns gar nicht so einfach, die drei Korruptionsrekorde auszuwählen, weil es mit der Bestechlichkeit hier in Prag richtig gut läuft."

    "Mit uns lernen Sie Prag einmal anders kennen" – so wirbt das Reisebüro für seine Touren. Das Unternehmen ist erst ein paar Tage alt und schon ein voller Erfolg: Alle Angebote sind restlos ausgebucht; es sind vor allem Prager, die sich in ihrer Heimatstadt auf die Spuren der Korruption heften. Und die Rundreise kommt gleich zur Sache: Nach weniger als drei Minuten stehen die Teilnehmer vor einem Gebäude der Prager Stadtverwaltung.

    "Dieses herrliche Haus stammt aus dem Jahre 1929. Vor wenigen Jahren hätte die Stadt Prag dieses Gebäude für 48 Millionen Euro kaufen können. Aber man hat sich entschieden, es lieber von einem privaten Investor zu mieten – allein für die ersten 20 Jahre kostet das 192 Millionen Euro, also fast das Vierfache. Aber es wird noch besser, kommen Sie einfach mit."

    Die Gruppe zieht los; zweieinhalb Stunden dauert die Tour. Die meisten Korruptionsaffären, um die es geht, sind den Pragern wohlbekannt. In den vergangenen Monaten sind unzählige Skandale ans Licht gekommen, in denen Geschäftemacher und Politiker mit dubiosen Provisionszahlungen, überteuerten Einkäufen und abenteuerlichen Verträgen viel Geld aus den öffentlichen Haushalten abgezweigt haben. Das ist der Stoff, aus dem das Reisebüro CorruptTour schöpft. Gründer ist Petr Sourek, ein junger Mann, der eigentlich am Theater arbeitet:

    "Am Anfang haben alle gedacht, das sei ein Witz. Aber jetzt sehen sie: Natürlich hat das Reisebüro eine ironische Komponente, aber es ist eben kein Scherzprojekt."

    Für Gründer Petr Sourek ist CorruptTour eine Mischung aus Geschäftsidee und gesellschaftlichem Engagement. Er wolle zur Aufklärung der Fälle beitragen, sagt er, und deshalb dafür sorgen, dass sie nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Die Ausflüge zu den Schauplätzen der größten Korruptionsfälle sind ein Beispiel für den typisch tschechischen Humor, der bisweilen sehr schwarz und sarkastisch ist.
    "Wir haben in Prag so viele historische Gebäude, alles hier ist denkmalgeschützt. Ich finde, die Korruption ist auch so eine Art kulturelles Erbe."

    Dieses Erbe wolle er jetzt eben touristisch erschließen. In kleinen Bussen fahren Petr Sourek und seine Mitarbeiter die Teilnehmer durch die tschechische Hauptstadt, die Reiseleiterin erläutert die Hintergründe:

    "Das Umfeld für Korruption in unserem Land ist stabil mit moderaten Wachstumstendenzen. Sie sehen: Das ist ein dankbares Feld für die Entwicklung von Korruptionstourismus. Unser Credo lautet: Erlebnisse machen Spaß. Unsere Welt ist voller Wunder, und wir möchten Ihnen einige davon zeigen."

    Die Reisegruppen funktionieren dabei zugleich als eine Art moderner Pranger. Im Prager Rathaus etwa werden die Teilnehmer bis vor die Büros der Beamten geführt, die umstrittene Entscheidungen getroffen haben:

    "Da vorne im Büro Nummer 481 saß der Leiter der Informatikabteilung. Gehen Sie ruhig vor und schauen Sie sich alles an. Und bitte, machen Sie den Platz frei, damit nach Ihnen auch die anderen Teilnehmer die Chance bekommen, einen Blick darauf zu werfen!"

    Die Besucher laufen im guten Dutzend durch die Flure, hinter ihnen bleiben die sprachlosen Mitarbeiter der Stadtverwaltung zurück. Auf ähnliche Weise fallen die Teilnehmer noch bei anderen Sehenswürdigkeiten ein: Im Informationszentrum der Stadtautobahn, die auf rätselhafte Weise viele Millionen Euro teurer wird als geplant und auf dem Gelände, wo für ungeheure Summen schon einmal alles für die Olympischen Spiele vorbereitet wurde, die aber nie in Prag stattfinden werden. Anschließend fährt der Bus noch zu den Villen der Stadträte und Unternehmer, die sich mutmaßlich an den öffentlichen Geldern bereichert haben. Die prächtigen Bauten sind gut von der Straße abgeschirmt, geschützt mit aufwendigen Videoanlagen. Schauen Sie, wo Ihr Geld geblieben ist, rufen die Reiseleiter den Teilnehmern zu – und einer der Millionäre, der zufällig gerade das Haus verlässt, sieht den Reisebus und verschwindet schnell wieder hinter seiner Tür.